Anmerkungen zu Kant, „Was ist Aufklärung“ Teil 3: Kants Warnungen (Mat5280)

Worum es hier geht:

Auf zwei anderen Seiten sind wir bereits auf den umfangreiche Essay Kants zur Frage „Was ist Aufklärung?“ eingegangen:

Hier nun geht es um den wichtigen Schlussteil. Dort versucht Kant, die Gedanken der Aufklärung vor denen zu schützen, die über Macht verfügen. Das können Regierungen sein, aber auch gesellschaftliche Gruppen und Strömungen.

Hier haben wir erst mal die entsprechenden Teile eingefügt.

Wir werden sie noch genauso kommentieren wie die beiden anderen Teile.

Abschnitt 8: Diskussion der Frage, ob eine Gemeinschaft Aufklärung bei sich verbieten kann

Aber sollte nicht eine Gesellschaft von Geistlichen, etwa eine Kirchenversammlung, oder eine ehrwürdige Classis (wie sie sich unter den Holländern selbst nennt), berechtigt sein, sich eidlich untereinander auf ein gewisses unveränderliches Symbol zu verpflichten, um so eine unaufhörliche Obervormundschaft über jedes ihrer Glieder und vermittels ihrer über das Volk zu führen und diese sogar zu verewigen?

    • Hier spielt jetzt Immanuel Kant einen ganz wichtigen Fall durch.
    • Es geht hier darum, dass eine Gruppe von Menschen sich gemeinsam auf etwas unabänderlich festlegt.
    • In dem Wort „unveränderlich“ steht schon etwas sehr Wichtiges.
      • Wenn man das gleich unmöglich findet, dann sollte man an die ersten Artikel des Grundgesetzes denken, die dort als unabänderlich festgelegt worden sind. Es geht um gewisse Menschen- und Bürgerrechte.
      • Man könnte auch an bestimmte Auffassungen der großen Religionen denken. Beispiel: die Bibel oder den Koran als unveränderliche Grundlage des Glaubens ansehen.
    • Wichtig ist natürlich, dass Immanuel Kant hier sein Gedankenexperiment in Richtung dauerhafte Herrschaft über das Volk konkretisiert.
    • Da könnte man zum Beispiel an die totalitären System des 20. Jahrhunderts denken. Im Nationalsozialismus und im sowjetisch dominierten Kommunismus kann man entsprechende Kennzeichen sicherlich finden.
  • Ich sage: das ist ganz unmöglich. Ein solcher Kontrakt, der auf immer alle weitere Aufklärung vom Menschengeschlechte abzuhalten geschlossen würde, ist schlechterdings null und nichtig; und sollte er auch durch die oberste Gewalt, durch Reichstage und die feierlichsten Friedensschlüsse bestätigt sein.
    • Jetzt wird es allerdings ein bisschen traurig lustig. Denn Immanuel Kant spielt sich hier als oberster Gerichtshof der Menschheit auf.
    • Aber vielleicht tut er das auch nur als Vertreter eines Absolutheitsanspruchs seiner Aufklärung
    • Es läuft aber letztlich auf das gleiche hinaus: Es bleibt völlig offen, wer die Macht hat, einen solchen Vorstoß zu verhindern?
  • Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das folgende in einen Zustand zu setzen, darin es ihm unmöglich werden muss, seine (vornehmlich so sehr angelegentliche) Erkenntnisse zu erweitern, von Irrtümern zu reinigen und überhaupt in der Aufklärung weiter zu schreiten.
    • Auch hier wird es wieder sehr unklar, denn was heißt das, dass ein Zeitalter das nicht tun kann.
    • Wer will das Zeitalter daran hindern? Auch hier ist man als Leser im Sinne der Leserlenkung gespannt, wie Immanuel Kant mit diesem Problem umgeht.
  • Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur, deren ursprüngliche Bestimmung gerade in diesem Fortschreiten besteht; und die Nachkommen sind also vollkommen dazu berechtigt, jene Beschlüsse, als unbefugter und frevelhafter Weise genommen, zu verwerfen.
    • Glücklicherweise deutet Immanuel Kant jetzt an, was in einem solchen Fall Abhilfe schaffen könnte.
    • Es ist einfach das Fortschreiten der Zeit und damit der Generationen.
    • Immanuel Kant geht davon aus, dass jede Generation gewissermaßen selbst etwas entscheiden kann – unter dem Vorbehalt, dass es dem  Naturrecht entspricht.
    • Nun kann man immer Kant vorwerfen, dass er George Orwells Dystopie 1984 nicht gelesen hat.
    • Denn dort wird akkurat beschrieben, wie ein System sich gewissermaßen nach hinten zur Vergangenheit abschottet.
    • Kant als kluger Philosoph, der sicherlich auch in Geschichte bewandert war, hätte sich vielleicht an die alten Römer erinnern können, bei denen die Damnatio Memoriae (die Verdammung der Erinnerung) eine beliebte Methode war, um sich von ungeliebten Erinnerungen (z.B. frühere Kaiser, die in Misskredit gefallen waren) zu befreien.
    • Von da aus wäre es nur ein kleiner Schritt gewesen zu weiteren Beispielen, die zeigen, dass die Sieger die Geschichtsbücher schreiben.
    • Aus heutiger Sicht müssen wir leider sagen, dass die Möglichkeiten der Cancel Culture ganz neue Perspektiven bieten, um die Vergangenheit umzuschreiben.
    • Man kann über die Absichten sicherlich unterschiedlicher Meinung sein.
    • Kaum jemand aber hat aber auch auf dem Schirm, dass genau dieser Umgang mit früheren Formen der Kultur es späteren Generationen unmöglich macht, an die damit verbundenen Erfahrungen. anzuknüpfen.

Abschnitt 9: Durchspielen eines Falles von Veränderung in einer Gemeinschaft

Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte.

  • Kant erweitert nun sein Experimentierfeld und bezieht das ganze Volk ein.
  • Spontan fällt einem dazu gleich ein, von welchem konkreten Fall er er denn eigentlich ausgeht:
    • Reicht eine einfache Mehrheit
    • oder wie in vielen Verfassungen eine Zweidritter-Mehrheit
    • oder müsste nicht eigentlich sogar Einstimmigkeit verlangt werden. Denn das Ergebnis würde ja fundamental in die Rechte einzelner Menschen eingreifen.

Nun wäre dieses wohl gleichsam in der Erwartung eines besseren auf eine bestimmte kurze Zeit möglich, um eine gewisse Ordnung einzuführen:

  • Immanuel Kant konkretisiert den Fall jetzt etwas
  • und zwar denkt er an eine Phase des Übergangs.
  • Allerdings bleibt es wieder ziemlich schwammig:
    • Nach einer Revolution zum Beispiel ist es selbstverständlich, dass dann eine neue Ordnung geschaffen werden muss.
    • Und für eine Übergangszeit muss man dann eine vorläufige Regelung schaffen.
  • Man könnte das Problem auf die Formel bringen, nachdem man selbst eine Klarstellung versucht hat:
    • Lieber Immanuel, Kant,
    • mach es so oder anders,
    • aber mach es klar.
    • Schluss aus – oder lass es einfach.

indem man es zugleich jedem der Bürger, vornehmlich dem Geistlichen frei ließe, in der Qualität eines Gelehrten öffentlich, d.i. durch Schriften, über das Fehlerhafte der dermaligen Einrichtung seine Anmerkungen zu machen, indessen die eingeführte Ordnung noch immer forzdauerte, bis die Einsicht in die Beschaffenheit dieser Sachen öffentlich so weit gekommen und bewährt worden, dass sie durch Vereínigung ihrer Stimmen (wenngleich nicht aller) einen Vorschlag vor den Thron bringen könnte,

  • Hier zeigt sich wieder Immanuel Kants fatale Neigung, auf den griechischen Philosophen Plato zurückzugreifen. Der war ja der Meinung, dass die Philosophen die Herrschaft ausüben sollten
  • Leider hat er und hat auch Immanuel Kant vergessen, dass die Gelehrten meistens einer höheren Gesellschaftsschicht angehören und auf natürliche Art und Weise deren Interessen vertreten.
  • Vor allem dann, wenn sie sich wie Immanuel Kant gar nicht vorstellen können, dass einfache Menschen überaus berechtigte Interessen vertreten, die sich aber angesichts von Psychologen-Know-how und überlegener Redekunst der anderen Seite kaum durchsetzen können.

um diejenigen Gemeinden in Schutz zu nehmen, die sich etwa nach ihren Begriffen der besseren Einsicht zu einer veränderten Religionseinrichtung geeinigt hätten, ohne doch diejenigen zu hindern, die es beim Alten wollten bewenden lassen.

  • Erfreulicherweise lässt Immanuel Kant hier verschiedene Möglichkeiten zu.
  • Wieso er das Ganze hier plötzlich mit dem Thema Religion vermengt, wird nicht weiter erklärt. Es ist aber verständlich vor dem Hintergrund der Religionskonflikte, auf die er zurückblicken konnte (Dreißigjähriger Krieg).
  • Offensichtlich will Kant hier zwei Varianten zulassen:
    • zum einen eine, die die Neuordnung akzeptiert.
    • Eine andere, die bei der alten Ordnung bleiben möchte.
  • Was der gute Philosoph wieder in keiner Weise berücksichtigt,
    • ist das Interesse einzelner Menschen.
    • Und das ist ihm insofern vorzuwerfen, als es ja gerade im Bereich der Religion diese fürchterliche Regelung gab, zwischen Protestanten und Katholiken, dass die Bevölkerung eines Gebietes dem Herrscher folgen musste.
    • Wurde der protestantisch, mussten alle Protestanten werden oder das Land verlassen.
    • Kurios wurde es, wenn sein Nachfolger sich entschloss, katholisch zu werden.
    • Man möchte das gar nicht weiter durchspielen und unseren Philosophen lieber fragen, ob er wenigstens eine Grenzlinie zieht bei den Menschenrechten wie in unserem Grundgesetz.

Abschnitt 10: Verurteilung aller Versuche, Aufklärung auf Dauer zu verhindern – auch bei einem Monarchen

Aber auf eine beharrliche, von Niemanden öffentlich zu bezweifelnde Religionsverfassung auch nur binnen der Lebensdauer eines Menschen sich zu einigen und dadurch einen Zeitraum in dem Fortgange der Menschheit zur Verbesserung gleichsam zu vernichten und fruchtlos, dadurch aber wohl gar der Nachkommenschaft nachteilig zu machen, ist schlechterdings unerlaubt.

  • Jetzt geht es bei Immanuel Kant wieder los. Er macht sich zum absoluten Gesetzgeber, entweder für die ganze Menschheit oder zumindest für seine Vorstellung von Aufklärung. Das mag allenfalls als Diskussionsgrundlage erlaubt sein.
  • Jedenfalls hält er es hier wie schon in einem früheren Abschnitt für völlig unzulässig, eine auf Zukunft und Änderung ausgerichtete Diskussion völlig zu verbieten.
  • Interessant, dass er hier vor allem auch an künftige Generationen denkt. Diesen kritischen Aspekt haben wir weiter oben schon angesprochen, im Hinblick auf die Vernichtung von Zeugnissen der Vergangenheit im Sinne einer falsch verstanden Cancel Culture.

Ein Mensch kann zwar für seine Person und auch alsdann nur auf einige Zeit in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschieben; aber auf sie Verzicht zu tun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten.

  • In diesem Abschnitt wendet sich Immanuel Kant plötzlich im Einzelmenschen zu und nicht mehr der Gemeinschaft.
  • Und behauptet, dass man für sich selbst durchaus auf Aufklärung verzichten kann.
  • Allerdings macht er hier einen zeitlichen Vorbehalt, das dürfe nicht auf Dauer geschehen
  • Wer Immanuel Kant hier das Recht gibt, dem Einzelnen vor zu schreiben, wie weit er Aufklärung betreiben will oder auch nicht, bleibt völlig unklar.
  • Inwieweit ein einzelner seiner Nachkommenschaft zukünftige Aufklärung verbieten kann, bleibt ebenfalls dunkel.
  • Es sieht aus, als hätte Immanuel Kant noch nie etwas von Generationenkonflikt gehört.
    • Der bedeutet, dass die nächste Generation dazu neigt, von dem abzuweichen, was ihr selbst massiv vorgeschrieben worden ist.
    • Zumindest gilt das für Menschen, die an Autonomie interessiert sind.

