Die Künstliche Intelligenz – ihre Chancen und Risiken für Freiheit und Demokratie (Mat4280-kfd)

Worum es hier geht:

Wir zeigen, wie man sich von einem Youtube-Video zu weiterführenden Gedanken anregen lassen kann.

Das Video ist hier zu finden:
https://youtu.be/16VhIZBKbEI?si=jMhi0P8tW0MOMoD5

und hat den Titel:

Dieser Text verbindet die Kerngedanken des IAI-Videos „From Providence to Bureaucracy“ mit ergänzenden Überlegungen zu Demokratie, Sprache und Ethik. Er dient als Grundlage für weiterführende Diskussionen im Unterricht (Oberstufe, Philosophie, Sozialwissenschaften, Deutsch).

1. Wandel der Geschichtstreiber

Das Video zeichnet die Entwicklung der angenommenen Triebkräfte der Geschichte nach: Von der göttlichen Vorsehung über das individuelle Genie bis hin zu Technik und Bürokratie. Heute wird gesellschaftlicher Fortschritt zunehmend durch technische Systeme bestimmt, die nach dem Prinzip ‚Wenn X, dann Y‘ funktionieren. Damit verschiebt sich die Macht von menschlichen Entscheidungen zu algorithmischen Prozessen.

2. Max Weber und der ‚Eiserne Käfig‘

Max Weber beschrieb schon im 19. Jahrhundert die Bürokratie als Herrschaft der Verfahren. Seine Warnung vor dem ‚eisernen Käfig‘ steht sinnbildlich für eine Gesellschaft, in der Regeln, Formulare und Abläufe menschliche Freiheit ersetzen. Der moderne Algorithmus setzt diese Entwicklung fort – nur mit digitaler Geschwindigkeit. Bürokratie wird zu Code.

3. Algorithmen als neue Machtstrukturen

Die Macht von Algorithmen zeigt sich heute besonders im digitalen Alltag: Wer Inhalte online teilt, erlebt, dass nicht mehr er selbst bestimmt, wer sie sieht, sondern eine KI. Diese entscheidet – nach undurchsichtigen Kriterien – ob, wie oft und wem ein Beitrag angezeigt wird. Dieses unsichtbare Filtern, Verstärken oder Unterdrücken von Inhalten (bis hin zum sogenannten ‚Shadow Banning‘) verändert öffentliche Kommunikation grundlegend. So entsteht eine neue Form von Bürokratie: nicht durch Papier, sondern durch Plattformlogik.

4. Vom demokratischen Duden zur algorithmischen Norm

Früher spiegelte der Duden den tatsächlichen Sprachgebrauch wider – er war demokratisch, weil er dokumentierte, was die Menschen wirklich sagten und schrieben. Heute jedoch beeinflussen KI-gestützte Textsysteme aktiv, welche Formulierungen häufig vorkommen und dadurch als ’normal‘ gelten. Damit verschiebt sich Sprachwandel von unten nach oben. Sprache wird programmiert – und mit ihr das Denken.

5. Demokratie und algorithmische Entscheidung

Einige Zukunftsvisionen gehen noch weiter: Künstliche Intelligenz könnte eines Tages im Namen der Bürgerinnen und Bürger politische Entscheidungen treffen – auf Basis ihrer bisherigen Daten, Vorlieben und Klickmuster. Das klingt effizient, birgt aber die Gefahr, dass Demokratie zur technischen Rechenaufgabe wird. Der Bürger würde nicht mehr selbst wählen, sondern ‚von der KI vertreten‘ werden. Die Grenze zwischen Unterstützung und Entmündigung verschwimmt.

6. Medizinische Ethik im Zeitalter der KI

Ein besonders sensibles Feld ist die Medizin. Wenn KI-Systeme Diagnosen stellen und Therapien vorschlagen, stellt sich die Frage nach Verantwortung neu. Ärzte könnten sich – aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen – dazu gedrängt fühlen, ausschließlich dem KI-Vorschlag zu folgen. Das kann zu höherer Sicherheit führen, aber auch zur Entmündigung des ärztlichen Urteils. Ethik wird so zum Balanceakt zwischen menschlicher Verantwortung und technischer Autorität.

7. Demokratie, Medien und Machtkonzentration

Das Video erinnert indirekt daran, dass Demokratie auf informierte Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist. Früher sorgten konkurrierende Zeitungen für unterschiedliche Sichtweisen. Heute sind viele Medien ökonomisch abhängig von großen Konzernen, die zugleich über technologische Infrastruktur verfügen. Wenn dieselben Akteure Information, Technik und Kapital kontrollieren, entsteht eine neue Form der Macht – eine Symbiose von Bürokratie, Technologie und Ökonomie. Diese Struktur kann pluralistische Meinungsbildung erschweren.

8. Verantwortung statt Regelgläubigkeit

Im Zentrum steht die Frage: Wie kann Verantwortung bewahrt werden, wenn Entscheidungen automatisiert werden? Weber unterschied zwischen der Ethik des Bürokraten (Regelbefolgung) und der Ethik des Führers (Verantwortung für Folgen). Feyerabend hätte ergänzt: Wahres Denken und die entsprechende Erkenntnis entstehen erst dort, wo man Regeln bewusst überschreiten darf – ausgehend von den Besonderheiten des Objekts. Der Unterricht kann hier ansetzen – nicht durch blinde Ablehnung der Technik, sondern durch kritisches Verstehen ihrer Logik.

Man könnte das noch etwas abwandeln und ein Spannungsfeld sehen zwischen dem individuellen Blick auf ein Objekt und dem, was durch Regeln oder eine Norm vorgegeben ist.

9. Was das für den Deutschunterricht bedeuten kann

Das würde etwa bedeuten, dass alle Checklisten für die Gedichtinterpretation natürlich hilfreich sein können, dass sie individuelles Denken und eigene Ansätze („studium“ und „punctum“ bei Roland Barthes) behindern oder sogar unmöglich machen..
Näheres dazu findet sich hier:
https://schnell-durchblicken.de/erst-punktum-dann-studium-eine-chance-fuer-mehr-freude-an-gedichten-im-deutschunterricht-mit-roland-barthes

Besonders bei zentral gestellten Klausuren für die Schulen eines ganzen Landes kommt individuelles Denken  möglicherweise zu kurz, sondern auch die Fähigkeit und Bereitschaft, in einer Lerngruppe die gesteckten  Ziele im Rahmen einer Art „Auftragstaktik“ zu vernachlässigen. Ein Teil der Unterrichtsplanung widmet sich dann der  Frage, was sich irgendwelche Leute wohl als Abituraufgabe ausdenken könnten.

10. Leitfragen für Unterricht und Diskussion

  • Wie verändert die Technik unser Denken über Verantwortung?
    • Wann hilft Regelhaftigkeit – und wann behindert sie Einsicht?
    • Was bedeutet Freiheit, wenn Algorithmen über Sichtbarkeit entscheiden?
    • Welche Verantwortung tragen Menschen, die KI-Systeme programmieren oder anwenden?
    • Wie kann Bildung helfen, zwischen rationaler Effizienz und menschlicher Urteilskraft zu vermitteln?

Quelle: Institute of Art and Ideas (IAI.tv) – „From Providence to Bureaucracy: Technology as the Driving Force of History“, ergänzt durch eigene Überlegungen von Anders Freistein (2025).

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