Kommentar: Sollen „Schiller und „Wilhelm Tell“ raus aus dem Deutschunterricht? (Mat2695-srd)

Worum es hier geht:

  • Am 11.11.2025 überrascht uns ein Artikel, in dem mehr oder weniger der Rauswurf Schillers aus dem Deutschunterricht gefordert wird.
  • Wir nutzen hier nicht den Originalartikel hinter einer Bezahlschranke, sondern einen Bericht über diesen Artikel in:
    https://www.news4teachers.de/2025/11/wand-aus-buchstaben-die-keinen-sinn-ergaben-literaturkritiker-will-schiller-aus-der-schule-verbannen-philologen-sind-empoert/
  • Uns interessiert hier nur die Idee, die immerhin von Volker Weidermann stammt, immerhin erfahrener Literaturexperte der Wochenzeitung ZEIT. Der hat gerade eine vielbeachtete Biografie über die aus Nazi-Deutschland emigrierte jüdische Dichterin Mascha Kaléko veröffentlicht.
  • Man sollte also seine Argumente ernst nehmen – und mögliche Zustimmung oder auch Ablehnung kommen dann in den Kommentar.
  • Deshalb haben wir links die wichtigsten Punkte des Artikels zusammengefasst, die wir für den Kommentar brauchten:
  1. Ausgangspunkt
  • Literaturkritiker Volker Weidermann erklärt in einem ZEIT-Essay, Schiller sei endgültig „tot“ – nicht nur biografisch, sondern auch als Schulautor.
  • Sein Essay fordert, den Kanon zu „entrümpeln“ und Platz für Gegenwartsliteratur zu schaffen.
  • Er schreibt, er empfinde „Mitleid“ mit Lehrkräften des Faches Deutsch, die jedes Jahr versuchen, eine „Brücke von heute zu Schillers Zeit“ zu schlagen.
  1. Begründung Weidermanns
  • Auslöser ist seine persönliche Erfahrung: Beim Versuch, seinen Sohn für Wilhelm Tell zu begeistern, habe dieser „vor einer Wand aus Buchstaben gestanden“.
  • Der Vater scheiterte als Vorleser – „es ergab keinen Sinn“.
  • Fazit: Die Sprache sei den Schülern fremd, die Texte leer – „alte Figuren in der alten Sprache“ könnten heutige Jugendliche nicht mehr erreichen.
  • Konsequenz: Schule müsse Brücken ins Leben und Jetzt bauen; der Kanon dürfe nicht museal, sondern dynamisch sein.

Das Video

https://youtu.be/3XMFF8R0uTQ

Hier die Sprungmarken – direkt zu der gewünschten Stelle:

0:00 – Einführung: Was heute anders ist – Speed-Dating mit Schiller 0:22 – Die These: Schiller soll aus dem Deutschunterricht verschwinden 0:45 – Der Artikel von Volker Weidermann – Ausgangspunkt der Diskussion 1:15 – Warum wir den Bericht statt des Originals nutzen 1:40 – Wer ist Weidermann? – Ein erfahrener Literaturkritiker mit Mascha-Kaléko-Biografie 2:30 – Das Impulsbild: Schiller und „Wilhelm Tell“ wandern ins Archiv 3:00 – Was bedeutet „Kanon entrümpeln“? – Idee und Ziel 3:45 – Weidermanns Kritik an Schillers Sprache – „Wand aus Buchstaben“ 4:30 – Kurzinhalt von „Wilhelm Tell“ – Freiheitsdrama und Apfelschuss 5:10 – Der Kommentaransatz: Mitdenken statt nur bewerten 6:00 – Kommentarteil 1: Goethe, Schiller und moderne Lektüren 7:00 – Transparenz im Schreiben – wie man Quellen und Kompetenz benennt 8:15 – Kleist und „Der zerbrochne Krug“ – Vergleich zweier Epochen 9:30 – Was Schüler an Schiller stört – Sprache, Frauenbild, Idealismus 10:20 – Warum trotzdem: Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten 10:50 – Wilhelm Tell als Beispiel für Unterdrückung und Widerstand 11:40 – Nationalsozialisten und die Sprengkraft des Stücks 12:00 – Kommentarteil 2: Max Frischs „Wilhelm Tell für die Schule“ (1971) 12:40 – Frischs kritischer Blick auf den Helden – Attentat oder Befreiung? 13:10 – Die offene Frage: Wie befreit man sich ohne Gewalt? 13:40 – Schiller + Frisch – zwei Perspektiven auf Freiheit und Verantwortung 14:10 – Friedliche Vorbilder: Gandhi und Mandela 14:50 – Theater als Brücke zwischen Epochen 15:20 – Fazit: Große Literatur als Denk-mal – neu lesen statt abschaffen 15:50 – Hinweis: Niemand muss das gleich so schreiben können – Übung zählt 16:10 – Zum Schluss: Hinweise, Materialien und Einladung zum Mitdenken

