Claudius u Gleim, Zwei Kriegslieder im Vergleich (Mat4821)

Worum es hier geht:

Verglichen werden die beiden Gedichte:

  1. Matthias Claudius: „Kriegslied“ und
  2. Wilhelm Ludwig Gleim „Bei der Eröffnung des Feldzugs 1756“

Auf der einen Seite  bei Claudius eine sehr modern wirkende Kritik am Krieg, wenn auch vorsichtig formuliert entsprechend den Möglichkeiten der Zeit.

Auf der anderen Seite ein Gedicht, das nur als hemmungslose Kriegspropaganda verstanden (und aus heutiger Sicht bewertet) werden kann.

Matthias Claudius, „Kriegslied“

1.)
’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

2.)
Was sollt‘ ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen
Und vor mir weinten, was?

3.)
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

4.)
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

5.) Wenn Hunger, böse Seuch‘ und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammleten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich‘ herab?

6.) Was hülf mir Kron‘ und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Aufgabenstellung:

Interpretieren Sie das Gedicht, indem Sie auf Aufbau, Inhalt, Aussage und künstlerisch Eigenart eingehen.

(Mögliche Zusatzaufgabe: Vergleichen Sie dieses Gedicht mit einem anderen der im Unterricht besprochenen Antikriegsgedichte! Zu denken wäre etwa an „Thränen des Vaterlandes“, „Hiroshima“ u.a.)

Hinweise zur Interpretation

Allgemeines und Form
  • Das Gedicht besteht aus sechs Strophen zu jeweils 4 Verszeilen im Kreuzreim.
  • Beim Versmaß handelt es sich um einen Jambus (Abfolge von unbetonter und betonter Silbe) , allerdings mit einer stark unterschiedlichen Anzahl von Hebungen (Betonungen)

’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,

  • fünfhebiger Jambus mit weiblichem Versschluss

Und rede Du darein!

  • dreihebiger Jambus mit männlichem Versschluss

’s ist leider Krieg – und ich begehre

  • vierhebiger Jambus mit weiblichem Versschluss

Nicht schuld daran zu sein!

  • dreihebiger Jambus mit männlichem Versschluss

Fortlaufende Inhaltserläuterung

  • Das Gedicht beginnt mit einer erschrockenen Feststellung, fast hat man den Eindruck, da läuft jemand durch die Stadt, um seine Mitbürger zu warnen.
  • Der Rest der ersten Verszeile zeigt dann schon den christlichen Unterton des Gedichts. Der Sprecher wendet sich direkt an Gottes Engel, weil er wohl nur ihm zutraut, hier noch etwas zu machen, Widerstand zu leisten.
  • Es folgt die Wiederholung des Anfangs der ersten Zeile – dann kommt die zweite Schlussfolgerung aus der Situation, nämlich das sich Wegducken vor einer möglichen Verantwortung. Dieser Sprecher rechnet also erstaunlicherweise nicht in erster Linie mit den schrecklichen Dingen, die mit dem Krieg verbunden sind, sondern er denkt als erstes an seine mögliche Mitverantwortung – ohne dass man Voraussetzungen dafür erfahren würde. Betont werden soll wohl nur das Schreckliche, Schuldhafte eines jeden Krieges.
  • Die zweite Strophe beschreibt einen Traum derer, die für die Folgen des Krieges verantwortlich sind – nur, dass eben der – wohl unschuldige – Sprecher sich diesen Traum vorstellt, während es fraglich ist, ob die Verursacher solche Träume haben. Matthias Claudius wählt hier wohl den indirekten Weg, indem er vom lyrischen Ich sich selbst spricht, hat er vielleicht eher eine Chance, dass diese Botschaft auch die Richtigen erreicht – weil sie sie sonst sowieso sofort als Angriff empfinden und ablehnen würden. Hier liegt eine Art Parabelsituation vor, man spricht von etwas anderem, um an der richtigen Stelle Eindruck zu machen.
  • Die Strophen 3 bis 5 schildern dann jeweils konkrete Kriegsfolgen, wobei der Sprecher sie wieder zunehmend anklagend auf sich bezieht – zuletzt sogar in der ironisch-sarkastischen Vorstellung von einer Ehrfeier über Leichenbergen. Hier soll wohl am deutlichsten Kritik geübt werden an der damals noch normalen Vorstellung von Leistungen im Krieg.
  • Die letzte Strophe ist dann schon fast überdeutlich, denn der Sprecher versetzt sich in die Lage eines Monarchen der damaligen Zeit und macht deutlich, dass alle Kriegserfolge letztlich die Opfer nicht wert sind.

Zusammenfassung

  • Es handelt sich zu Recht um ein sehr berühmtes Gedicht, weil es sich sehr naiv-christlich gibt, dabei aber sehr deutlich (allerdings indirekt) Kritik an der damals noch üblichen Einstellung zumindest der Mächtigen zum Krieg übt.
  • Deutlich wird eine Dreiteilung: Zunächst ein spontanes Entsetzen über den Kriegsausbruch und die Wendung an Gott, dann ein ausführliches und mehrstufiges Eingehen auf die Schrecken des Krieges, verbunden mit Angstträumen angesichts möglicher Verantwortung dafür, schließlich am Ende der schon recht deutliche Hinweis auf diejenigen, die mit ihren Kriegszielen solche Ereignisse überhaupt erst möglich machen. Am Ende steht noch einmal der Hinweis auf die Verantwortung derer, die Kriege als Mittel der Politik einsetzen.

Allgemeine Informationen zum Umfeld dieses Gedichts

  • Matthias Claudius (1740-­1815), den man nach der von ihm herausgegebenen Zeitschrift auch den „Wandsbecker Boten“ nannte, war bekannt für eine eher volkstümliche Poesie. Noch heute bekannt von ihm ist das „Abendlied“ („Der Mond ist aufgegangen…“)
  • Typisch für Claudius war, dass er ohne jede Pose, in keiner Manier, sondern aus dem Herzen, einfach, schrieb, wahrhaftig, christlich‑demütig, wie er war. Interessant ist ein Vergleich seines „Kriegshelden“ mit dem in Gleims Gedichten (ein Beispiel weiter unten). Bei Claudius geht es um wirkliche Menschen, er spricht von „wackren Männern“, die die versprochene Ehre suchten und nun in Todesnot, „verstümmelt und halb tot“ sich im Staub wälzen.
  • Matthias Claudius beschreibt aber nicht nur, sondern er zieht auch Konsequenzen aus seinen Erfahrungen, seinem Bewusstsein des Krieges: In seinem verzweifelten Begehren, „nicht schuld“ an diesem fürchterlichen Krieg zu sein, und eben doch sich als Christ mitverantwortlich fühlend, bittet er Gott urn Hilfe: er möge sein Gnadenwort sprechen. Der Krieg ist nicht mit  Gott (wie bei Gleim), sondern gegen Gott und gegen die Menschen; er bringt unvorstellbares Leid über alle Beteiligten ‑ das heute so abgedroschene Wort „leider“ ist hier noch in seiner wahren Bedeutung erhalten.
  • Matthias Claudius war keineswegs so einfältig-naiv, wie dieses Gedicht zunächst klingen mag, er gibt sich nur diesen Schein, um desto freimütiger seinem Herzen Luft machen zu können.
  • Indem er ahnungslos fragt: „Was sollt‘ ich machen … was?“ und alle Schreckensvisionen des Krieges auf sich bezieht, kann er dem Monarchen einen Spiegel vorhalten, in dem dieser die wahre Katastrophe des Krieges erkennen muss. In der ersten Fassung des Gedichts gab es noch eine 7. Strophe, die lautete:

Doch Friede schaffen, Fried im Land und Meere:
Das wäre Freude nun!
Ihr Fürsten, ach, wenn’s irgend möglich wäre!
Was könnt Ihr Größers tun?

