Anmerkungen zu Jens Jessen, „Deutsch: Die verkaufte Sprache“, 2007 (Mat4264)

Was diesen Text so interessant macht …

Der kommentarähnliche Aufmacher-Text „Deutsch: Die verkaufte Sprache“ von Jens Jessen aus dem Jahre 2007, veröffentlicht und erfreulicherweise öffentlich gehalten von der Wochenzeitung „Die Zeit“ ist besonders unter einem Gesichtspunkt interessant:

Er wirft nämlich die Frage auf, wo die Grenzlinie ist zwischen Sachlichkeit und einer auf Stimmungen und Effekte ausgerichteten Sprache, wie sie bsd. in Talkshows üblich ist.

Dabei gehen wir von der Kommunikationssituation aus:

In eine Talkshow werden Leute eingeladen, die durchaus etwas zu sagen haben, aber eben auch für Show-Effekte gut sind. Die Veranstalter dieses Fernsehformats sind auch darauf angewiesen, dass die Teilnehmer keine professoralen Vorlesungen halten, sondern Dinge akzentuieren, an möglichst extremen Beispielen klarmachen und letztlich auch Stimmung für sich und die eigene Position machen.

Wie sieht das nun in diesem „Aufmacher“-Sachtext aus?

Wir stellen die einzelnen Absätze so vor, dass man unsere Ergebnisse am Originaltext überprüfen kann:

Die Überschrift: „Deutsch: Die verkaufte Sprache“

  • Die Überschrift stellt natürlich eine Provokation da und man ist gespannt zu erfahren, wieso eine Sprache zu einem Verkaufsartikel werden kann.
  • Auf jeden Fall wird damit beim Leser Spannung erzeugt.
  • Und ein bisschen bekommt man auch Mitleid mit dieser Sprache – denn die Formulierung erinnert doch schon ein bisschen an „Die verkaufte Braut“.

Von
„Es gibt einen Typus des übellaunigen, heimattümelnden Sprachschützers“
bis
„was weder auf Deutsch noch auf Englisch Sinn ergibt?

  • Der Text beginnt mit einer Abgrenzung von Leuten, die den Verlust vor allem unter Heimat-Gesichtspunkten beklagen.
  • Der Autor selbst will weniger mit Gefühlen, sondern mit Vernunft an einige Fragen herangehen. Er liefert hier am Anfang Beispiele, die den Eindruck erwecken, dass hier deutsche Bezeichnungen ohne guten Grund aufgegeben werden und die Anlehnung an das Englische zum Teil sogar unsinnig ist.
  • Letztlich läuft das auf die Vorwürfe hinaus: „einerseits unnötig“, zum anderen zumindest z.T. „unsinnig“.
  • Interessant ist, dass der Autor auf den wichtigsten sachlichen Aspekt nicht eingeht, nämlich dass man damit alle Leute ausschließt und vielleicht sogar vor den Kopf stößt, die dieses Englisch gar nicht verstehen.
  • Also ein erster Hinweis auf Talkshow-Niveau-Aspekte:
    • Die Abgrenzung von Leuten, die man für „unter Niveau“ hält, obwohl sie durchaus einige Argumente für sich haben.
    • Das hier ausgelassene Argument haben wir ja am Ende nachtragen müssen.
    • Stattdessen effektvolle Beispiele
    • Und eine entsprechende Sprache: „Welcher Teufel trieb eine deutsche Wissenschaftsministerin …“
    • Ganz nebenbei wird auch übersehen, dass es zwar gegen Tradition und Norm geht, aber gute Argumente für sich hat, den Genitiv vom eigentlichen Namen zu trennen. Daran könnte man sich genauso gewöhnen wie an das Doppel-ss nach kurzem Vokal: „Hass“ statt „Haß“.
      “ Genitiv-Apostroph in Susi’s Häkelstudio

Von:
„Die Überflutung mit englischen Wendungen“
bis
„Geist einer aufschneiderischen Werbung dabei am Werk zu sehen.“

  • Der nächste Gedanke wendet sich dann den Motiven dieser seltsamen Zurücksetzung der eigenen Sprache zu.
  • Entscheidend sind dabei zwei Dinge
    • zum einen eine gewisse Ahnungslosigkeit,
    • zum anderen der Versuch, auf diese Art und Weise das eigene Image aufzubessern.
  • Hier spricht der Autor besonders beim zweiten Punkt etwas ganz Entscheidendes an, nämlich die Marktsituation, in der sich jeder Mensch befindet: Er will tut ankommen und sich auf der Höhe der Zeit zeigen.
  • Die Frage ist nur: Passt das ggf. auch „Aufschneiderische“ nicht zum Wesen der Werbung? Sollte man diesen Bereich der Ökonomie vielleicht aus der Sprachbetrachtung heraushalten?
  • Sinnvoller wäre die Beantwortung der Frage, ob man damit nicht auch Leute abschreckt, ein Alptraum für alle Werbetreibenden.

Von

„Die deutsche Bahn will sich nicht nur technisch modernisieren“
bis:
„jede Neuigkeit à tout prix kommunizieren zu müssen, anstatt sie einfach mitzuteilen.“

  • Es folgen Beispiele für problematische oder unnötige übernahmen aus dem Wortschatz anderer Sprachen.
  • Auch hier könnte man sachlich-neutraler sein: Es gehört zum Wesen der Sprache, dass sie auch manchmal Fakes produziert bzw. präsentiert: So ist ein „Freudenhaus“ keineswegs ein Haus der Freude für alle – und doch gehört das Wort zur deutschen Sprache.
  • Was soll man im Vergleich dazu gegen „Service Point“ haben? Zumindest den ersten Teil verstehen auch Menschen, die kein Englisch können.

Wir arbeiten noch an diesem Text, würden uns aber ggf. durchaus über Kommentare freuen:

 Wer noch mehr möchte …