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Der Kommentar – Vorschau

Der Kommentar – Druckvorlage

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Der Kommentar für die direkte Lektüre hier

Anders Tivag,

Schiller raus aus dem Deutschunterricht?

Zuerst war Goethe dran. In Bayern soll er keine Pflichtlektüre mehr sein. Und nun ist Schiller an der Reihe – gleich mit seinem ganzen Werk.

Diesmal kommt der Vorstoß von Volker Weidermann, einem bekannten Literaturkritiker, der gerade eine Biografie über Mascha Kaléko veröffentlicht hat.

Man kann also davon ausgehen, dass er weiß, wovon er spricht. Allerdings kennen wir seinen Originaltext nicht,

denn der steht hinter einer Bezahlschranke. Trotzdem lohnt sich die Auseinandersetzung – nicht mit der Person, sondern mit den Thesen.

Weidermann meint, man solle sich im Deutschunterricht stärker auf moderne Literatur konzentrieren.

Das klingt erst einmal vernünftig – schließlich sollen Texte Schüler und Schülerinnen ansprechen.

Auch wir waren überrascht, als Kleists “Der zerbrochene Krug” plötzlich wieder Pflichtlektüre wurde. Ganze vier Jahre nach Schillers Stück uraufgeführt. Kein Wunder: Auch diese Lektüre finden viele Schüler schwer zugänglich und mindestens genauso fremdartig wie die Welt des Wilhelm Tell. Auch sonst gibt es bei Schiller einiges, das heute sehr befremdlich wirkt – etwa das Frauenbild im “Lied von der Glocke” oder die Vorstellung, man könne die Welt durch Kunst verbessern.

Trotzdem sollten wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.

Gerade Wilhelm Tell zeigt eindrucksvoll, wie Menschen mit Unterdrückung umgehen.

Die Szene mit dem Hut auf der Stange bleibt unvergesslich – und dass ein Vater gezwungen wird, den Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen,

macht das Stück zeitlos spannend.

Übrigens erkannten sogar die Nationalsozialisten diese Sprengkraft –

sie verboten das Drama später. Soll die verlorengehen?

Max Frisch hat schon in seinem 1971 erschienenen Satirestück “Wilhelm Tell für die Schule” versucht, Schillers Stück aus heutiger Sicht zu betrachten. Ihm ging es vor  allem darum, den Schweizer Attentäter nicht so einfach als Helden davonkommen zu lassen.  Immerhin lauert er dem Vogt auf und erschießt ihn – um das Land von einer möglichen Wiederholung solcher Schauertaten wie dem Apfelschuss auf den eigenen Sohn zu befreien.

Aber auch Max Frisch liefert keine Antwort auf die Frage, wie ein Volk sich von Gewaltherrschaft befreien kann.

Damit braucht man Friedrich Schiller und vielleicht auch Max Frisch, um dieses wichtige Thema verantwortungsvoll zu besprechen. Es lohnt sich hier, nach historischen Fällen zu suchen, die auch friedliche Wege in eine bessere Welt zeigen.

 

Ganz nebenbei sei Volker Weidermann daran erinnert, dass es mit dem Theater ja ein wirkungsvolles Instrument gibt, ältere Texte für uns heute verständlich zu machen. Aber das weiß er sicherlich  – und vielleicht war sein Motiv für seinen Vorschlag ja nur ein Versuch, eine Diskussion zu starten.

Das ist ihm gelungen, wie die vielen Kommentare zu dem Artikel zeigen: Große Literatur darf wie ein Denkmal bestaunt werden – sie muss in einem etwas anderen Sinne zum “Denk-mal” werden. Dann zeigt sich, wieviel Potenzial sie noch hat.

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