Anmerkungen zum Gedicht „Chor der Fräuleins“ von Erich Kästner (Mat4256)

Allgemeines zu diesem Gedicht

Das Gedicht beschäftigt sich mit einer besonderen Situation in der Geschichte der Emanzipation der Frauen – und stellt sie aus ihrer Sicht dar.

Zu finden ist das Gedicht z.B. hier.

Anmerkungen zur Überschrift:

  • Dieses Gedicht geht ein auf die Situation unverheirateter Frauen etwa in der Zeit der Weimarer Republik. Vor allem geht es dabei auch um die Frage, wieviel Spielräume diese Menschen hatten oder sich verschaffen konnten.
  • Aus heutiger Sicht könnte jemand dieses Gedicht für nicht sehr fortschrittlich halten. Man muss es allerdings in seinem Zeitkontext betrachten und bewerten.
  • D.h.: Vor allem muss man auch berücksichtigen, dass die Zeiten, in denen junge Frauen zum Beispiel nur als Hausmädchen beschäftigt wurden, nicht unbedingt eine bessere Situation darstellen.

Anmerkungen zu Strophe 1

  • Die erste Strophe macht schon deutlich, dass das lyrische Ich aus der Wir-Position spricht, sich also als Teil einer Gemeinschaft fühlt. Es heißt in der Überschrift ja schließlich auch „Chor der Fräuleins“.
  • Damit ist eine wesentliche Voraussetzung für Selbstorganisation etwa in Richtung einer Gewerkschaft gegeben.
  • Dass lyrische Ich konzentriert sich auf eine Tätigkeit als Schreibkraft unter Nutzung des Fortschritts, den Schreibmaschinen mit sich brachten.
  • Das „Hämmern“ macht deutlich, wie anstrengend die Tätigkeit ist und wieviel Lärm sie in einem großen Raum produziert.
  • Aber das gehört zum damaligen Stand der Technik und muss so auch bewertet werden.
  • Interessanter ist der Vergleich mit dem Klavierspielen. Der ist möglicherweise hier negativ gemeint, aber das ist auch nicht unbedingt sicher. Denn die Frauen, die verheiratet waren und deren Mann über genügend Geld verfügt, hatten zum Teil nicht viel mehr Möglichkeiten als Partys zu geben und Klavier zu spielen. Ob es ihren wirklichen Interessen entsprach, sei dahingestellt.
  • Die letzten beiden Zeilen nehmen den finanziellen Aspekt auf und verweisen darauf, dass diese Tätigkeit als Schreibkraft nicht den eigenen Wünschen entspricht, sondern mit der Notwendigkeit zusammenhängt, sich den Lebensunterhalt zu verdienen.
  • Wichtig für das Verständnis ist, dass es sich hier um unverheiratete Frauen handelt, denn sobald eine Frau die Ehe eingegangen war, lagen ihre Aufgaben vor allem im Bereich der Hauswirtschaft und der Kindererziehung. Für viele Männer war es undenkbar, dass ihre Frau eigenes Geld verdient und sich dabei der Öffentlichkeit aussetzt.

 

Anmerkungen zu Strophe 2

Diese Strophe geht genau auf die Situation des Nicht-verheiratet-Seins ein.

  • Recht modern wirkt, dass Frauen das offensichtlich auch positiv gesehen haben.
  • Hingewiesen wird auf das Verhältnis zu Männern, das offensichtlich auch dadurch bestimmt war, dass diese im Unterschied zu diesen relativ selbstständigen Frauen eine dauerhafte Partnerschaft wollten.
  • In diesem Falle sind die Frauen dieses Gedichtes auch zu einer Notlüge bereit.

Anmerkungen zu Strophe 3

  • Die dritte Strophe macht ein deutlich, dass diese Frauen durchaus sexuelle Bedürfnisse hatten, deren Befriedigung aber offensichtlich ganz im Sinne der eigenen Interessen planten.
  • Die dritte Zeile kann möglicherweise so verstanden werden, dass man dort dann zumindest kurzzeitig das Gefühl hatte, wie in einer Ehe zusammen zu sein, aber den Genuss von „schön“ und „gesund“ selbstbestimmt genießen konnte.
  • Nicht vergessen werdem spööte, dass es in den Zeiten, um die es hier geht, für den Mann in der Ehe durchaus das Recht gab, die sogenannten ehelichen Pflichten einzufordern.

Anmerkungen zu Strophe 4

  • In dieser Strophe betonen die jungen Frauen noch einmal, dass die Situation des Verheiratetseins nicht unbedingt besser sein müsste.
  • Es folgt die Abgrenzung zu den moralischen Vorgaben der Kirchen. Besonders lehnt man den Vorwurf der verlorenen Ehre ab. Auch die Bezeichnung „gefallene Mädchen“ hätte man hier  hinzuziehen können, die üblich war für junge Frauen, die Sex außerhalb der Ehe betrieben oder zugelassen haben. Das Probleme wurde dann vor allem bei einer ungewollten Schwangerschaft sichtbar.
  • Am Ende noch eine kleine spitze Listen – mit der Forderung, die Moralhüter sollten erst mal genauso treu sein wie diese Frauen in den Schreibmaschinen. Dahinter steckt wohl die Vorstellung bzw. Erfahrung, dass Ehe-Verhältnisse besonders von Seiten der Männer nicht unbedingt gleichzeitig Treue bedeuten mussten.
  • Interessant, dass hier von Liebe überhaupt nicht die Rede ist.
  • Dieses Gedicht lässt offen, welchen Beziehungen diese Frauen hatten. Es wird hier andeutend reduziert auf „schön“ und „gesund“.

Anmerkungen zu Strophe 5

  • Dieses Gedicht bekommt dadurch seinen besonderen Reiz, dass nach einer anscheinend klaren und sicheren Darstellung der eigenen Position diese am Ende überraschenderweise infragegestellt wird.
  • Offensichtlich kommt auch bei diesen Frauen die biologische Natur durch, die das Muttersein mit Gefühlen des Glücks verbindet.
  • Am Ende dann aber der trotzige Hinweis darauf, dass man mit dieser kleinen Einschränkung des Glücks als Schreibkraft mit Liebeszeiten am Abend leben kann.

Anmerkungen zur Textaussage

Das Gedicht zeigt

  1. … die Situation junger Frauen in der Zeit der Weimarer Republik, die als Schreibkraft arbeiteten.
  2. … ihr Selbstbewusstsein als unverheiratete Frauen,
  3. … die Souveränität, mit der sie auch ihr Beziehungsleben organisierten
  4. … die Nicht-Anerkennung der offiziellen Moral,
  5. … verbunden mit versteckter Kritik an der Eherealität
  6. … am Ende doch die zumindest kurzzeitig empfundene Sehnsucht nach einem Leben als Mutter.

Wer noch mehr möchte …