Schnell durchblicken: Jakob van Hoddis, Weltende (Mat328)

Ausgangspunkt: Ein „schräges“ Gedicht

Im Rahmen dieses Projekts geht es darum, Gedichte schnell und sicher zu verstehen.

Ausgangspunkt eine Mail von einem Jan, Schüler einer 10. Klasse.

Wir müssen das Gedicht  „Weltende“ von Jakob van Hoddis interpretieren – aber das finde ich einfach nur schräg. Könnt ihr mir helfen.

Nun, wir lieben das Schräge und haben uns gleich rangesetzt.

Vielleicht hilft es ja auch anderen weiter.

Das Gedicht

Jakob van Hoddis

Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
x      X    x     X      x       X    x    X       x    X
Fünfhebiger Jambus

In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
x  X  x   X    x    X     x   X    x   X
Fünfhebiger Jambus

Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
X      x    x    X    x     X   x     X       x    X
– Auf den ersten Blick eine Rhythmusstörung
– die durchaus zum Inhalt passen würde.
– Es packt die Dackdecker gewissermaßen, bevor sie sich festhalten können.
Oder
– ein etwas eigenwilliger fünfhebiger Jambus
– wie man es durchaus vorlesen / rezitieren kann.
– Man nimmt bei „Dach“ ein bisschen Anlauf und betont dann „deck“.

Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
x      X   x     X    x       X      x         X         x    X

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Markierte Fassung des Textes

  1. Die grüne Farbe verwenden wir für all das scheinbar Normale, potenziell gut Funktionierende in der Welt. Dabei spielt Technik eine große Rolle.
  2. Die gelbe Farbe steht für fragwürdige Erscheinungsformen, die zeigen, dass da möglicherweise auch im menschlichen Bereich etwas nicht in Ordnung ist.
  3. Die rote Farbe steht dann für den Einbruch der Katastrophe in die Welt der Technik und der Menschen.

Titel und Strophe 1

  1. Schon der Titel setzt einen klaren Akzent: Ende der Welt, Untergang.
  2. Die erste Zeile deutet auf Sturm hin – und darauf, dass die normale bürgerliche Welt in Unordnung gerät. Schön ist, wenn man weiß, dass ein Hut früher als “Zierde des Mannes” galt. Die wird ihm also hier genommen.
  3. Passend zum vermuteten Wind passt die zweite Zeile: Sie verbindet das sich ausbreitende Chaos mit der Reaktion der Leute: Sie schreien, sind also verunsichert.
  4. Die dritte Zeile beginnt real – und wendet sich dann ins Irreale. Deutlich werden soll wohl, dass Menschen bei diesem Weltende wie Dinge kaputtgehen.
  5. Die vierte Zeile enthält dann ein Signal für die wachsende Bedrohung – ausgedrückt in einem einfachen, aber kräftigen Bild.

Zweite Strophe:

  1. Wiederaufnahme von Sturm und Meer bzw. Flut, dann aber verkindlicht: Das passt zu dem Hut am Anfang: Aus Männern, die glauben, alles im Griff zu haben, werden Opfer einer Macht, die mit ihnen spielt.
  2. Die zweite Zeile macht deutlich, dass dieses kindliche Spiel einer großen Gewalt keine Probleme hat mit menschlichen Schutzmaßnahmen wie Dämmen.
  3. Die vorletzte Zeile springt dann in eine ganz andere Wirklichkeit: Am besten versteht man sie gerade darin, dass sie nicht passt. Menschen haben noch Schnupfen und beschäftigen sich damit, während ihnen der Untergang droht.
  4. Am Ende ist der Untergang einen Schritt näher gekommen, denn jetzt fallen nicht nur an sich schon gefährdete Berufsgruppen von den Dächern, sondern sogar Eisenbahnen – um 1900 Inbegriff der Verkehrs-Solidität.

Zusammenfassungt: Das Gedicht zeigt,

  1. dass die Menschheit und ihre Zivilisation dem Untergang entgegengeht
  2. dass der sich auf scheinbar lächerliche Weise präsentiert
  3. dass sie damit in keiner Weise umgeht, vielleicht auch nicht umgehen kann,
Schaubild, das erklärt, wie man schnell und sicher dieses Gedicht versteht
Mat328 sd-van Hoddis-Weltende

Kreativer Umgang mit diesem Gedicht

Hier gibt es Tipps und Beispiele:
https://textaussage.de/jakob-van-hoddis-weltende-wie-kann-man-damit-kreativ-umgehen

Hinweis auf ein ähnliches Gedicht: Alfred Lichtenstein: „Der Sturm“

Das Gedicht wird hier mit dem von van Hoddis verglichen:
https://textaussage.de/vergleich-van-hoddis-weltende-und-lichtenstein-der-sturm

Alfred Lichtenstein

Der Sturm

Im Windbrand steht die Welt. Die Städte knistern.
Halloh, der Sturm, der große Sturm ist da.
Ein kleines Mädchen fliegt von den Geschwistern.
Ein junges Auto flieht nach Ithaka.
Ein Weg hat seine Richtung ganz verloren.
Die Sterne sind dem Himmel ausgekratzt.
Ein Irrenhäusler wird zu früh geboren.
In San Franzisko ist der Mond geplatzt.

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos