Kreativ: Auktoriales Erzählbeispiel ins Personale umwandeln: Kleist, „Michael Kohlhaas“ (Mat5707)

Worum es hier geht:

Wenn man sich im Deutschunterricht mit epischen Texten beschäftigt (von der Kurzgeschichte bis zum Roman), dann tauchen zwei wichtige Begriffe auf: auktoriales und personales Erzählen.

Das wollen wir kurz vorstellen und an Beispielen erklären.

Eins der berühmtesten Beispiele für auktoriales Erzählen ist der Anfang der Novelle „Michael Kohlhaas“ von Kleist. Wir zeigen daran, was es mit dieser Erzählhaltung auf sich hat, und wandeln das Zitat dann mal zum Vergleich in eine personale Erzählweise um.

Beispiel für „auktoriales“ Erzählen

Dort heißt es:

„An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. – Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.“
Quelle

Was ist daran „auktorial“?

Wir zeigen mal, wieso hier „auktorial“ erzählt wird:

  1. „An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.“
    • Es beginnt wie eine ganz normale Geschichte mit Angabe der Zeit und des Ortes. Man spürt schon den Erzähler, aber er macht sich noch nicht direkt bemerkbar.
    • Im zweiten Teil geschieht das dann: Der Erzähler sagt, was er von diesem Rosshändler hält. Kommentare dieser Art sind typisch für auktoriales Erzählen.
    • Der Begriff hängt mit „Autor“ zusammen, kommt ursprünglich aus dem Lateinischen und heißt soviel wie:
      Auf dieser Seite wird das zum Beispiel so erklärt:
      „„Als ›Autor‹ bezeichnet man den Verfasser von Texten aller Art. Das lateinische Wort auctor wird etymologisch auf augere (etwas entstehen lassen, vergrößern) zurückgeführt und steht darüber hinaus in engem Bezug zu auctoritas (Glaubwürdigkeit, Einfluss, Vorbild).“
    • Das heißt: Beim auktorialen Erzähler ist man als „Autor“ mit dabei, mischt sich ein, nimmt „Einfluss“, wie es im Zitat heißt, lenkt damit ganz gezielt den Leser.
  2. „– Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können.“
    • Der Erzähler weiß noch mehr über die Person – und zwar erzählt er nicht, was zum Beispiel jemand in der Geschichte gesagt hat, sondern er sagt es selbst.
  3. „Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte;“
    • Hier hält sich der Erzähler erst mal kurz zurück, gibt nur Infos.
    • Dann geht es schon wieder los: Er weiß genau, wie dieser Mann seine Kinder erzieht, zeigt das aber nicht, sondern gibt eine Bewertung ab.
    • Am Ende hält er sich wieder etwas zurück, gibt nur wieder, was die Nachbarn denken. Allerdings hätte man hier auch erst mal eine Episode vorschalten können, wo Kohlhaas sich bei seinem Ausritt zum Beispiel mit einem Nachbarn unterhält und dabei all das deutlich wird, was der Erzähler hier von sich aus sagt.
  4. „kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.“
    • Jetzt wird es hammer-auktorial, denn der Erzähler interpretiert auch schon mal die Geschichte, die er erzählen will.

Umwandlung in „personales“ Erzählen

Nun wandeln wir das mal in eine personale Erzählweise um:

  • Als Michael Kohlhaas an diesem Morgen aufwachte, frühstückte er zunächst mit seiner Familie, fragte seine Kinder, was sie gerade in der Schule lernten, und ermahnte sie, fleißig zu sein und besonders im Unterricht des Pfarrers aufzupassen. „Ich bin morgen wieder zurück – und dann will ich wissen, was ihr gelernt habt.
  • Er umarmte dann noch herzlich seine Frau zum Abschied, sattelte sein Pferd, fasste drei andere zu einer Koppel zusammen, da er sie auf dem Markt in Leipzig verkaufen wollte.
  • Als er seinen Hof verließ, traf er den Ortsvorsteher, der immer ein bisschen redselig war. Auch diesmal gab es kein Vorbeikommen. Während er anhielt, dachte er nur: Musste das denn jetzt sein. Er war sowieso spät dran. Aber es war einfach nicht klug, es sich mit dem Mann zu verscherzen. Der konnte ziemlich nachtragend sein.“
  • Aber Hans von der Pforten schien auch nicht viel Zeit zu haben. Er meinte nur kurz: „Grüß Gott, Michael. Wieder in Geschäften unterwegs. Ja, ja, du bist ein braver Mann, von dem man nur Gutes hört. Besonders der Pfarrer ist ganz begeistert. Deine Kinder sind ein Vorbild an Pflichtbewusstsein und Gottesfurcht. Er meint, das könne nur vom Vater kommen. Glückwunsch. Solche Bürger brauchen wir als Vorbilder.“
  • Kohlhaas dachte nur: „Das ist meine Chance“ und sagte dann: „Danke Meister Hans, so was hört man gern. Ich will aber jetzt auch weiter ein Vorbild sein, meinem Tagwerk nachgehen und auf dem Markt nicht zu spät erscheinen.“
  • Er grüßte noch kurz – und er dachte nur: „Ja, so muss man das machen. Die Leute ernst nehmen und sich dann davonmachen.
  • Die gute Stimmung verließ ihn erst, als er nach einigen Stunden in der Nähe einer Burg einen Wachtposten entdeckte.“
  • Man merkt hier deutlich, dass der Erzähler nicht über die Figur spricht, zumindest nicht im Sinne von Einschätzungen oder Beurteilungen. Vielmehr lässt er die einfach Figuren im Gespräch sagen.
  • Eine goldene Schriftstellerregel heißt eben:
    „Nicht sagen, was ist, sondern es zeigen.“

Wir hoffen, dass der Unterschied zwischen dem auktorialen (sich einmischenden) Erzählverhalten und dem personalen (alles durch die Figuren betrachten) deutlich geworden ist.

Näheres zur Erzähltechnik findet sich hier:

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