Reiner Kunze, „Wenigstens“ – wenn Erziehung zur Selbsterziehung wird (Mat5731)

Reiner Kunze, „Wenigstens“ – Auszug aus „Die wunderbaren Jahre“ aus dem Jahre 1976

  1. Bei dem Roman, aus dem der Auszug stammt, handelt es sich um eine Sammlung von Texten, in denen der DDR-Schriftsteller die Situation der Jugend in seiner Heimat kritisiert. Dort herrschen ideologische Bevormundung und soziale Gängelung, die gerade nicht die „wunderbaren Jahre“ sind, die möglich und wünschenswert wären.
  2. Der Auszug mit der Überschrift „Wenigstens“ beginnt mit einer Situation, die so ziemlich jeder Schüli kennt: Man möchte eine Party besuchen und dann auch auswärts übernachten.
  3. Die kritischen Einwände hätte man zum größten Teil auch in Westdeutschland als Jugendlicher zu hören bekommen.
  4. Bis auf eine Ausnahme, nämlich, dass der Lehrer aus möglichen Folgeproblemen einer solchen Partynacht „einen Tagesordnungspunkt“ macht. Das deutet nämlich an, dass die Jugendlichen in der DDR einem höheren Erziehungsdruck ausgesetzt waren, denn sie sollten ja möglichst dem Idealbild eines nützlichen Gliedes der sozialistischen Gesellschaft entsprechen.
  5. In diese Richtung gehen auch die inhaltlichen Ziele, die der Vater dann aufzählt. Es geht vor allem um Wissen, weil man auf der Basis die Welt weiterentwickeln kann. Von Bertolt Brecht gibt es den markanten Spruch: „So wie die Erde ist, muss die Erde nicht bleiben. Sie anzutreiben, forscht, bis ihr wisst!“
    https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/08/23/brecht-im-blog/
  6. Im nächsten Abschnitt werden dann verschiedene Lehrertypen aufgezeigt, denen man nicht auf falsche Art und Weise zuarbeiten sollte:
    1. Zum einen geht es um die Pädagogen, die als echte Idealisten das nötige Wissen vermitteln wollen und durch Schülis mit Fetenschwerpunkt davon abgebracht werden könnten.
    2. Aber auch bei reinen Karrieristen muss man aufpassen und ihnen nicht einene Grund liefern, ihr Engagement noch weiter einzuschränken.
  7. Dann die Reaktion der Tochter: „den Kopf gesenkt“.
  8. Daraufhin verstärkt der Vater noch seine argumentativen Anstrengungen: Er verweist auf einen gewissen Born, der im Jahr des Einmarsches von Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei, die den Sozialismus mit mehr „menschlichem Antlitz“ ausstatten wollte, sich weigerte, die Gegenmaßnahmen des Sowjetblocks gutzuheißen.
  9. Dabei erinnert sich die Tochter, dass dieser Born wohl als Lehrer in einem Konfliktfall für sie eingetreten war. Es geht darum, dass ein neuer Lehrer sie auf dem Bordstein hatte sitzen sehen, was als unangebracht galt. Born hatte dann nur das Ehren-Wort „Arbeiterin“ ins Spiel gebracht und für die Schülerin gewissermaßen als Schutzwand verwendet.
  10. Der Textauszug endet damit, dass die Tochter zu weinen beginnt und klagt, dass ihr Vater nicht einfach „stur“ ist, alles verbietet, dann könne man wenigstens was „machen gegen euch“. Das zeigt, dass die Tochter darunter leidet, dass ihr Vater in gewisser Weise ja recht hat, dass sie das aber eben nicht schön findet.

Damit macht diese Geschichte wunderbar deutlich, in welcher Spannung Jugendliche leben. Sie möchten etwas, was Spaß macht, aber auch Nachteile mit sich bringt. Und dann ist ein Vater, der sich Mühe mit Argumenten gibt, möglicherweise unangenehmer als einer, der einfach nur Druck macht und gegen den man dann wenigstens Opposition machen kann. Zum Prozess des Erwachsenwerdens gehört nach impliziter Aussage der Geschichte offensichtlich, dass man mit diesem inneren Konflikt lernt fertig zu werden – am besten dadurch, dass man selbst zu einer Lösung kommt, die niemanden mehr zu unangenehmen erzieherischen Reaktionen veranlasst.

Kleiner Tipp.

Eine vergleichbare Geschichte, wenn auch mit mehr auf die „Selbst-Erziehung“ von Eltern ausgerichtet, ist „Fünfzehn“ vom gleichen Autor.
https://www.schnell-durchblicken2.de/kg-kunze-fuenfzehn

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