Was aber nicht einmal ein Volk über sich selbst beschließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen; denn sein gesetzgebendes Ansehen beruht eben darauf, dass er den gesamten Volkswillen in dem seinigen vereinigt.

  • Jetzt wagt Immanuel Kant sich auf das Feld der politischen Theorie der Aufklärung vor.
  • Und zeigt dabei, dass er da kaum auf der Höhe der Diskussion steht.
  • Zum einen weiß man nicht, was der gesamte Volkswille sein soll.
    • Auch hier wieder ein völliger Verzicht auch auch nur Ansätze von Konkretisierung.
    • Das sind einfach nur Elemente eines Gedankengebäudes, dessen Realität nur im Kopf des Philosophen existiert.
  • Außerdem berücksichtigt Immanuel Kant in keiner Weise, dass die ersten Versuche einer aufgeklärten Verfassung dem Herrscher gewisse Vorrechte zustanden.
    • Wenn man das in Zweifel zieht (zum Beispiel nur aufschiebendes Veto des französischen Königs 1791)
    • dann war zumindest die gesetzgebende Versammlung nicht so zusammengesetzt, dass sie das gesamte Volk angemessen repräsentierte (Zensuswahlrecht).
  • Man kann jetzt sagen, Immanuel Kant war erfreulich progressiv, man kann natürlich auch sagen, er war einfach nur theoretisch mit wenig Blick auf die Realität.
  • Denn selbst heute denkt wohl kaum ein Mensch mit Lebenserfahrung daran, dass eine Verfassungsordnung (auf dem Papier oder auch real) dem Willen des gesamten Volkes entspricht.
  • Hier müssen zumindest Kompromisse geschlossen werden.
  • Letztlich wäre es schon wünschenswert, wenn zumindest fundamentale Menschenrechte garantiert wären.
    • Interessanterweise hat die ursprüngliche amerikanische Verfassung überhaupt keine Menschenrechte enthalten.
  • Hier kann sich jeder selbst überlegen, in welchen Ländern der Welt zumindest real die Menschenrechte nicht ausreichend gewährleistet sind.
  • Und bei den Staaten mit parlamentarischer Demokratie müsste man im Auge behalten, inwieweit es
  • Jetzt sagt Immanuel Kant sich auf das Feld der politischen Theorie der Aufklärung vor
  • Und zeigt dabei, dass er da kaum auf der Höhe der Diskussion steht.
  • Zum einen weiß man nicht, was der gesamte Volkswille sein soll. Auch hier wieder ein völliger Verzicht auch auch nur Ansätze von Konkretisierung. Das sind einfach nur Elemente eines Gedankengebäudes, dessen Realität nur im Kopf des Philosophen existiert.
  • Außerdem berücksichtigt Immanuel Kant in keiner Weise, dass die ersten Versuche, eine aufgeklärten Verfassungsänderung dem Herrscher gewisse vor Rechte zugestanden. Wenn man das in Zweifel zieht (zum Beispiel nur aufschieben des Veto des französischen Königs 17:00 Uhr 91) dann war zumindest die gesetzgebende Versammlung nicht so zusammengesetzt, dass sie das gesamte Volk angemessen repräsentierte.
  • Man kann jetzt sagen, Immanuel. Kant war erfreulich progressive, man kann natürlich auch sagen, er war einfach nur theoretisch mit wenig Blick auf die Realität.
  • Den selbst heute denkt wohl kaum ein Mensch mit Lebenserfahrung daran, dass eine Ordnung dem willen des gesamten Volkes entspricht. Hier müssen zumindest Kompromisse geschlossen werden. Letztlich wäre es schon wünschenswert, wenn zumindest fundamentale Menschenrechte garantiert wären.
  • Hier kann sich jeder selbst überlegen, in welchen Ländern der Welt das heute gerade nicht gewährleistet ist.
  • Und bei den Start mit parlamentarische Demokratie müsste man im Auge behalten, inwieweit dort es andere Faktoren gibt, die die Durchsetzung des Volkswillens fragwürdig erscheinen lassen.
  • Es reicht ja schon, wenn man die öffentliche Meinung durch geeignete Maßnahmen steuert.
  • Leute mit Macht und Geld können sich genügend Experten in den Bereichen Psychologie, Soziologie und Politik kaufen, die wissen, wie man große Massen beeinflusst. Das hat zwar zur Zeit Kants wohl kaum die Rolle wie heute gespielt, aber der Wankelmut und die Beeinflussbarkeit von Menschengruppen müsste Kant bekannt gewesen sein.
  • Bei einer repräsentativen Demokratie mit Wahlen und Volksvertretern gibt es die Frage, wie lange es dauert, bis die zumindest in Versuchung kommen, die Interessen zum Beispiel von Firmen auch zu ihren eigenen zu machen. Man denke nur an die vielen Lobbyvertreter in Parlamenten.

