Ausgangspunkt: Ein seltsames Gedicht
Wenn man sich das etwas irre wirkende Gedicht des guten Herrn van Hoddis anschaut, dann schreit das doch eigentlich nach Modernisierung.
Hier zunächst die Originalfassung:
Jakob van Hoddis
Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Wer dazu eine Interpretation sucht, kann sie hier finden:
https://textaussage.de/schnell-durchblicken-jakob-van-hoddis-weltende
Nun der kreative Umgang damit:
Also: Übertragen wir es doch einfach mal auf die heutige Situation von Schülern.
- Sie stehen nichts ahnend, dafür aber extrem verspätet morgens auf und fahren auf schnellstem Weg zur Schule.
- Dort beginnt es ganz harmlos auf dem Vertretungsplan: Er ist kopfüber ausgehängt und rechts unten ist sorgfältig wie ein mittelalterlicher Herrscher-Stempel ein Stück Bonbonpapier angehängt.
- Nun ja, denkt man, da hat wieder ein „Vandale“ seine Leidenschaften ausgelebt und macht sich auf den Weg zum Klassenzimmer. Im Treppenhaus aber gibt es einen Stau, weil dort die ersten drei Treppenstufen fehlen.
- Jetzt ist man besorgt und denkt, nichts wie zum Sekretariat und dort melden, was man gesehen hat. Allerdings sieht man dort zu seinem Erstaunen, wie die Geräte selbstständig halbhoch unterwegs sind auf dem Weg nach draußen – als würden sie auf einem Luftkissen bewegt. Hinter ihnen händeringend die beiden Sekretärinnen – mit Ausrufen wie: „Was soll das?“ „Hey, bleibt doch einfach hier!“
- Nun folgt man den Geräten nach draußen, um zu sehen, was aus ihnen wird: Aber da, wo der Parkplatz war, rutschen gerade die letzten Autos in ein großes Erdloch und die Geräte aus dem Sekretariat folgen ihnen einfach.
- Glücklicherweise hört man ein Polizei- und Feuerwehr-Martinshorn – nur leider kommen die Fahrzeuge zwar richtig die Schulstraße heruntergerollt, werden dann aber zu startenden Flugzeugen und verschwinden Richtung Weltraum.
- Das ist dann der Moment, wo der aufgeweckte Schüler einfach nur noch den Kopf schüttelt und zum Bäcker geht, um sich dort in Ruhe endlich das Frühstück zu gönnen.
Jetzt muss man das Ganze nur noch in Gedichtform bringen – auf Reime kann getrost verzichtet werden.
Noch schöner ist es natürlich, wenn das Leute anregt, ihre ganz eigenen Weltende-Fantasien zu entwickeln und in Verszeilen zu gestalten 😉
Hier nun unsere Lösung – bitte nur auf den Rhythmus achten – der macht letztlich ein Gedicht erst schön 😉
Weltende 2016 – aus Schülersicht
Es ist wie immer, wenn die Nacht sehr lang war.
Den Wecker hat man nicht gehört, es heißt nun schnell sein.
Man rast zur Schule, nimmt ganz cool zwei rote Ampeln
und kommt dann glücklich an – jetzt schnell ein Blick auf den Vertretungsplan.
Doch was ist das? Er hängt kopfüber dort und ganz rechts unten
– das wird Herrn Hoddis, unseren Mann für’n Stundenplan nun gar nicht freuen -:
Da wusst wohl einer nicht, wohin mit seinem Bonbonrest:
Er klebt jetzt unten dran – ja, ja, Vandalen, ach, wohin man blickt.
Doch was ist das? Kaum hat man seinen Turm erreicht,
da stauen sich die Leute, und einer schreit: Da schau mal …!
Und dann sieht man es auch: Da fehlen ja drei Stufen.
Und zwei, die glaubten, schon am Ziel zu sein.
Sie hängen jetzt da in der Luft – und klammern fest sich ans Geländer.
Jetzt heißt es ab – ins Sekretariat, das muss gemeldet werden.
Doch dann der nächste Schreck: In schöner Reihenfolge
ein Drucker, zwei PCs und auch ein Faxgerät – sie schweben still von hinnen
als hätten sie genug geschafft für diese und für jede Zeit.
Still folgt man ihnen auch – mit knappem Blick zurück.
Die eine Sekretärin ringt die Hände, der anderen steht der Mund halb offen.
Mehr sieht man nicht, denn schaudernd weicht man doch zurück,
also man den Rest des Platzes für die Etablierten in einem großen Loch verschwinden sieht.
Und immer noch ganz still – verschwinden Drucker, Fax und manches mehr.
Nur gut, dass nun von Ferne endlich Ordnung naht – zunächst sind da Sirenen
Dann auch zwei Streifenwagen und auch ein Auto von der Feuerwehr
Nur: Was ist das, statt abzubremsen, wird Gas gegeben und mit vollem Motorklang
geht es parabelartig hinaus in hohe Himmelswelten – vielleicht ist Hilfe dort.
Nun heißt es Haltung zu bewahren – dazu ein Kaffee und ein Frühstück wären gut.
Dort hinten das Café – vielleicht hört dort der Schrecken auf.
Andere Art von Kreativität: Hinzufügen einer dritten Strophe
Hier die Video-Dokumentation
Mat650 van Hoddis, Weltende, 3
Und dann auch noch eine Umwandlung in Richtung Franz Kafka
Anders Tivag, „Wenn Jakob van Hoddis Franz Kafka getroffen hätte“
https://textaussage.de/anders-tivag-blog-versuch-weltende-als-parabel