Ein Gedicht in Prosa umwandeln – Beispiel: Goethe, „Prometheus“ (Mat4469)

Warum sollte man ein Gedicht in Prosa umwandeln, also in eine „normale“ Darstellung ohne Zeilenumbruch durch Verseinteilung?

Zunächst einmal dient es der Darstellung des eigenen Verständnisses. Das dürfte aber bei vielen Gedichten schwierig sein, weil die ja zum Teil sehr lückenhaft sind. In der Analyse kann man die Lücke einfach beschreiben – beim Umwandeln in Prosa aber muss man sie füllen.

Sinnvoller ist es, ein Gedicht in Prosa umzuwandeln, das schon sehr nah an „normaler Sprache“ ist. Dann wird nämlich das Besondere der Gedichtform besonders deutlich, ohne dass die beschriebene Schwierigkeit auftaucht.

Nehmen wir zum Beispiel Goethes Gedicht „Prometheus“:

https://www.einfach-gezeigt.de/goethe-prometheus-aussagen-deutung

Die erste Strophe lautet im Original:

Bedecke deinen Himmel, Zeus,

Mit Wolkendunst!

Und übe, Knaben gleich,

Der Disteln köpft,

An Eichen dich und Bergeshöhn!

Musst mir meine Erde

Doch lassen stehn,

Und meine Hütte,

Die du nicht gebaut,

Und meinen Herd,

Um dessen Glut

Du mich beneidest.

Wir versuchen jetzt mal, nah am Text zu bleiben und gleichzeitig wegzukommen von der Versform:

  • Deck deinen Himmel zu, Zeus, schieb Wolken vor und übe dich mit deinen Blitzen an Eichen und Bergen.
  • Lass meine Erde und meine Hütte stehen, die du schließlich nicht gebaut hast. Verschone auch meinen Herd, um dessen Feuer du mich beneidest.

Wenn man das sprachlich auch noch stärker modernisieren will, könnte das so aussehen: Dann sieht man auch den Unterschied zwischen einer textnahen Prosafassung und einer, die die Alltagssprache der heutigen Zeit nutzt.

  • Zeus, ich sag dir: Mach deinen Himmel zu, schieb einfach ein paar Wolken vor. Ich will nichts mehre von dir sehen und auch nicht gesehen werden. Und deine Blitze, wenn du die unbedingt loswerden willst, dann hau einfach ein paar Eichen um oder versuch dich mal damit bei richtigen Bergen. Da kommst du vielleicht an deine Grenzen.
  • Und was meine Erde angeht, ja meine Erde, denn ich liebe alles, was auf ihr ist, lass sie in Ruhe. Und besonders auch meine Hütte, die hab ich nämlich selbst gebaut. Und vor allem: Finger weg von meinem Herd. Ich weiß wohl, du beneidest mich um dieses wärmende Feuer – lass das alles in Ruhe und verzieh dich.

Dies nur als Anregung.

Auf jeden Fall wird deutlich:

  1. Wieviel Kunst allein in der Umstellung von Wörtern liegt:
    Und übe, Knaben gleich, / Der Disteln köpft, / An Eichen dich und Bergeshöhn!
    Statt:
    „Und übe dich, einem Knaben gleich, der Disteln köpft, an Eichen und Bergeshöhn.“
  2. Dann, was der Unterschied ist zwischen einer nah am Original sich befindenden Prosafassung und einer Modernisierung.
  3. Vor allem wird deutlich, dass es normalerweise viel mehr Spaß macht, die ganze Wucht des Textes auch in heutiger Sprache sichtbar zu machen. Und da wirkt es stärker, wenn man sagt: „Mach mach dich mit deinen Blitzen doch einfach über Eichen her oder versuch es mal an Bergen. Da stößt du bestimmt bald an deine Grenzen.“

Wer noch mehr möchte …