Goethes Gedicht „Mächtiges Überraschen“ als Beispiel für die Macht des Dämonischen (Mat5712)

Worum es hier geht

Vorgestellt wird ein Gedicht Goethes, das sein Naturverständnis am Beispiel eines besonderen Phänomens zeigt. Es geht um eine nicht mehr ganz irdische und damit erfassbare Macht, die sowohl faszinieren  als auch ängstigen kann.

Damit ergibt sich ein sehr interessantes Sinnbild des Lebens.

Anmerkungen zum Text des Gedichtes

Goethe

Mächtiges Überraschen

  • Die Überschrift drückt eine Bewegung aus, die den Betroffenen unvorbereitet trifft. Durch die Verbform wird die Bewegung unterstrichen – im Unterschied zum häufiger verwendeten Mitglied der Wortfamilie: „Überraschung“.
  • Das wird noch weiter verstärkt durch das Attribut „mächtig“, das von „Macht“ kommt und damit auch das Ganze in die Nähe der Unterlegenheit bringt.

Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale,
Dem Ozean sich eilig zu verbinden;
Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,
Es wandelt unaufhaltsam fort zu Tale.

  • Zu Beginn der ersten Strophe präsentiert das lyrische Ich das Bild eines Stroms von Wasser, der aus einem felsigen Gelände hervorkommt und zugleich eine Art Wassernebel produziert.
  • Diesem Strom wird eine Richtung unterstellt, nämlich zum Ozean, wohin ja schließlich alles Wasser fließt.
  • Verbunden wird das mit der Vorstellung von Eile, die natürlich im Betrachter entsteht und nicht dem Strom selbst zu eigen ist.
  • Die beiden letzten Zeilen wenden sich dem zu, was auf dem Grund des Stroms zu sehen iste. Das wird mitgenommen – das „unaufhaltsam“ entspricht dem Signal „mächtig“ und bestätigt die Vermutung der Unterlegenheit.

 

Dämonisch aber stürzt mit einem Male –
Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden –
Sich Oreas, Behagen dort zu finden.
Und hemmt den Lauf, begrenzt die weite Schale.

  • Die zweite Strophe zeigt dann eine Gegengewalt, die von der Nymphe Orea(s) ausgeht.
  • Wenn von „Berg und Wald“ und „Wirbelwinden“ die Rede ist, kann man davon ausgehen, dass hier eine Art Bergsturz erfolgt, der den Strom hemmt.

Die Welle sprüht, und staut zurück und weichet,
Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken;
Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben.

  • Das erste Terzett (Dreizeiler) des Gedichtes beschreibt den Kampf des Wassers mit dem Hindernis,
  • Mit dem Ergebnis, dass das Wasser seinem Vater, dem Ozean, sich nicht mehr nähern kann.

Sie schwankt und ruht, zum See zurückgedeichet;
Gestirne, spiegelnd sich, beschaun das Blinken
Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.

  • Die letzte Strophe beschreibt dann das Zuruhekommen der Wasserwogen.
  • Aus dem Strom wird ein See*
  • und die Sterne können sich in dessen Oberfläche wieder ruhig spiegeln.
  • Am Ende steht die Vorstellung, dass sie dabei das „Blinken“ der kleinen Wellen an der Felswand, die übriggeblieben sind, beschauen. Das wird als „ein neues Leben“ angesehen.

Die Form des Sonetts passt insofern gut zum Inhalt, als die beiden Quartette erst mal die Kraft und Gegenkraft beschreiben. Die Terzette lassen dann eine gewisse Ruhe eintreten, die auch Betrachtung ermöglicht.

Insgesamt ein Gedicht,

  • das sich einem speziellen Naturphänomen widmet,
  • nämlich einem stromartigen Wasserfall,
  • der plötzlich aufgehalten wird durch einen Erdrutsch
  • und dann einen See bildet, dessen Oberfläche langsam zur Ruhe kommt.
  • Wichtig sind die Elemente der Nymphe als eines Naturgeistes und des Dämonischen, das für Goethe eine große Rolle spielt. Es ist für ihn nicht unbedingt etwas Negatives, aber etwas, was als dynamische und eben auch überraschende Kraft auf das Leben einwirkt. Diese Kraft ist in der Tendenz überweltlich und kann faszinieren, aber auch ängstigen.
  • Letztlich läuft es darauf hinaus, dass Goethe in diesem Gedicht das Dämonische am Beispiel eines solchen Naturereignisses zeigen will – mit dem Kernziel des neuen Lebens, das die Natur immer wieder hervorbringt.