Wenn er nur darauf sieht, dass alle wahre oder vermeintliche Verbesserung mit der bürgerlichen Ordnung zusammen bestehe: so kann er seine Untertanen übrigens nur selbst machen lassen, was sie um ihres Seelenheils willen zu tun nötig finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu verhüten, dass nicht einer den andern gewalttätig hindere, an der Bestimmung und Beförderung desselben nach allem seinem Vermögen zu arbeiten.

  • Jetzt wird es wieder sehr unklar. Wer auch nur ein bisschen Ahnung hat von Politik, der weiß, dass der Teufel im Detail steckt.
  • Was genau ist die bürgerliche Ordnung? Da dürfte es sehr unterschiedliche Meinungen geben.
  • Fast schon wieder traurig ist Immanuel Kants Vorstellung vom Herrscher, der im Sinne des Nachtwächter-Staates seine Untertanen in Ruhe lässt, statt Kriege zu führen und prunkvolle Schlösser zu bauen.
  • Es wäre wünschenswert gewesen, wenn Immanuel Kant diese große Diskrepanz zwischen erfahrener Realität seiner Zeit und seinen kühnen Thesen versucht hätte, etwas zu überbrücken.

Um den Rest kümmern wir uns auch noch.

Abschnitt 11:  Warnung an Monarchen vor falschem Gebrauch ihrer Macht

Es tut selbst seiner Majestät Abbruch, wenn er sich hier einmischt, indem er die Schriften, wodurch seine Untertanen ihre Einsichten ins Reine zu bringen suchen, seiner Regierungsaufsicht würdigt,

    • Wieder so eine Einschätzung vom Schreibtisch aus – ohne Berücksichtigung historische Erfahrungen.
    • Natürlich tut der Monarch das gar nicht selbst, sondern er lässt das seine Minister tun.
    • Und am meisten tut ein Monarch seiner Majestät Abbruch, wenn er sie in Gefahr bringt und am Ende auf dem Schafott endet, wie der französische König in der Revolution nach 1789.

sowohl wenn er dieses aus eigener höchster Einsicht tut, wo er sich dem Vorwurfe aussetzt: Caesar non est supra Grammaticos, als auch und noch weit mehr, wenn er seine oberste Gewalt so weit erniedrigt, den geistlichen Despotismus einiger Tyrannen in seinem Staate gegen seine übrigen Untertanen zu unterstützen.

    • Auch das setzt voraus, dass die Herrscher zur Zeit Immanuel Kants ihr Volk überhaupt so geachtet haben wie die Aufklärer es zumindest in ihrer Theorie taten.
    • Was die wirklichen Auffassungen und Verhaltensweisen der Aufklärer gegenüber dem einfachen Volk angeht, müsste man eigene Untersuchungen anstellen.
    • Sollte diese Hypothese aber stimmen, könnte sie damit zusammenhängen, dass diese Aufklärer genauso realitätsferne Theoretiker waren sie Immanuel Kant selbst.
    • Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Amerikanische Revolution. Dort gab es trotz der Orientierung an den Ideen der Aufklärung große Vorbehalte gegenüber dem einfachen Volk . Aus dem Grunde wurde zum Beispiel der Senat mit viel längerer Amtsdauer und größerer Macht ausgestattet als das volksnahe Repräsentantenhaus.

Abschnitt 12:  Einschätzung der aktuellen Situation im Hinblick auf die Aufklärung

Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter?

  • Jetzt wird es spannend, weil Immanuel Kant sich bei der Beantwortung dieser Frage wahrscheinlich den verschiedenen Aspekten der Realität zuwenden muss.

so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.

