Heinrich Böll, „Mein teures Bein“ (Mat689)

Worum es hier geht

Die Geschichte zeigt auf exemplarische Weise die Kommunikation zwischen einem Staatsbeamten, der ohne jede Empathie nach Vorschrift handelt, und einem Soldaten, der im Auftrag des Staates im Krieg ein Bein verloren hat und nun eine bessere Rente haben möchte.

Direkter Einstieg

  • Beginn mit einem direkten Einstieg, erkennbar an dem völligen Verzicht auf genauere Angaben zu den beteiligten Personen.

Fortsetzung der reduzierten Darstellung

  • Dann setzt sich die reduzierte Darstellung fort. Es gibt keine Informationen zu den Hintergründen.
  • Auffallend ist auch die auf das Allernotwendigste beschränkte Kommunikation.

Reduzierte Bereitschaft des Beamten

  • Dann wird deutlich, dass der Beamte sich nur minimale Mühe gibt, um dem Ich-Erzähler entgegenzukommen.
  • Es handelt sich mehr um Forderungen, als um echte Angebote.
  • Sicherlich hat der Verfasser nicht ohne Grund die angebotene Arbeitsstelle auch noch mit einer Bedürfnisanstalt, also einer wohl öffentlichen Toilette verbunden.
  • Dadurch wird die wahrscheinliche Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen des ich Erzählers und dem Vertreter des Staates noch vergrößert.

Absoluter Gegensatz der Positionen

  • Wie man es als Leser schon erwartet hat, kommt es hier zum Austausch der gegensätzlichen Positionen:
    • Auf der einen Seite, der Ich-Erzähler, der offensichtlich das Gefühl hat, eine höhere Rente beanspruchen zu können.
    • Auf der anderen Seite die brutale, deutliche Zurückweisung durch den Beamten.
    • Interessant aber ist, dass das auch noch in einem scheinbar freundlichen Tonfall erfolgt.
      • Der passt aber überhaupt nicht zu dem, was der Beamte sagt.
      • Das spricht auch dafür, dass hier etwas satirisch überspitzt und damit überdeutlich wird.

Zurückweisung des Vorwurfs und Klage des Ich-Erzählers

  • Hier setzt sich das lyrische Ich zur Wehr.
  • Warum es keine Zigaretten verkaufen kann, wird nicht weiter erklärt.
    • Vielleicht möchte der Betreiber des Ladens seinen Kunden den Anblick des Kriegsverletzten ersparen,
    • oder er hält ihn für nur eingeschränkt einsetzbar.

Reine Staats-Interessen-Perspektive

  • Typisch für die Kommunikationssituation ist, dass der Beamte völlig von oben herab und nur mit Blick auf die Interessen des Staates die Situation beurteilt.
  • Das muss demjenigen, der letztlich im Krieg sein Bein für den Staat geopfert hat, wie blanker Hohn vorkommen.
  • Er könnte zum Beispiel sagen:
    Dann sollte dieser Staat keine Kriege anfangen, wenn er sich hinterher nicht um die Opfer kümmern kann oder will.

Lange Gegenrede

  • Dem langen, letztlich unmenschlichen Uluc des Beamten folgt jetzt ein ebenso langer, aber sehr menschlicher Monolog des lyrischen Ichs.
  • Im wesentlichen läuft seine Argumentation darauf hinaus, dass er in gewisser Weise dieses Bein für andere geopfert hat, was ihn teuer zu stehen kam.
  • Interessant ist der Hinweis darauf, dass ein toter Soldat den Staat billiger kommt als ein verletzter. Das ist eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, die hier so ganz nebenbei angesprochen wird.

Ausweichen des Beamten

  • Was den  Beamten angeht, so bleibt sein Verhalten konstant. Allenfalls ergeben sich erste Anzeichen, dass er sich möglicherweise nicht nur belästigt, sondern auch betroffen fühlt. Das bleibt aber zunächst eine Vermutung.
  • Auf jeden Fall kann die Suche nach dem Bleistift psychologisch als Übersprung- Handlung betrachtet werden. Das sind Aktivitäten, die nur die Funktion haben, die innere Erregung abzuleiten.

Gegenrechnung des lyrischen Ichs

  • Das lyrische Ich setzt hier seine Berechnungen fort, was den Wert seines Beines angeht.
  • Das Problem dabei ist, dass er damit letztlich den Interessen des Staates und der Sichtweise des Beamten in die Hände spielt: denn sein Opfer hat zwar Leben gerettet, aber das dürfte den Beamten genauso wenig interessieren wie die Teilschädigung des vor ihm sitzenden Soldaten.
  • Letztlich wäre es ein bisschen billiger geworden für den Staat, wenn der Soldat ganz umgekommen wäre. Und wenn er all die Leute nicht gerettet hätte, wäre das ganze noch viel, viel billiger geworden.

Sarkasmus gegen Vorwurf der Verrücktheit

  • Der in seinen eigenen Kategorien denkende Beamte kann auch hier wieder auf die völlig andere Perspektive des lyrischen Ichs nur mit einem Globalvorwurf reagieren.
  • Völlig zurecht spricht das lyrische Ich das jetzt aus, was sich vorher für den Leser schon ergeben hat.
  • Insgesamt wird bis hierhin deutlich, dass diese Kurzgeschichte offensichtlich ein System kritisiert, das zunächst Kriege verursacht und anschließend nur noch an Kostenreduzierung denkt, was den Umgang mit den Schäden angeht.

Langer Reden kurzer Schluss

  • Am Ende vergibt die Kurzgeschichte leider die Möglichkeit, ein offenes Ende zu präsentieren.
  • Das hätte zum Beispiel aus den zwei Wörtern bestehen können:
    „Ich überlegte“.
  • Aber Bölls Version hat natürlich den Vorteil, dass der Akzent nicht auf die persönliche Entscheidung eines einzelnen Menschen gelegt wird, sondern auf die allgemeinen Verhältnisse und die Beziehungen zwischen Kriegsbetreibern  und Kriegsopfern.
  • Bedauerlicherweise ist eine solche Geschichte in unserer Zeit wieder sehr aktuell geworden.

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