Franz Kafka, „Die Wahrheit über Sancho Pansa“

Franz Kafka 

„Die Wahrheit über Sancho Pansa“

Überschrift und Bezug zu der Romanvorlage

  • Die Überschrift nimmt Bezug auf eine berühmte Figur aus einem spanischen Abenteuerroman:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Don_Quijote
  • Schon hier wird deutlich, dass Kafka eine andere, korrigierende Sicht („Wahrheit“) auf diese Figur präsentieren will.
  • Interessant ist die Frage, ob man das Original kennen muss, um Kafkas Version beurteilen zu können.
  • Diese Frage kann man natürlich nur beantworten, wenn man ungefähr weiß, worum es in dem Roman von Cervantes geht:
    • nämlich um einen verarmten Ritter, der so viele Ritterromane gelesen hat, dass er sie schließlich für Tatsachen-Darstellungen hält und selbst auch nacherleben will.
  • Erlebt werden tatsächlich viele Abenteuer, die allerdings dadurch gekennzeichnet sind, dass der Vermeintliche Held etwas aus der Wirklichkeit in seinem Kopf zu einem Element der ritterlichen Kampfwelt umfantasiert. Berühmt ist sein Kampf gegen Windmühlen, die er für feindliche Ritter hält.
  • Dieser Pseudo-Ritter wird begleitet von einem einfachen Bauern, namens Sancho Pansa, den er als Knappen angeheuert hat.
  • Der ist direkte korpulente Gegenfigur zu dem schlanken Ritter mit seinen wirren Ideen. Er versucht immer wieder seinen Herrn mit der Wirklichkeit zu konfrontieren.
  • Das gelingt aber nicht während der Abenteuerreise, obwohl der Ritter immer wieder sehr schmerzliche Erfahrungen machen muss.
  • Erst auf dem Sterbebett erkennt er die Wahrheit und so endet der Roman mit einer Warnung vor der Lektüre solche Romane und den damit verbundenen Illusionen.

Erläuterung des Inhalts von Kafkas Erzählung

  • „Sancho Pansa, der sich übrigens dessen nie gerühmt hat, gelang es im Laufe der Jahre, durch Beistellung einer Menge Ritter- und Räuberromane in den Abend- und Nachtstunden“
    • Hier wird schon die erste Änderung von Kafka vorgenommen. Es geht nicht um vorhandene Romane, sondern offensichtlich um deren Verfassen.
  • „seinen Teufel, dem er später den Namen Don Quixote gab,“
    • Statt eines echten, wenn auch verarmten und verwirrten Ritters, hat dieser Sancho Pansa es hier mit einem Teufel zu tun.
  • „derart von sich abzulenken,“
    • den er irgendwie loswerden muss, was durch die Romane geschieht.
  • „dass dieser dann haltlos die verrücktesten Taten aufführte,“
    • Hier kehrt Kafkas Version zum Original-Roman zurück, allerdings wird den „verrücktesten Taten“ eine andere Motivation zugeschrieben.
  • „die aber mangels eines vorbestimmten Gegenstandes, der eben Sancho Pansa hätte sein sollen, niemandem schadeten.“
    • Hier wird die Geschichte etwas unklar, deutlich wird aber, dass diese Abenteuer harmlos verlaufen.
  • „Sancho Pansa,
    • ein freier Mann, folgte gleichmütig,
    • vielleicht aus einem gewissen Verantwortlichkeitsgefühl,
    • dem Don Quixote auf seinen Zügen
    • und hatte davon eine große und nützliche Unterhaltung bis an sein Ende.“
      • Am Schluss der kurzen Erzählung wird Sancho Pansa noch weiter aufgewertet, als freier Mann vorgestellt.
      • Interessant ist, dass Sancho Pansa dem Teufel aus einem Verantwortungsgefühl folgt. Er müsste doch eigentlich froh sein, wenn er ihn für einige Zeit los ist.
      • Das wird dann am Ende aber noch einmal erklärt, indem auf den Unterhaltungswert dieser Abenteuer verwiesen wird.

Interpretation

  • Insgesamt hat man wieder mal den Eindruck, dass es Kafka mehr um das Groteske, in diesem Falle das Setzen eines Kontrapunkts zu einem berühmten Roman“ ankommt als auf die Präsentation einer in sich logischen Geschichte oder Handlung.
  • Das Besondere dieser Erzählung im Gesamtwerk ist nun, dass hier ausnahmsweise mal ein positiver, kraftvoller, ideenreicher Protagonist präsentiert wird, der sogar den Teufel zum Narren halten kann.
  • Dazu kommt natürlich noch die Aussage, dass Fiktion hilft, das Leben zu bewältigen.
  • Von daher kann man diese kurze Erzählung als Beleg dafür nehmen, dass Kafka mit solchen skurrilen Geschichten durchaus auch dem Leser und vielleicht auch sich selbst Entlastung verschaffen kann.
  • Man könnte auch sagen: Nicht die Welt, genauer: die literarische Welt ist verrückt wie im Roman sondern das Verrückte liegt im Menschen selbst und kann erfolgreich durch Kunst bekämpft werden.

Auswertung von Sekundärliteratur

Kaul, Susanne, Einführung in das Werk Franz Kafkas, Darmstadt : WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), 2010, 1. Aufl.

  • Dort wird die kurze Erzählung im Zusammenhang mit mythologischen Geschichten Kafkas abgehandelt. Im Hinblick auf diesen Text wird hervorgehoben,
    • Dass Kafka die Figuren Verhältnisse umdreht, in denen der einfache Bauer zum „Drahtzieher des Geschehens“ gemacht wird,
    • dass der Irrsinn des Ritters umgedeutet wird zu einer List, mit der man denTeufel neutralisieren kann.
    • dass dadurch die Seele vor dem Verderben gerettet werden kann. Das erweitern wir über den engen religiösen Bezug hinaus.

Weiterführende Hinweise