Kapitelvorstellung „Bahnwärter Thiel“, Kap3 (Mat5536)

Worum es hier geht:

  • Gerhart Hauptmanns „novellistische Studie“ „Bahnwärter Thiel“ wird in der Schule noch viel gelesen.
  • Wir wollen dabei helfen, indem wir den Inhalt kurz vorstellen,  verbunden mit wichtigen Textstellen.
  • So kann man gleich mitreden – und sich auch von den bekannten Stellen aus weiter in den Text hineinfinden.
  • Wenn man übrigens eine bestimmte Stelle sucht, dann hilft diese Seiter weiter:
    https://www.projekt-gutenberg.org/hauptmag/thiel/thiel.html

Wir selbst verwenden die Reclam-XL Ausgabe des Textes, die mit der einfachen Reclam-Ausgabe wohl textidentisch ist.

Wir stellen hier die Kapitel der Novelle „Bahnwärter Thiel“ näher vor.

Hier geht es um das dritte Kapitel.

Eine Übersicht über alle Kapitel und zwei Videos geben wir ganz unten.

(18/19): Das Phänomen „Eisenbahn“ und die Natur

„Er hatte seine Arbeit beendet und lehnte jetzt wartend an der schwarzweißen Sperrstange.

Die Strecke schnitt rechts und links gradlinig in den unabsehbaren, grünen Forst hinein; zu ihren beiden Seiten stauten die Nadelmassen gleichsam zurück, zwischen sich eine Gasse freilassend, die der rötlichbraune, kiesbestreute Bahndamm ausfüllte. Die schwarzen parallellaufenden Geleise darauf glichen in ihrer Gesamtheit einer ungeheuren, eisernen Netzmasche, deren schmale Strähne sich im äußersten Süden und Norden in einem Punkte des Horizontes zusammenzogen.

Der Wind hatte sich erhoben und trieb leise Wellen den Waldrand hinunter und in die Ferne hinein. Aus den Telegraphenstangen, die die Strecke begleiteten, tönten summende Akkorde. Auf den Drähten, die sich wie das Gewebe einer Riesenspinne von Stange zu Stange fortrankten, klebten in dichten Reihen Scharen zwitschernder Vögel. Ein Specht flog lachend über Thiels Kopf weg, ohne dass er eines Blickes gewürdigt wurde.

Die Sonne, welche soeben unter dem Rande mächtiger Wolken herabhing, um in das schwarzgrüne Wipfelmeer zu versinken, goss Ströme von Purpur über den Forst. Die Säulenarkaden der Kiefernstämme jenseits des Dammes entzündeten sich gleichsam von innen heraus und glühten wie Eisen.

Auch die Geleise begannen zu glühen, feurigen Schlangen gleich, aber sie erloschen zuerst. Und nun stieg die Glut langsam vom Erdboden in die Höhe, erst die Schäfte der Kiefern, weiter den größten Teil ihrer Kronen in kaltem Verwesungslichte zurücklassend, zuletzt nur noch den äußersten Rand der Wipfel mit einem rötlichen Schimmer streifend. Lautlos und feierlich vollzog sich das erhabene Schauspiel. Der Wärter stand noch immer regungslos an der Barriere. Endlich trat er einen Schritt vor. Ein dunkler Punkt am Horizonte, da wo die Geleise sich trafen, vergrößerte sich. Von Sekunde zu Sekunde wachsend, schien er doch auf einer Stelle zu stehen. Plötzlich bekam er Bewegung und näherte sich. Durch die Geleise ging ein Vibrieren und Summen, ein rhythmisches Geklirr, ein dumpfes Getöse, das, lauter und lauter werdend, zuletzt den Hufschlägen eines heranbrausenden Reitergeschwaders nicht unähnlich war.

Ein Keuchen und Brausen schwoll stoßweise fernher durch die Luft. Dann plötzlich zerriss die Stille. Ein rasendes Tosen und Toben erfüllte den Raum, die Geleise bogen sich, die Erde zitterte — ein starker Luftdruck — eine Wolke von Staub, Dampf und Qualm, und das schwarze, schnaubende Ungetüm war vorüber. So wie sie anwuchsen, starben nach und nach die Geräusche. Der Dunst verzog sich. Zum Punkte eingeschrumpft, schwand der Zug in der Ferne, und das alte heilige Schweigen schlug über dem Waldwinkel zusammen.“

Der Bahnwärter zwischen Sorge, Einsicht und Sehnsucht

  • Ausführlich wird beschrieben, wie sich der Bahnwärter verhält, nachdem er die Gewalttätigkeit seiner jetzigen Frau gegenüber Tobias begriffen hat.
  • Zunächst versucht er sich abzureagieren, indem er den neuen Acker umgräbt.
  • Dabei fällt ihm allerdings ein, dass hier ja demnächst Lene arbeiten wird und damit sieht er seinen heimlichen Zufluchtsort in Gefahr.
  • Dann kommt ihm plötzlich die klare Erkenntnis seines Fehlverhaltens, der Vernachlässigung des Jungen.
  • Anschließend versinkt er in ziemliche Grübelei, schläft sogar ein und läuft dann erschrocken zur Schranke, weil die geschlossen werden muss.
  • Ihn fällt wieder ein, was er geträumt hat. (24) Er hat seine Frau auf einer Art Flucht gesehen, in den Händen, das blutige gemeinsame Kind. An seinem Haus ist sie schweigend vorbeigegangen. Das versteht er als Distanzierung und leidet darunter.
  • Er ist kaum noch in der Lage, seinen Dienst zu versehen und möchte nur noch nach Hause zu seinem Jungen. Er ist froh, als er abgelöst wird und nach Hause kam.

