Friedrich Hebbel, „An einen Freund“

Friedrich Hebbel

An einen Freund

  • Die Überschrift macht deutlich, dass es sich bei dem Gedicht um eine Nachricht an einen Freund  handelt.
  • Das kann zum einen ganz allgemein bedeuten, dass man sich mit dem Gedicht an einen Freund wenden kann – das wäre dann so eine Art Ratschlag.
  • Es ist natürlich auch möglich, dass dieses Gedicht sich an einen ganz bestimmten Freund, einen aus der Menge der Freunde, richtet. Dann ist fraglich, ob es sich nicht letztlich um einen Sachtext handelt, den Hebbel in Gedichtform an einen Freund gerichtet hat.
  • Wenn das im Gedicht selbst nicht deutlich wird, ist es sicherlich sinnvoll zu schauen, inwieweit dieses Gedicht dann auch die Qualität des Allgemeinen hat.

 

Was dir Schlimmes oder Gutes
Auch das Leben bringen kann,
Nimmst du stets gelassnen Mutes
Und zufriednen Sinnes an.

  • Die erste Strophe stellt den Freund in der Anredeform vor.
  • Hervorgehoben werden seine Gelassenheit und seine Zufriedenheit, ganz gleich, ob Schlimmes oder Gutes ihm entgegen tritt.
  • Bei einem aufmerksamen, nachdenklichen und einigermaßen lebenserfahrenen Leser kann sich hier die Frage stellen, inwieweit es sich um eine realistische Beschreibung handelt. Denn kaum jemand wird einen Freund kennen, der bei einem Lottogewinn genauso reagiert wie bei einer Krebsdiagnose.

Nur das Ganze macht dir Sorgen,
Nur, was nie ein Mensch ermisst,
Ob ein Rätsel drin verborgen,
Und ob dies zu lösen ist.

  • Die zweite Strophe versucht dann, von dem Guten oder auch Schlimmen, das einem Menschen begegnen kann, etwas Größeres abzutrennen, das einem durchaus Sorgen machen kann.
  • Die Frage ist, was das ganze hier bedeutet, was darunter zu verstehen ist.
  • Die restlichen drei Zeilen deuten dann zumindest an, dass es sich hierbei um etwas ganz Außergewöhnliches handeln muss, das für diesen außergewöhnlichen Menschen eine Herausforderung darstellt.
  • Auf jeden Fall soll es sich um ein Rätsel handeln, das schwer zu lösen ist.
  • Wenn man Goethes „Faust“ kennt, könnte man sich fragen, inwieweit er diesem Typus Freund entspricht.
  • Ansonsten ist es für das Verständnis und die Beurteilung des Gedichtes sicherlich interessant, ob einem selbst ein entsprechendes Rätsel einfällt: Der Philosoph Heidegger hat ja zum Beispiel die Frage gestellt: Warum gibt es überhaupt etwas und nicht überhaupt nichts.
  • Etwas fragwürdig ist die Eingrenzung: „Nur, was nie ein Mensch ermisst,“ denn sie kann man natürlich so verstehen, dass hier etwas Übermenschliches geleistet werden soll. Das ist aber ein Widerspruch in sich, wenn das ein Mensch leisten soll.

Kann der Buchstab′ denn ergründen,
Was das Wort bedeuten soll?
Wenn sich alle treu verbunden,
Wird es ja von selber voll.

  • Hier wird es mit dem Verständnis des Gedichtes schwierig, weil die bisherige Anredeform mit entsprechendem Inhalt verlassen wird.
  • So weiß man zunächst überhaupt nicht, was mit dem „Wort“ gemeint ist.
  • An einer solchen Stelle ist es wichtig, gewissermaßen mal kurz zurückzutreten. Man braucht Abstand zum ersten Blick auf die Textstelle. Dann kann man nämlich auf eine neue Idee kommen:
  • Offensichtlich soll hier an einem anderen Beispiel das Verhältnis vom einzelnen (Buchstabe) zum ganzen (Wort) verdeutlicht werden.
  • Dann ist es aber eine recht einfache Wahrheit, dass das Wort komplett ist, wenn alle Buchstaben an ihrem richtigen Ort stehen.

 

Nimm die Traube, wie die Beere,
Nimm das Leben, wie den Tag!
Was es auch zuletzt beschere,
Immer bleibt′s ein Lustgelag!

  • Die letzte Strophe beginnt dann mit Begriffen und entsprechenden Vorstellungen, die wohl für gemeinsames Weintrinken oder Ähnliches stehen.
  • Das wird dann gleichgesetzt mit dem ganzen Leben und dem Tag. Und damit ist dann klar, dass Beere und Traube hier ein weiteres Beispiel sind für das Verhältnis vom Einzelnen zum Ganzen.
  • Die letzten zwei Zeilen sind schon eine ziemliche Dreistigkeit, wenn nicht sogar eine empathielose Frechheit, wenn hier behauptet wird, dass sowohl die einzelnen Tage eines Lebens wie auch das gesamte Leben ein „Lustgelag“ sei, also eine fröhliche Veranstaltung mit viel Essen und Trinken.
  • Es kann natürlich auch Gedankenlosigkeit oder Dummheit sein. Jedenfalls ist es eine sehr einseitige Sicht auf das Leben, die jeden schmerzlich berühren muss, der das anders erfährt.
  • Wenn man am Ende noch mal den Titel und damit die Kommunikationssituation heranzieht, wäre das noch erträglich, wenn am Ende der Wunsch geäußert würde, dass es bei diesem außergewöhnlichen Freund doch so bleiben möge. Stattdessen wird behauptet, dass es so sein wird.
  • Es bleibt der Eindruck einer großen Oberflächlichkeit und Vordergründigkeit. Letztlich setzt sich die problematische Feststellung vom Anfang bis zum Ende fort.

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