Charakterisierung der Andorraner in: Max Frisch „Andorra“ (Mat4875)

Worum geht es hier?

Max Frischs Theaterstück ist vom Gegensatz zwischen den Andorranern und dem Nachbarvolk der Schwarzen gekennzeichnet.

In zwei Schritten wollen wir versuchen, die beiden Gruppen genauer zu charakterisieren.

Das Grundproblem der Charakterisierung einer Gruppe von Menschen

  • Zunächst einmal muss man sehr vorsichtig sein, wenn man eine große Gruppe von Menschen charakterisieren will. Denn normalerweise unterscheiden sich die einzelnen Individuen in vielerlei Hinsicht.
  • Das ist aber erstaunlicherweise in Frischs Theaterstück fast gar nicht der Fall.

 

Der Anspruch des Positiven bei den Andorranern

  • Alle Andorraner haben ein sehr positives Bild von sich selbst und nutzen ihre Vorstellung von Juden, um sich von denen positiv abgrenzen zu können:‘
    Am besten wird das deutlich, wenn der Doktor erklärt, Andorra sei ein „Hort des Friedens und der Freiheit und der Menschenrechte“ (68).
    Der Frieden wird zumindest im Inneren nicht gewahrt – und auch die Menschenrechte gelten nicht in gleichem Maße für Andri wie für die anderen Andorraner.

Die bittere Realität bei den Andorranern

  • Im realen Verhalten zeigen sie aber, dass sie eigentlich genauso sind, wie sie es den Juden vorwerfen.
    • Das kann man zum Beispiel am Vorwurf, „feige“ (22) zu sein, deutlich machen. Der gleiche Soldat, der das als Unterschied zwischen den Andorranern und Juden hervorhebt, lässt sich beim Verprügeln von anderen Soldaten helfen (vgl. 73) und kämpft später in keiner Weise gegen die Schwarzen. Vielmehr hilft er ihnen noch bei ihren menschenverachtenden Maßnahmen.
    • Doppelzüngig ist auch der Wirt: Zunächst kritisiert er den Tischler und nennt seine Geldforderung für die Ausbildung Andris Wucher (15). Dann nutzt er die Situation,. Er nimmt nämlich dem Lehrer genau die geforderte Summe für ein Stück Land  ab.
    • Der Doktor schließlich ist genau so auf seine Karriere bedacht, wie er es den Juden vorwirft.

Aber es gibt auch zumindest kleine Varianten:

    1. Zum einen beim Pater, der seine Schuld zumindest teilweise anerkennt (vgl. 65).
    2. Dann erstaunlicherweise beim Soldaten, der im Hinblick auf die weiße Farbe deutlich macht, dass bei Regen darunter die rote Farbe (als Symbol für das Böse) zum Vorschein kommt (vgl. 9).

Einseitigkeit als Problem der Parabel

  • Insgesamt merkt man deutlich, dass Max Frisch hier parabelartig ein Modell präsentiert.
    Näheres dazu findet sich hier
    https://textaussage.de/max-frisch-stueck-andorra-als-parabel
  • Allerdings ist damit auch der große Nachteil verbunden, dass man bis auf die beiden genannten Fälle kaum Ansatzpunkte findet für mögliche bessere Verhaltensweisen.
  • Es ist immer problematisch, wenn etwas plakativ dargestellt wird. Hier kann man höchstens versuchen, bei Andri selbst, bei der Mutter und natürlich in besonderer Weise bei Barblin nach besseren Verhaltensweisen und Einstellungen zu suchen.
    Auf der folgenden Seite haben wir versucht, positive Stellen zu finden, an denen ein Happy End zumindest teilweise hätte möglich sein können:
    https://textaussage.de/5-minuten-tipp-kann-man-sich-fuer-frischs-drama-andorra-ein-happy-end-vorstellen
  • Alle scheitern allerdings damit, so dass auch diese Chance, aus Max Frischs Stück mehr herauszuholen als die Beschreibung eines Negativ-Zustandes, letztlich scheitert.

Die Grenzen der Aussagen des Stücks

  • Als Leser wird man am Ende alleingelassen mit der Frage, wie man eine bessere Gesellschaft bauen könnte. Bei dieser kommt zusätzlich noch hinzu, dass sie von einer äußeren Macht bedroht wird, die noch schlimmer ist. D.h.: selbst wenn die Andorraner sich auf einen besseren Weg begeben würden, hätten sie kaum eine Chance gegen die Übermacht ihrer schlimmen Nachbarn.

Herausforderung für Leser und Zuschauer

  • Man kann dieses Stück wohl nur nutzen, um sich selbst zu prüfen.
  • Habe ich auch ein zu positives Bild von mir selbst.
    • Vor allem, wenn es um Konflikte mit anderen geht.
    • Am wichtigsten und ganz im Sinne von Max Frisch:
      Mache ich mir vorschnell ein Bild von anderen Menschen und halte es ihnen auch noch regelmäßig vor.
    • Sollte ich nicht lieber zweimal oder noch öfter hinschauen?
    • Vielleicht sogar ohne Präsentation meiner Vorurteile mit anderen reden?

Man kann es zumindest versuchen – vielleicht kommt man dann doch weiter als die Figuren des Stücks.

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos