Friedrich Hebbel, „Das Kind am Brunnen“ (Mat4434 )

Anmerkung zur Überschrift

„Das Kind am Brunnen“

  • Die Überschrift des Gedichtes macht nur erste Andeutungen.
  • Allerdings kann die Kombination von Kind und Brunnen einen auf den Gedanken bringen, dass das mit Gefahren verbunden ist.

Anmerkung zu Strophe 1

Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht!
Doch die liegt ruhig im Schlafe.
Die Vöglein zwitschern, die Sonne lacht,
Am Hügel weiden die Schafe.

  • Das Gedicht beginnt mit einem Warnruf in Richtung Amme, also der Frau, die für die Betreuung eines Kleinkindes zuständig ist.
  • Offen bleibt, wer diesen Ruf ausstößt. Es könnte ein fiktiver Beobachter der Szene sein.
  • Das hätte im Vergleich zu einer einfachen Beschreibung den Vorteil, dass der Leser stärker in eine mögliche Dramatik einbezogen wird.

Anmerkung zu Strophe 2

Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf,
Es wagt sich weiter und weiter!
Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf,
Da stehen Blumen und Kräuter.

  • Die Perspektive eines Betrachters oder Beobachters wird genutzt, um die Dramatik der Entwicklung deutlich werden zu lassen.
  • Das Kind ist nicht nur aufgewacht, sondern auch in Bewegung in Richtung Brunnen.
  • Eine gewisse Entspannung entsteht dadurch, dass das Kind offensichtlich nicht den Brunnen selbst als Ziel hat, sondern Blumen und Kräuter, die um den Brunnen herum zu sehen sind.

Anmerkung zu Strophe 3

Frau Amme, Frau Amme, der Brunnen ist tief!
Sie schläft, als läge sie drinnen!
Das Kind läuft schnell, wie es nie noch lief,
Die Blumen locken’s von hinnen.

  • Diese Strophe ist zweigeteilt: Zunächst wird weiter nach der Amme gerufen.
  • Der Hinweis auf die Tiefe des Brunnens soll die Gefahr deutlich machen.
  • In der zweiten Zeile dann eine ironische Anmerkung, bei der der Tiefschlaf mit der Tiefe des Brunnens verglichen wird.
  • Die zweite Hälfte der Strophe wendet sich dann dem Kind zu und betont das Besondere der Situation. Es handelt sich um eine Kombination von außergewöhnlicher Schnelligkeit und Anziehungskraft der Blumen am Brunnen.

Anmerkung zu Strophe 4

Nun steht es am Brunnen, nun ist es am Ziel,
Nun pflückt es die Blumen sich munter,
Doch bald ermüdet das reizende Spiel,
Da schaut’s in die Tiefe hinunter.

  • Diese Strophe lässt die Gefahr näher rücken, weil der Reiz der Blumen nicht lange anhält.
  • Stattdessen richtet sich die Aufmerksamkeit des Kindes jetzt auf den Brunnen und seine Tiefe.

Anmerkung zu Strophe 5

Und unten erblickt es ein holdes Gesicht,
Mit Augen, so hell und so süße.
Es ist sein eig’nes, das weiß es noch nicht,
Viel stumme, freundliche Grüße!

  • Zum möglicherweise tödlichen Problem wird das Spiegelbild des Kindes.
  • Es kennt das Phänomen offensichtlich noch nicht und glaubt dort unten eine Art Spielkameraden zu finden.
  • Die letzte Zeile soll wohl andeuten, dass es ihm erst mal freundliche Grüße hinunterschickt.

Anmerkung zu Strophe 6

Das Kindlein winkt, der Schatten geschwind
Winkt aus der Tiefe ihm wieder.
Herauf! Herauf! So meint’s das Kind:
Der Schatten: Hernieder! Hernieder!

  • In dieser Strophe kommt es zu einem Kontakt zwischen dem winkenden Kind und dem scheinbar zurückwinkenden Spiegelbild.
  • Das Problem ist, dass die Geste, mit der das Kind den scheinbaren Spielpartner zu sich heraufwinkt, von unten zurückgespiegelt wird, aber optisch scheinbar in der Gegenrichtung.
  • Die letzte Zeile versucht das wiederzugeben, was jetzt als Wink das Kind zu erreichen scheint, nämlich das Hinunterkommen zu diesem Schattenbild.

Anmerkung zu Strophe 7

Schon beugt es sich über den Brunnenrand,
Frau Amme, du schläfst noch immer!
Da fallen die Blumen ihm aus der Hand,
Und trüben den lockenden Schimmer.

  • Die Dramatik verschärft sich dadurch, dass dem Kind die Blumen aus der Hand fallen, was die Verlockung vergrößert.
  • Dem entgegengesetzt wird die fehlende Betreuung, die ein Unglück jetzt hätte verhindern können.

Anmerkung zu Strophe 8

Verschwunden ist sie, die süße Gestalt,
Verschluckt von der hüpfenden Welle,
Das Kind durchschauert’s fremd und kalt,
Und schnell enteilt es der Stelle.

  • Anders als vom Leser vielleicht erwartet, gibt es ein happy end.
  • Das, was zunächst die Gefahr zu vergrößern schien, vermindert sie jetzt.
  • Die fallenden Blumen haben nämlich Wellen erzeugt. Das wiederum erweckt bei dem Kind den Eindruck, dass das lockende Bild dort am Grund des Brunnens verschwunden zu sein scheint.
  • Damit ist der Reiz sowohl der Blumen als auch des Brunnens mit seinem Spiegelbild vorbei und das Kind läuft zurück und rettet damit unbewusst sein Leben.

Insgesamt

  • ein Gedicht, das als typische Ballade in Versform einen dramatischen Vorgang präsentiert.
  • Etwas besonderes ist einmal eine ungewöhnlich eingebaute Beobachter-Perspektive.
  • Zum anderen gönnt das Gedicht dem Leser ein happy end. Das Besondere ist hier, dass eine scheinbare Verschärfung der Gefahr, nämlich das Herabfallen der Blumen, letztlich zur Rettung des Kindes führt.
  • Interessant könnte es sein, eine Anschlussstrophe zu schreiben, in der das Kind die inzwischen wach geworden Amme zum Brunnen führt. Dabei durchlebt diese offensichtlich pflichtvergessene Frau nachträglich in der Fantasie die Schreckenssituation.

Wer noch mehr möchte …