  • Hier spielt Claudius noch deutlicher den Naiven, hinter dessen einfältig vorgebrachter Bitte der innige Wunsch und die Aufforderung stecken, den Frieden wiederherzustellen und das Unglück, das der Krieg für Sieger wie Besiegte bringt, zu beenden.
  • Auch Resignation schwingt mit, berechtigter Zweifel, dass der Herrscher die schwierige Aufgabe des Friedenerhaltens überhaupt als groß begreift.
  • Matthias Claudius wandte sich bewusst von der „Göttersprache“ der „Klopstockianer“ ab und bemühte sich um eine natürliche, verständliche Alltagssprache. Seine Einfachheit war allerdings nicht primitiv, sondern höchst kunstvoll: es war sozusagen eine einfache Form, die am Ende eines intensiven Durchdringungsprozesses stand.

Zum Vergleich:
Wilhelm Ludwig Gleim, Bei der Eröffnung des Feldzuges 1756

Hier zunächst eine auch optische Vergleichsfassung.

Weiter unten die beiden Spalten noch separat:

Wilhelm Ludwig Gleim

Bei der Eröffnung des Feldzuges 1756

1.)
Krieg ist mein Lied! Weil alle Welt
Krieg will, so sei es Krieg!
Berlin sei Sparta! Preußens Held
Gekrönt mit Ruhm und Sieg!

2.)
Gern will ich seine Taten tun,
Die Leier in der Hand,
Wenn meine blutgen Waffen ruhn
Und hangen an der Wand.

3.)
Auch stimm ich hohen Schlachtgesang
Mit seinen Helden an
Bei Pauken‑ und Trompetenklang,
Im Lärm von Ross und Mann;

4.)
Und streit, ein tapfrer Grenadier,
Von Friedrichs Mut erfüllt!
Was acht ich es, wenn über mir
Kanonendonner brüllt?

5.)
Ein Held fall ich; noch sterbend droht
Mein Säbel in der Hand!
Unsterblich macht der Helden Tod,
Der Tod fürs Vaterland!

6.)
Auch kommt man aus der Welt davon‘
Geschwinder wie der Blitz;
Und wer ihn stirbt, bekommt zum Lohn
Im Himmel hohen Sitz!

7.)
Wenn aber ich als solcher Held
Dir, Mars, nicht sterben soll,
Nicht glänzen soll im Sternenzelt,
So leb ich dem Apoll!

8.)
So werd aus Friedrichs Grenadier,
Dem Schutz, der Ruhm des Staats;
So lern er deutscher Sprache Zier
Und werde sein Horaz.

9.)
Dann singe Gott und Friederich,
Nichts Kleiners, stolzes Lied!
Dem Adler gleich erhebe dich,
Der in die Sonne sieht!

Hinweise zu diesem Gedicht

  1. Es handelt sich um das Gedicht eines Dichters, der sich voll und ganz auf den zur Zeit Klopstocks aufkommenden deutschen Patriotismus einstellt.
  2. Konkreter Bezug ist der Siebenjährige Krieg Friedrichs des Großen, in dem dieser seine Eroberung Schlesiens gegen Österreich und andere Mächte verteidigen muss.
  3. Dieser Krieg begründete endgültig den Ruhm Friedrichs des Großen in Preußen-Deutschland, obwohl es ein Vabanque-Spiel war, das fast schief gegangen wäre. Nur ein Thronwechsel in Russland rettete den preußischen König.
  4. Auffallend ist die naive Glorifizierung des Krieges, zwar ist vom Tod die Rede, aber nicht von dessen schrecklichen Umständen – und natürlich steht am Ende Unsterblichkeit.
  5. Interessant ist die Wendung im Schlussteil, wo der Sprecher plötzlich meint, sich fast für die Möglichkeit des Weiterlebens entschuldigen zu müssen, indem er dann wenigstens von Preußens Ruhm verkündigen will.
  6. Hier handelt es sich keineswegs um Volkspoesie, sondern um ein Propagandalied in Odenform. das sich nur einfach gibt.
  7. Später wurde dieser falsch verstandene Volkston von Herder sowie den Dichtern des Sturm und Drang entsprechend angegriffen.

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos