Anstoß-Text zur Frage des Nachruhms
- Dieser Anstoß-Text beschäftigt sich mit der Frage, wieviel von einem Menschen übrigbleiben kann.
- Lohnt es sich, gewissermaßen für die „Geschichtsbücher“ zu leben?
- Das Problem haben aber nicht nur berühmte Leute, auch ganz einfache Menschen müssen sich kritisch der Frage stellen, inwieweit es sich lohnt, an einem „Denkmal“ über die eigene Existenz hinaus zu arbeiten.
Zunächst der Text:
Wir haben ihn hier einfach mal aus der PDF-Datei reinkopiert, damit man sich einen schnellen Überblick verschaffen kann – mit Aufgaben, die das „Anstoßen“ unterstützen.
Weiter unten gibt es dann auch noch diese PDF-Datei.
Anstoßtext: Was von den Menschen bleibt – die Grenzen des „Nachleuchtens“
So ziemlich jeder dürfte das berühmte Gedicht von Bertolt Brecht kennen, in dem er die „Fragen eines lesenden Arbeiters“ formuliert. Diese stellen kritisch in Frage, wer denn all die berühmten Bauwerke wirklich errichtet hat, wenn es in den Geschichtsbüchern heißt, dieser oder jener Herrscher habe dies oder das erbaut.
Wir gehen hier jetzt mal einen Schritt weiter und nutzen ein Gedicht von G. G. Unbetrach dazu, um noch viel grundsätzlicher die Frage zu stellen, was von jemandem übrig bleibt, der sich bemüht hat, Spuren zu hinterlassen – und jetzt geht es nicht mehr nur um die mehr oder weniger „großen“ Leute, jetzt ist jeder dran, diese Frage kritisch für sich zu beantworten.
Das Gedicht mit dem viele Möglichkeiten zulassenden Titel „Nachleuchten“ beginnt mit dem zentralen Wunsch vieler Menschen:
Wohl jeder
Sehnt sich danach,
dass von ihm etwas bleibt.
Dann aber geht es schon los mit der „Dekonstruktion“, also dem gezielten Abbau, um an den letzten und sicheren „harten Kern“ der Wahrheit zu gelangen. Deshalb muss man die entsprechende Frage im Hinblick auf das „Nachleuchten“ eines Lebens klar und deutlich stellen:
Nur was ist das?
An drei Beispielen wird dann infragegestellt, dass sich überhaupt viel Bleibendes schaffen lässt. Als erstes kommt jemand in den Blick, der wohl mit die meisten Chancen hat, mehr oder weniger Ewiges hinterlassen zu haben, nämlich Goethe mit seinen Werken.
Ist der Goethe, den wir lesen,
wirklich der, als der er sich fühlte?
Aber selbst hier tauchen Zweifel auf. Gerade weil sich unendlich viele Leute bis hin zu Wissenschaftlern mit einer solchen Geistesgröße beschäftigen, sind am Ende mehr Fragen offen, als man sich gedacht hat. Vor allem ist eine Art Popanz aufgebaut worden, ein Denkmalriese, hinter dem der wirkliche Mensch verschwindet – oder eben nur in sehr individuellen Zugangsversuchen erscheint.
Und Bismarck,
hätte er ahnen können,
dass die vielen Denkmäler,
die für ihn gebaut wurden,
heute skeptisch oder gar nicht mehr
„gesehen“ werden?
Als nächstes geht Unbetrach also über zu all denen, die glauben, mit irgendwelchen politischen Leistungen „in die Geschichtsbücher“ einzugehen. Am Beispiel Bismarcks macht das Gedicht dann deutlich, dass hier die Dekonstruktion noch viel größer ist: Sind sich bei Goethe ziemlich alle einig, dass er mit dem „Faust“ oder Gedichten zwischen „Willkommen und Abschied“ und der „Marienbader Elegie“ Unvergessliches geschaffen hat, spaltet sich das im politischen Bereich sehr viel stärker auf, schwankt es zwischen bleibender Verehrung oder Bewunderung und Ablehnung bis hin zu Feindschaft.
Und auch die, die sich im Kreis
Der Familie und der Freunde
Geborgen fühlen –
Denken sie noch an ihre Urgroßeltern
Oder gar darüber hinaus?
