Goethe, „Werther“ – Inhalt, Zitate, Fragen, Teil 3: EB48-EB63 – „30. Julius“ bis „22. August“ (Mat4056-T3)

Worum es hier geht:

  • Im Folgenden gehen wir auf die Briefe Werthers vom
    • 30. Julius (Albert ist angekommen und Werther will gehen)
    • bis zum 22. August ein (Werther überlegt, ob er sich wegbewerben soll).
    • Schwerpunkt: „Am 12. August“
      Streit mit Albert über die Frage des Selbstmords
Zunächst ein Rückblick auf die ersten Briefe vom 4. bis 30. Mai:

hier zu finden:
https://textaussage.de/werther-inhalt-zitate-fragen-teil1

Die zweite Gruppe von Briefen reicht vom Kennenlernen Lottes bis zur Ankunft Alberts und ist hier zu finden:

https://textaussage.de/werther-inhalt-zitate-fragen-teil2

Zusammenfassung der vorherigen Briefe im Schaubild

Das folgende ist eine Handskizze, die weiter unten erklärt wird.

  1. Ausgangspunkt:
    Flucht vor einer falschen Liebe und
  2. ein ein bisschen Verantwortung (Erbschaftsangelegenheit)
  3. Reaktion auf neue Situation:
    Naturbegeisterung
  4. Lektüreleidenschaft- Verzicht auf äußere Führerschaft bei der Lektüre
    Homer, Ossian, Klopstock
  5. Genie-Haltung
  6. Gesellschaft: Bewunderung der einfachen Menschen
  7. Bewunderung des einfachen Lebens
  8. Bewunderung der Kindlichkeit und des In den Tag hinein Lebens (Ähnlichkeit mit Taugenichts?
  9. Ablehnung von Regeln
  10. Ablehnung des Broterwerbs und der damit verbundene Subordination
  11. Lebensauffassung: Ahnung, dunkle Begierde, Ausweg Selbstmord (Vorstufe zur Romantik?
  12. Beziehung zu Lotte:
    Leidenschaft gegenüber Lotte bis hin zum Exzess
  13. Scheitern des Versuchs der Distanzierung: „Magnetenberg“, Untergangsperspektive
  14. Vorläufige zusammenfassende Charakterisierung Werthers:
    Liegt bei W. das Phänomen des Narzissmus vor?

    • Ist er stark auf sich selbst bezogen?
    • Hat er wenig Achtung beziehungsweise mit Gefühl gegenüber anderen?
    • Ist er sogar in sich selbst verliebt?
    • Bewundert er sich selbst?
    • Selbstvergötterung?
  15. Zerrissenheit, Wechselbad der Gefühle
  16. Lotte:
    Pflichtbewusstsein
  17. Treue gegenüber ihrem Ehemann
  18. Schutz der Kinder,
  19. Unschuld bei kleinen Berührungen
  20. Warnung vor zu viel Empfindsamkeit,

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„Am 30. Julius“

  • „Albert ist angekommen und ich werde gehen.“
  • Hier wird deutlich, dass nach der Ankunft in Wahlheim und nach dem Kennenlernen Lottes nun ein dritter Abschnitt im Roman beginnt: Werther hat ja zuletzt vergeblich versucht, sich von Lotte zu lösen und jetzt kommt mit dem Erscheinen Alberts ein neues Problem hinzu, das eigentlich die Lösung intensivieren müsste.

  • Wer zufällig den Roman „“Die neuen Leiden des jungen W“ von Plenzdorf kennt, der hat bestimmt noch die Stelle im Gedächtnis, wo ein ähnlich wie Werther in die falsche Frau verliebter junger Mann auf seinen berühmten „Vorfahren“ anspielt:
    „Genug, Wilhelm, der Bräutigam ist da! Ein braver, lieber Mann, dem man gut sein muss. Glücklicherweise war ich nicht beim Empfange! Das hätte mir das Herz zerrissen.“
  • Zurück zu Werthers Brief:
    Interessant ist, dass Werther das Verhalten Alberts, seine Verlobte nicht in seiner Gegenwart zu küssen, „ehrlich“ nennt, dabei ist es eher eine seltsame Form von Rücksichtnahme, die vielleicht ingesamt auch zur Katastrophe beiträgt.
    Es wäre wohl besser gewesen, wenn der Verlobte offen mit Lotte gesprochen hätte und sie dann gemeinsam dafür gesorgt hätten, dass Werther sich woanders besser verlieben kann.
  • Stattdessen kann Werther sich nun Gedanken darüber machen, wie Frauen mit zwei Verehrern umgehen. Angeblich haben sie beide davon den größten Vorteil, während es insgesamt nicht funktioniert.
  • Man sieht, wozu Literatur in der Schule gut sein kann.
    Einfach mal die Frage diskutieren:
    „Wie gehen Frauen mit zwei Verehrern um, zwischen denen sie sich nicht entscheiden wollen oder können?“
    Natürlich kann man das auch auf andere Liebesverhältnisse übertragen.