Thiel zwischen Distanzierung von Lene, Sorge und Lust

  • Im Laufe des Sonntages verstärken sich dann die Signale, dass Thiel sich von Lene innerlich distanziert.
  • Abends kommt es zu einer ganz seltsamen Situation. Lene versetzt ihn mit der Bemerkung in Unruhe, sie wolle sich am nächsten Tag um den neuen Acker kümmern. Damit ist genau das eingetreten, was Thiel befürchtet.
  • Beim gemeinsam zu Bett Gehen überkommt den Bahnwärter eine unbändige sexuelle Lust, die von seiner Frau allerdings herrisch zurückgewiesen wird.

Lene bei der Arbeit – Thiel und Tobias auf einem Inspektionsgang

  • Am nächsten Morgen geht die Familie zum Acker.
  • Tobias hat viel Spaß unterwegs.
  • Am Ziel angekommen macht Lene sich an die Arbeit und Thiel nimmt seinen Sohn mit auf einen Inspektionsgang. Die Forderung Lenes, Tobias müsse den Kleinen betreuen, überhört er. (29)
  • Unterwegs ergibt sich eine Kombination von Naturinteresse bei Tobias und einer besonderen Art von Innerlichkeit bei seinem Vater. Der Wald kommt ihm wie eine Kirche vor und das Summen der Signaldrähte erinnert ihn an eine Art Chor und an seine tote Frau.
  • Dann eine seltsame Stelle, an der Tobias plötzlich beim Anblick eines Eichhörnchens fragt, ob das der liebe Gott sei. (30) Seltsam ist die abwehrende Antwort des Vaters und der Verzicht darauf, nach den Hintergründen zu fragen.

Die Katastrophe

  • Am Nachmittag, dann kommt es zur Katastrophe. Lene geht mit den Kindern zum Acker. Sie will Tobias dabei haben, damit der sich um das Kleine kümmert. Auf die besorgte Mahnung des Vaters, auf Tobias aufzupassen, antwortet Lene nur mit einem Achselzucken.
  • Auf seiner Postenstation hört der Bahnwärter dann plötzlich Notsignale des heranbrausenden Zuges. Tobias ist zwischen die Räder des Zuges geraten und schwer verletzt. Sehr anschaulich und sprachlich eindrucksvoll wird die Begegnung zwischen dem Vater und dem ohnmächtigen Tobias geschildert. (31-33). Auch Lene gebärdet sich wie „wahnsinnig“.
    „Lene wimmert in einem fort; jede Spur ihres einstigen Trotzes ist aus ihrem Wesen gewichen. Sie wiederholt fortwährend eine Geschichte, die sie von jeder Schuld an dem Vorfall reinwaschen soll.“
  • Als Thiel allein ist, bricht er zusammen. Bezeichnend ist das Zerbrechen der Uhr (Symbolik).
  • Interessant gemacht ist auch, dass Till sich vor seinem inneren Auge vorstellt, wie die Untersuchung des Jungen durch den Arzt abläuft. Er ahnt, dass sie kein gutes Ergebnis haben wird.
  • Dies löst Aggressionen gegen Lene aus, er will sie auch blau und rot schlagen. Es ist sogar von einem Beil die Rede, was die Ereignisse am Schluss der Novelle vorwegnimmt.
  • Anschließend erwürgt er in einem Anfall von Raserei fast den zurückgebliebenen Säugling.
  • Schließlich bringt ein Transportzug, die Leiche des Kindes. Till wird ohnmächtig und in sein Haus gebracht und mit Lene allein gelassen.
  • Als man mit der Leiche zurückkehrt, findet man Lene mit gespaltenem Schädel vor und den Säugling mit durchschnittener Kehle.
  • Thiele wird später in der Nähe des Wärterhäuschens gefunden und in eine psychiatrische Klinik gebracht.

Die Tragik des Schlusses

  • Tragisch ist, dass sich die Veränderung zum Besseren bei Lene nicht mehr auswirken kann.
  • Sie hat sich zwar noch vor ihrer Ermordung fürsorglich um ihren ohnmächtigen Mann gekümmert, und es heißt auch:
    „Sie war überhaupt eine andre geworden. Nirgend eine Spur des früheren Trotzes. Ja, dieser kranke Mann mit dem farblosen, schweißglänzenden Gesicht regierte sie im Schlaf.“
  • Aber die Schuldgefühle und die Verzweiflung haben dem Mann wohl den Verstand geraubt, so dass er nicht nur Lene, sondern auch das nun wirklich völlig unschuldige Kleinkind umbringt.

Frage nach der Nutzung dieser Novelle im Unterricht

  • Das Ende lässt sicherlich viele Schülerinnen und Schüler etwas ratlos zurück. Sie fragen sich, was die Aussage dieser Novelle ist und welche Bedeutung die für sie haben könnte.
  • Wir lassen das an dieser Stelle mal offen, weil das weit über die Vorstellung des Inhalts und wichtiger Zitate hinausgeht.
  • Das sollte aber in jeder Lerngruppe, die dieses Werk liest, offen besprochen werden. Nur so fühlen sich Schüler und Schülerinnen ernstgenommen und entwickeln eine eigene Haltung zu der Literatur, die als besonders wichtig angesehen wird, deswegen aber noch nicht unbedingt auch die beste Lektüre in der Schule darstellt.

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