Brentano, „Du“ – Analyse einer problematisch einseitigen Liebeserklärung (Mat5187)

Clemens Brentano?

„Du“

  1. Die Erde war gestorben
  2. Ich lebt ganz allein
  3. Die Sonne war verdorben,
  4. Bis auf die Augen dein.
  • In der ersten Strophe blickt das lyrische Ich zurück und stellt sehr allgemein fest, dass aus seiner Sicht die Erde gestorben war – was eine völlige Ausblendung der Realität zeigt.
  • In der zweiten Hälfte der Strophe wird das dann auch noch auf die Sonne ausgedehnt.
  • Allerdings erfolgt dann auch eine Präzisierung, die deutlich macht, dass es wohl um ein Liebesgedicht geht.
  • Vor diesem Hintergrund könnte man als aktuelle Deutungshypothese formulieren:
    • Das lyrische ich versucht, einem geliebten Gegenüber deutlich zu machen, dass es eigentlich nichts mehr hatte als die Augen und damit die Gegenwart des Gegenübers.
  • Jetzt taucht die Frage auf,
    • was sich denn da jetzt geändert hat,
    • denn die Augen des geliebten Gegenübers sind ja auch anscheinend schon da gewesen, als die ganze Welt dem lyrischen Ich wie ein Nichts vorkam.
  1. Du bietest mir zu trinken
  2. Und blickest mich nicht an
  3. Lässt du die Augen sinken
  4. So ist’s um mich getan.
  • Die zweite Strophe geht dann genauer auf die aktuelle Situation ein und macht deutlich, dass das geliebte Gegenüber sich anscheinend gerade nicht so liebevoll verhält, wie das lyrische Ich es sich wünscht.
    • Man merkt hier deutlich, wie verengt und auch ggf. durch falsche Einschätzungen belastet jemand in einer heftigen Gefühlssituation reagiert.
  • Das wird verstärkt durch den warnenden Hinweis, dass das lyrische Ich wieder ins Nichts zurück stürzen würde, wenn dieses Verhalten des Gegenübers weiter anhält oder sich nur verstärkt.
    • Das kann wie ein Erpressungsversuch aufgenommen wird,
    • belastet auf jeden Fall eine Beziehung stark.
  • Aktueller Zwischenstand:
    • Das lyrische Ich befürchtet anscheinend, dass die Ausgangssituation sich verstärkt, wenn es nicht einmal mehr die Augen des Gegenübers auf seiner Seite hat.
  1. Der Frühling regt die Schwingen
  2. Die Erde sehnet sich
  3. Sie kann nichts wiederbringen
  4. Als dich, du Gute, dich.
  • Die dritte Strophe verändert die Perspektive.
    • Es geht jetzt um den Frühling und die damit verbundenen Änderungen in der Natur.
  • Das lyrische Ich macht noch einmal deutlich, dass das alles aber keine Bedeutung hat, wenn das „du“ nicht zu ihm zurückgebracht wird.
    • Anmerkung: Geht es nicht eigentlich darum, dass das lyrische Ich zu ihm freiwillig zurückkehrt
    • und ggf. auch geklärt wird, was es mit der Beziehungsstörung auf sich hatte?

Aussagen:

  • Insgesamt zeigt das Gedicht die völlige Abhängigkeit des lyrischen Ichs von dem geliebten Gegenüber.
  • Die ganze Welt existiert für dieses Ich nicht mehr, nur das Gegenüber und seine (?) Liebe.
  • Jetzt befürchtet das lyrische Ich, dass es auch noch diese letzte Basis des Lebens verlieren könnte.
  • Dagegen kann auch der beginnende Frühling nichts ausrichten.
  • Insgesamt also ein Gedicht, das sich voll auf den einen Aspekt der totalen Abhängigkeit von einem anderen Menschen konzentriert.
  • Was hier Anlass zur Sorge ist, bleibt leider völlig offen.
  • Man weiß nicht, ob es ein äußerliches Problem gibt oder aber das lyrische Ich sich das alles nur einbildet.
  • Da man die Haltung der Gegenseite nicht erfährt, kann auch das lyrische Ich von völlig falschen Liebesannahmen ausgehen.

 

  • Ausgehend von diesem Gedicht kann man sehr schön über das Ausmaß der Intensität von Beziehungen sprechen und vor allem die Möglichkeit und auch Gefahr der Selbstaufgabe in einer Beziehung.

Das läuft letztlich auf die Frage hinaus, welche Bedeutung ein Gleichgewicht der Gefühle in einer Beziehung hat, wie viel Macht auch dem gegenüber gegeben wird, wenn man in einem solchen Ausmaß die eigene Abhängigkeit ausdrückt.

Weiterführende Anmerkungen

  • Man könnte sehr schön eine weitere Strophe anhängen, in der das geliebte Gegenüber deutlich macht, dass es ein solches Ausmaß an Selbstaufgabe und Abhängigkeit gar nicht als liebenswert und auch nicht als erstrebenswert ansieht.
  • Denn wer möchte einen Partner haben, der nur mit leuchtenden Augen einen ansieht und dabei sich selbst völlig aufhebt.
  • Was ist auch vor allen Dingen von einer solchen Partnerschaft zu halten? Denn eine gute Beziehung führt doch zu einer wechselseitigen Bereicherung. Hier scheint aber beim lyrischen Ich nichts mehr eigenes da zu sein.
  • Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen haben wir ein Video gemacht, in dem genauer auf Möglichkeiten der Stellungnahme eingegangen wird.
  • Dabei zeigt sich, dass man dabei Tipps auch für andere Texte und sogar für Alltagssituationen nutzen kann.

Zu finden ist das auf der folgenden Seite:
https://textaussage.de/video-tipps-zur-stellungnahme-zu-einem-gedicht-brentano-du

Weitere Infos, Tipps und Materialien