  • Der Autor differenziert hier sehr geschickt zwischen einem fertigen und einem angestrebten Zustand.

Dass die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im Ganzen genommen, schon imstande wären, oder darin auch nur gesetzt werden könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines Anderen sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel.

  • Immanuel Kant kommt hier zur gleichen Einschätzung wie Friedrich Schiller, der allerdings erst nach der Erfahrung des Terrors. Das führte dann zu seinem Versuch, die Menschen über ästhetische Bildung zu erziehen.

Allein dass jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten, und die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen.

  • Es folgt eine positive Einschätzung der Entwicklungsmöglichkeiten, wobei auf die Einleitung zurückgegriffen wird.

In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Friederichs.

  • Wie man schon fast befürchtet hat, kommt es zu keiner umfassenden und differenzierten Antwort.
  • Stattdessen geht der Philosoph ein großes Risiko ein, weil er jetzt zu einer Beurteilung seines Monarchen ansetzt. Von dem ist er immerhin als Professor in Königsberg abhängig.
  • Man ist gespannt, wie viel Wahrheit Kant hier präsentiert und wo er gegebenfalls auch Rücksichten nimmt.
  • Zu befürchten ist allerdings, dass er sich mehr mit günstigen Entwicklungen unter einem Vertreter des aufgeklärten Absolutismus beschäftigt als mit den anthropologischen, sozialen und psychologischen Voraussetzungen für eine wirklich aufgeklärte Gesellschaft.
  • Interessant und auch nicht ganz verständlich ist, dass er hier schon wieder die gestellte Frage auf den Bereich der Religion konzentriert.
  • Das könnte damit zusammenhängen, dass die Frage, auf die er antwortet, von einem Pfarrer gestellt worden ist. Ganz überzeugend ist die allgemein wirkende Antwort und die zwischendurch immer wieder gegebene Reduktion auf den Bereich der Revolution nicht

Abschnitt 13:  Lob für die Toleranz Friedrichs des Großen in Religionsfragen

Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet, zu sagen: dass er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen,

  • Es kommt wieder ein ultralanger Satz, den wir deshalb hier in seine Bestandteile zerlegen.
  • Kant geht hier von einem Herrscher aus, der in Regionsfragen seinen Untertanen volle Freiheit lässt.
  • Verbunden wird das mit dem Gedanken der Pflicht, der für aufgeklärter Herrscher durchaus eine Rolle spielt.
  • Warum dieser Herrscher es möglicherweise für unwürdig hält, sich so zu verhalten, bleibt unklar.
    Man merkt hier deutlich, dass Kant hier eine sehr unrealistische Sicht auf Herrscher hat. Für einzelne mag das gelten. Es gibt aber genügend, die nur als Erbe auf den Thron gekommen sind.

der also selbst den hochmütigen Namen der Toleranz von sich ablehnt,

  • Diese Stelle ist völlig dunkel und wahrscheinlich nur zu erklären, wenn man eine bestimmte Äußerung von diesem Herrscher kennt.

ist selbst aufgeklärt und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit wenigstens von Seiten der Regierung entschlug und Jedem frei ließ, sich in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen.

  • Diesem Herrscher wird zugestanden, dass er bereits aufgeklärt ist.
  • Und er wird gelobt, weil er zu den ersten gehört, die diesen Stand haben.

Unter ihm dürfen verehrungswürdige Geistliche unbeschadet ihrer Amtspflicht ihre vom angenommenen Symbol hier oder da abweichenden Urteile und Einsichten in der Qualität der Gelehrten frei und öffentlich der Welt zur Prüfung darlegen;

  • Jetzt kommt wieder eine seltsame Unschärfe in die Ausführungen.
  • Denn was in Glaubensdingen einem angestellten Geistlichen noch erlaubt ist und was nicht, müsste doch eigentlich die Kirche entscheiden.
  • Letztlich bedeutet das hier, dass ein König sich über die Selbstbeschränkung einer geschlossenen Gesellschaft hinwegsetzt.
  • Denn die Geistlichen müssen in der Regel sich zu einem Glaubensbekenntnis bekennen und dann auch die Folgen tragen, wenn sie davon abweichen.

noch mehr aber jeder andere, der durch keine Amtspflicht eingeschränkt ist.

  • Warum die Religionsfreiheit angeblich bei denen noch größer ist, die kein Amt in einer Kirche haben, bleibt wohl das Geheimnis des Philosophen.

Dieser Geist der Freiheit breitet sich außerhalb aus, selbst da, wo er mit äußeren Hindernissen einer sich selbst missverstehenden Regierung zu ringen hat.

  • Es folgt wieder eine These, die auf der Behauptungebene bleibt.
  • Vor allen Ding wäre interessant gewesen, zu erfahren, wo der Geist der Freiheit mit Hindernissen einer Regierung kämpft, die sich selbst missversteht.
  • Das ist schon ein starkes Stück, dass Kant weiß, ob, wann und wie die Regierung sich selbst versteht.
  • Das macht nur Sinn, wenn es eine Anspielung für Eingeweihte ist.

Denn es leuchtet dieser doch ein Beispiel vor, dass bei Freiheit für die öffentliche Ruhe und Einigkeit des gemeinen Wesens nicht das Mindeste zu besorgen sei.

  • Auch hier wieder eine These, die Regierende in der Regel anders sehen.

Die Menschen arbeiten sich von selbst nach und nach aus der Roheit heraus, wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie darin zu erhalten.

  • Hier abschließend wieder eine Feststellung, die allen Erfahrungen widerspricht, zumindest in der Allgemeinheit der Annahme.
  • Allein schon der Kollektivbegriff Menschen zeigt wieder den undifferenzierten Ansatz des Verfassers.

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Wir setzen das hier noch fort

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Abschnitt 14:  Erklärung der Betonung der Religion als Beispiel für Veränderung in Richtung Aufklärung

Ich habe den Hauptpunkt der Aufklärung, d.i. des Ausgangs der Menschen aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen gesetzt: weil in Ansehung der Künste und Wissenschaften unsere Beherrscher kein Interesse haben, den Vormund über ihre Untertanen zu spielen; überdem auch jene Unmündigkeit, so wie die schädlichste, also auch die entehrendste unter allen ist. Aber die Denkungsart eines Staatsoberhaupts, der die erstere begünstigt, geht noch weiter und sieht ein: dass selbst in Ansehung seiner Gesetzgebung es ohne Gefahr sei, seinen Untertanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen und ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben sogar mit einer freimütigen Kritik der schon gegebenen der Welt öffentlich vorzulegen; davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren.

Abschnitt 15: Einschätzung der Situation und der Perspektiven

Aber auch nur derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldiszipliniertes zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, kann das sagen, was ein Freistaat nicht wagen darf: räsonniert, soviel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht! So zeigt sich hier ein befremdlicher, nicht erwarteter Gang menschlicher Dinge; so wie auch sonst, wenn man ihn im Großen betrachtet, darin fast alles paradox ist. Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des Geistes des Volks vorteilhaft und setzt ihr doch unübersteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hingegen diesem Raum, sich nach allem seinem Vermögen auszubreiten. Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählig zurück auf die Sinnesart des Volks (wodurch dieses der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird) und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.
Königsberg in Preußen, den 30. Septemb. 1784.

Zusammenfassung – Deutungshypothese

  • Es geht hier nicht um eine Infragestellung der Ausnahmestellung Kants in der Philosophie.
  • Es geht nur um diesen Essay,
    • der eine großartige Einleitung hat, die zu Recht auch heute noch im öffentlichen Bewusstsein ist,
    • der ansonsten aber auch aussieht, als wäre er eben mal schnell zusammengeschrieben worden. Zu viele Passagen bleiben einfach im Thesenhaften hängen und zerplatzen schon bei der geringsten Wirklichkeitsberührung wie Luftblasen.
  • Das ändert nichts daran, dass dieser Essay gerade in seiner Frag- und Kritikwürdigkeit
    • zum einen zumindest im 8. Abschnitt, der zusammen mit der Einleitung allen direkten und indirekten Zensurmaßnahmen in einer staatlich organisierten Gesellschaft die Legitimation entzieht,
    • dann aber auch als Anregung für weitergehende differenzierende Diskussionen.

Zu den beiden anderen Teilen:

Weitere Infos, Tipps und Materialien

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