Dann geht es eine weitere Stufe hinunter – und diesmal sind – wie gesagt – alle betroffen. Wer immer glaubte, sich im Kreis von Freunden (etwa in einem Verein) oder der Familie (etwa in einer wachsenden Kinder- und Enkelschar) so etwas wie dauerndes Andenken, vielleicht sogar Dankbarkeit erworben zu haben, dem wird ein tief verstörender Perspektivwechsel zugemutet. Nicht nur all die, die das Pech hatten, in schriftlosen Zeiten zu leben, sind endgültig verschwunden im Mahlstrom der Geschichte, sondern auch all die, die für mehr oder weniger große Kreise eine besondere Bedeutung hatten. In der Regel dauert es nur wenige Jahre, bis auch sie trotz aller Überreste jedweder Art nicht mehr „erinnert“ werden. Sollten sie doch etwas Größeres geschaffen haben, tritt einfach der Paragraf „Goethe“ oder „Bismarck“ in Kraft.
Als Leser ist man jetzt gespannt, was der Verfasser in seinem Gedicht angesichts dieses totalen Desasters am Ende noch zu bieten hat:
Man muss wohl seinen
Eigenen Vertrag
Mit dem Schicksal machen
In etwas „hoher Sprache“ wird hier zunächst nichts anderes gesagt, als dass man die die Hoffnung auf ein echtes Fortleben im Gedächtnis späterer Generationen aufgeben und sich der Realität stellen soll. So wie man den eigenen Tod selbst als Teil der Natur dieser Welt akzeptieren muss, so auch die Grenzen des „Nachleuchtens“ einer jeden Existenz. Spätestens, wenn in ein paar Jahrmilliarden die Sonne in einem letzten Aufbäumen als Roter Riese den Planeten Erde in sich verschlingt, wird nichts mehr übrig bleiben von all dem, was es jemals auf ihr gegeben hat. Und sollte die Menschheit vorher einen anderen Wohnort im All finden, so wird sie nicht viel mitnehmen können – das Scheitern aller Ewigkeitsbemühungen verzögert sich nur etwas.
So bleibt also nur der „Vertrag / Mit dem Schicksal“, den jeder für sich selbst „ausarbeiten“ muss. Das bedeutet dann die Konzentration, aber auch die Beschränkung auf das, was man in seinem Leben selbst noch erreicht – von Erfindungen, irgendwelchen Glanztaten bis – und das nicht zuletzt – hin zum dankbaren Blick in die Augen und auf die Entwicklung der oben bereits erwähnten Kinder und Enkel.
Oder drauf hoffen,
dass man in einem
„Buch“
Verzeichnet ist
Mit unendlich vielen Seiten
Und geschrieben
In Heiliger Schrift.
Am Ende wechselt die Perspektive ins Übermenschliche, Transzendente, Religiöse. Ausgehend von einer Stelle in der Heiligen Schrift der Christen, der Bibel (Offenbarung des Johannes, 3,5) wird zumindest auf die Möglichkeit des Glaubens verwiesen, es könnte eine höhere Instanz geben, die das Leben in all seinen Ausprägungen nicht nur hat entstehen lassen, sondern sich auch um sein „Fortleben“ kümmert. Aber auch hier verlässt das Gedicht die Ebene der Skepsis nicht, wenn von „unendlich vielen Seiten“ die Rede ist, zumindest andeutungsweise auf die Probleme hingewiesen wird, die bei der Vielfalt des Lebens mit jeder Vorstellung von Dauerhaftigkeit verbunden sind. Dazu kommt dann der Hinweis auf die Grundproblematik des Heiligen und damit alles Religiösen in einer nachaufklärerischen Zeit.
Am Ende gilt auch hier, was Marcel Reich-Ranicki am Ende einer jeden Sendung des literarischen Quartetts in leichter Abwandlung eines Brecht-Zitats bescheiden-selbstkritisch zitiert hat: „„Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Mögliche Aufgaben
- Welche Ziele soll bzw. will ich mir überhaupt setzen, um mehr zu erreichen, als genug zu essen und ein Dach über dem Kopf zu bekommen?
- Welche Rolle spielt so etwas wie Ansehen oder Image für mich?
- Reicht es mir, wenn mein engstes Lebensumfeld, meine Freunde bzw. meine Familie, wissen, „was ich wert“ bin?
- Muss ich überhaupt „etwas wert“ sein – oder reicht es, einfach da zu sein?
- Welche Möglichkeiten habe ich überhaupt, um etwas zumindest für eine bestimmte Zeit „Bleibendes“ zu hinterlassen?
Druckdatei
Mat275 Anstoß-Text zur Frage des Nachruhms
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Erörterung
Was ist das, wie schreibt man so etwas?
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