„Am 8. August“

  • Eingehen auf Wilhelms Empfehlung, Werther möge sich Klarheit im Hinblick auf Lotte verschaffen und dann entsprechend verhalten.
  • Werther kontert mit dem Hinweis, dass es zwischen den Extremvarianten des Zugriffs und des Abschieds noch viele Zwischenschattierungen gebe.
  • Außerdem nennt er sein Liebesproblem eine Krankheit, die einem möglicherweise auch zugleich die Kraft nimmt, das Problem zu beenden.
  • Manchmal spüre er die Kraft zur Trennung, aber er wisse ja nicht, wohin er gehen soll.
  • Interessanter Hinweis auf seine totale Fokussierung und Alternativlosigkeit.
  • Werther verweist auf sein Tagebuch, das er während der Intensiv-Phase mit Lotte vernachlässigt hat.
  • Anmerkung:
    Das gilt anscheinend auch für die Briefe, denn jetzt, wo er ja weniger mit Lotte alleine ist, schreibt er auch in kürzeren Abständen wieder Briefe.
  • Im Tagebuch findet er angeblich klare Erkenntnis und zugleich muss er feststellen, dass er sich kindisch verhält.
  • Aktuell meint er auch klar zu sehen, aber eine Besserung seines Zustands sei nicht in Sicht.

„Am 10. August“

  • Noch einmal Betonung der eigenen Torheit
  • Gespräch mit Albert über Lotte, die Pflege ihrer Mutter und die Übernahme der Verantwortung für die Kinder.
  • Werther mit letztlich traurigen Aussichten für seine Beziehung zu Lotte und lobende Worte über Albert:
    • „Ich weiß nicht, ob ich dir geschrieben habe, daß Albert hier bleiben und ein Amt mit einem artigen Auskommen vom Hofe erhalten wird,
    • wo er sehr beliebt ist.
    • In Ordnung und Emsigkeit in Geschäften habe ich wenig seinesgleichen gesehen.“

„Am 12. August“

  • Auch hier zunächst Positives über Albert, dann aber ein problematischer Wunsch, letztlich ein Vorverweis auf das tragische Ende:
    • „Gewiß, Albert ist der beste Mensch unter dem Himmel.
    • Ich habe gestern eine wunderbare Szene mit ihm gehabt.
    • Ich kam zu ihm, um Abschied von ihm zu nehmen; denn mich wandelte die Lust an, ins Gebirge zu reiten, von woher ich dir auch jetzt schreibe,
    • und wie ich in der Stube auf und ab gehe, fallen mir seine Pistolen in die Augen. – »Borge mir die Pistolen«, sagte ich, »zu meiner Reise.« 
      • Beim Leser entsteht hier bestimmt Spannung, wenn er über eine „wunderbare Szene“ nachdenkt, die mit Pistolen zu tun hat.
  • Dann dessen Trauma im Hinblick auf ein Fast-Unglück durch Unachtsamkeit beim Reinigen der Pistolen.
  • Interessant, wie Werther reagiert, als Albert beim Nachdenken über diese Szene immer tiefer in sie eindringt, ohne letztlich deutlich zu machen, was ihn immer noch dabei beschäftigt. Er endet mit dem Wort „Zwar“ – mehr sagt er nicht.
  • Werther reagiert darauf kritisch:
    • „« – Nun weißt du, daß ich den Menschen sehr lieb habe bis auf seine Zwar;
    • denn versteht sich’s nicht von selbst, daß jeder allgemeine Satz Ausnahmen leidet?
    • Aber so rechtfertig ist der Mensch! wenn er glaubt, etwas Übereiltes, Allgemeines, Halbwahres gesagt zu haben, so hört er dir nicht auf zu limitieren, zu modifizieren und ab – und zuzutun,
    • bis zuletzt gar nichts mehr an der Sache ist.
    • Und bei diesem Anlaß kam er sehr tief in Text: ich hörte endlich gar nicht weiter auf ihn“
  • Werther hat nichts Besseres zu tun, als sich demonstrativ eine Pistole an die Stirn zu halten, als wollte er sich erschießen.
  • Albert ist ungehalten und nimmt die Pistole Werther mit den Worten weg:

    • “ »Pfui!« sagte Albert, indem er mir die Pistole herabzog, »was soll das?« – »Sie ist nicht geladen.« sagte ich. – »Und auch so, was soll’s?« versetzte er ungeduldig. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Mensch so töricht sein kann, sich zu erschießen; der bloße Gedanke erregt mir Widerwillen.«“
  • Jetzt äußert Werther seine Kritik daran ganz offen:
    • „»Daß ihr Menschen,« rief ich aus, »um von einer Sache zu reden, gleich sprechen müßt: ›das ist töricht, das ist klug, das ist gut, das ist bös!‹
    • Und was will das alles heißen? Habt ihr deswegen die innern Verhältnisse einer Handlung erforscht? Wißt ihr mit Bestimmtheit die Ursachen zu entwickeln, warum sie geschah, warum sie geschehen mußte?
    • Hättet ihr das, ihr würdet nicht so eilfertig mit euren Urteilen sein.«“
  • Hier verweist Werther plötzlich auf die tieferen  und komplizierteren Hintergründe von Verhaltensweisen,
    während er kurz vorher noch kritisiert hat, dass einfache Dinge auseinander genommen werden.
  • Es folgt eine Diskussion über die Strafwürdigkeit von Verhaltensweisen, zum Beispiel Diebstahl aus Not.
  • Werther verteidigt seinen Fast-Wahnsinn gegenüber den vernünftigen Pharisäern
  • Albert: „Du überspannst alles“ – mit Blick auf den Selbstmord
  • Werther: Kritik an diesem allgemeinen Urteil im Kontrast dazu, wenn er „aus ganzem Herzen“ redet.
  • Werther verteidigt den Selbstmord als „Krankheit zum Tode“
  • Er nennt auch ein Beispiel, nämlich ein heillos verliebtes Mädchen, das keinen anderen Ausweg mehr sieht.
  • Schließlich sein Schlussfazit:
    • „»Mein Freund,« rief ich aus, »der Mensch ist Mensch, und das bißchen Verstand, das einer haben mag, kommt wenig oder nicht in Anschlag, wenn Leidenschaft wütet und die Grenzen der Menschheit einen drängen.
    • Vielmehr – Ein andermal davon…« sagte ich und griff nach meinem Hute. O mir war das Herz so voll –
    • Und wir gingen auseinander, ohne einander verstanden zu haben. Wie denn auf dieser Welt keiner leicht den andern versteht.“
  • Hier wird deutlich, wie gefühlsintensiv Werther denkt und sich verhält.
  • Am Ende bricht er ab – mit der Feststellung, dass beide sich hier letztlich nicht verstanden haben.
  • Diese Szene kann man sicher auch betrachten unter dem Gesichtspunkt, ob so ein Mann tatsächlich an die Stelle Alberts bei Lotte treten könnte. Man kann ja mal in Gedanken und dann in Stichworten die Szenen entwickeln, die sich ergeben hätten, wenn Lotte sich tatsächlich auf Werther eingelassen hätte. Albert wäre es dann zuzutrauen, dass er sich großzügig wie bei den unterlassenen Küssen in seiner ganzen kühlen Rationalität zurückzieht.

„Am 18. August“

  • Werther erlebt die früher schöne Natur jetzt auf unangenehme Weise.
  • Er beklagt:
    • „Es hat sich von meiner Seele wie ein Vorhang weggezogen, und der Schauplatz des unendlichen Lebens verwandelt sich vor mir in den Abgrund des ewig offenen Grabs“. (61)
  • Angesichts der Vernichtungskraft der Natur:
    • „Ich sehe nichts als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer.“ (62)
  • „Am 21. August“

    Was Lotte angeht:

    • „Umsonst strecke ich meine Arme nach ihr aus und ich weine trostlos einer Finstern Zukunft entgegen.“ (62)
  • „Am 22. August“

    • Werther ist unglücklich und unzufrieden mit sich selbst.
    • Er wünscht sich manchmal, einfach etwas zu tun zu haben. Er ist auch bereit, sich bei um die Stelle bei der Gesandtschaft zu bewerben.
    • Dann hat er aber wieder Angst beim Gedanken an ein Pferd,
      • „das seiner Freiheit ungeduldig sich Sattel und Zeug auflegen lässt und zuschanden geritten wird“. (63)

 

Weiterführende Hinweise