Kafka, „Die Verwandlung“ – Das Wichtigste auf einen Blick (Mat4664)

 Thema: Franz Kafka: Die Verwandlung

Wir stellen im Folgenden Fragen zusammen, die man im Hinblick auf Kafkas Erzählung beantworten können müsste. Es geht also nicht um einfaches Grundwissen, sondern um Problem- und Verständnisfragen

  • Thema der Erzählung: Der Einbruch des Ungewöhnlichen in ein scheinbar normales Leben, dessen Probleme im Rahmen einer Krise sichtbar gemacht werden.
  • Entstehungszeit: Ende 1912, also in der Zeit des Expressionismus, auch wenn Kafka nicht durch Gedichte oder Dramen bekannt geworden ist: Seine Erzählungen und Romane können auch als (allerdings unterdrückt wirkendender, nur indirekt hörbarer) Aufschrei des gequälten oder zumindest maximal irritierten, unsicher gewordenen Individuums in der modernen Welt verstanden werden.
  • Erzähltechnik: Beginn mit personalem Erzählen, Ausnahme: Einbeziehung der Perspektive der Schwester, am Ende auktoriales Erzählen – nach dem Tod des Protagonisten
  • Struktur: drei große Abschnitte:
    • zunächst eine Ausgangssituation mit vorläufigen Reaktionen der Familie;
    • Dann Versuche der Anpassung an die Situation mit langsamen Veränderungen bis hin zu einem ersten Ausbruch
    • Schließlich die neue Situation mit den Zimmerherren, Niedergang und Tod Gregors; abschließende Erleichterung und neue Perspektiven für die Familie
  • Die „normalen“ Interpretationen:
    • „Die Verwandlung“ als Parabel für die menschliche Existenz: Ende eines falschen Lebens;
    • Elemente des Expressionismus, vor allem in der Ungeheuerlichkeit der Ungeziefer-Existenz;
      eine Art Vorwegnahme des philosophischen Existenzialismus = Konzentration auf den Kern des Menschseins in verschiedenen Ausprägungen: zunehmende Lebensfähigkeit der Schwester (Pragmatismus) gegenüber mangelndem Selbstbewusstsein und falscher Prioritätensetzung bei Gregor
    • das Kafkaeske der Erzählung = das schmerzhafte Ausmalen des unrealistisch wirkenden Gegensatzes zwischen der Existenz des verwandelten Gregors und seiner auf Distanz gehenden Familie;
    • Elemente der Novelle = das „unerhörte“, besondere Ausgangsereignis und das Durchspielen der Folgen mit Ungeziefer-Symbol,
    • biografische Deutung: Kafkas Selbstgefühl des von der Familie nicht Angenommenen, sich in das Schreiben Flüchten-Müssenden;
    • psychoanalytische Interpretation: Konflikt mit dem Vater;
    • soziologische Interpretation: Selbstausbeutung Gregors und dann Aussonderung durch die Familie nach Verlust der Nützlichkeit; Rollenerwartungen und Verwandlung -> Drüke-Interpretation, nach der die Schwester die eigentliche „Verwandlung“ durchläuft, siehe den nächsten Punkt
  • Die Interpretation von Volker Drüke: Die „Verwandlung“ Gregors ist nur der Anlass für die wirkliche Verwandlung der Familie und besonders der Schwester; eine am Anfang gegebene unbewusste falsche Verhaltenssituation der Parentifizierung (Kind übernimmt Fürsorgefunktion für die Eltern) wird von Gregor nicht erkannt und behoben, wohl aber durch die Schwester, nachdem der Eklat mit den Zimmerherren die wirtschaftliche Existenz der Familie gefährdet
  • Stach-Interpretation: Die Mittelmäßigkeit/Normalität Gregors im Vergleich zum Exzessiven seines Schicksals ist eine Vorausdeutung auf die massenhaften Vernichtungsorgien des 20. Jhdts im Faschismus und im Stalinismus – bis in die Gegenwart hinein.
  • Die Erzählung und ihre Beziehung zum Expressionismus: Präsentation des Drastischen, Extremen, aber – ungewöhnlich für die Epoche – ohne jeden Aufschrei. Der ergibt sich gewissermaßen beim Leser.
  • Die Erzählung als Parabel: Kafka zeigt in seinen Geschichten eigentlich immer einen besonderen Aspekt der menschlichen Existenz – in diesem Falle eine Art von falschem Leben, sowohl Gregors als auch der Familienangehörigen.
  • Exkurs zur Parabel: Gleichniserzählung, bei der etwas in eine bildhafte Geschichte gepackt wird, die es dem Hörer oder Leser leichter macht, etwas zu verstehen, weil Verständnisblockaden so umgangen werden.Bestes Beispiel: In der Bibel kommt der Prophet Nathan zum König David, weil dieser einem Untergebenen die Frau weggenommen hat. Er erzählt ihm aber nicht diese Geschichte, sondern eine von einem reichen Mann, der einem Armen das einzige Schaf wegnimmt. Erst als der König sich darüber aufgeregt hat, kommt der Hammer: „Du bist der Mann“ – der Schafraub war nur ein Beispiel für den Frauenraub.
  • Die Erzählung als Novelle – vgl. Michael Kohlhaas = ein „unerhörter“ Vorfall und dann die eigengesetzliche Weiterentwicklung, es wird gewissermaßen ein Fall literarisch durchgespielt,
  • Andere Parabeln von Kafka, zum Beispiel: Schlag ans Hoftor, wo aus einer Kleinigkeit ein Exzess von Schuld und Strafe wird.

Weiterführende Hinweise