Kurt Kusenberg, „Ein verächtlicher Blick“ (Mat5529)

Worum es hier geht:

  • In dieser Geschichte geht es um einen kleinen Zwischenfall zwischen einem Polizisten und einem Mann, der ihn so angeschaut hat, dass der Beamte sich beleidigt fühlt und sich beim Polizeipräsidenten beschwert.
  • Das kann einem schon komisch vorkommen – aber es gibt noch viele weitere Situationen, in denen bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse auf die Schippe genommen werden. Damit ergibt sich der Eindruck von Satire.
  • Das kann genutzt werden, um selbst mal so etwas zu probieren, wofür wir Vorschläge machen.

Ablauf der Handlung

  1.  Gleich der Beginn der Kurzgeschichte kommt einem etwas seltsam vor. Da ist ein Polizeibeamter, der sich beim Polizeipräsidenten darüber beschwert, dass ein Passant ihn verächtlich angeschaut habe. Der Polizeipräsident versucht das etwas zu relativieren, aber der Polizist bleibt bei seiner Auffassung.
  2. Anschließend beginnt eine Suchaktion nach dem Mann, der nur an einem roten Bart zu erkennen ist.
  3. Spätestens dann, wenn beschrieben wird, was die Funkstreifen alles gerade machen, bevor sie die Verfolgung aufnehmen, wird deutlich, dass das hier wohl eher ein satirische Übertreibung ist.
  4. Das setzt sich dann fort, wenn die Verhörmethoden beschrieben werden, mit denen man die verhafteten Verdächtigen zu einer Aussage bewegen will.
  5. Das Problem ist nämlich, dass der Polizist niemanden als den Täter identifizieren kann.
  6. Die Geschichte wechselt die Perspektive und wendet sich dem Täter zu, der Glück hat. Er überhört nämlich das Klingeln der Polizisten und bekommt dann ein Telegramm, das ihm einen Posten im Ausland anbietet.
  7. Zur Vorbereitung auf die neue Stelle lässt er sich beim Friseur seinen roten Bart abnehmen und macht sich dann auf den Weg, um sich den fehlenden Pass zu besorgen.
  8. An dieser Stelle mischt sich der Erzähler ein und präsentiert nachträglich den Grund für den wirklich geringschätzigen Einblick. Der hat mit dem Polizisten selbst aber nichts zu tun, sondern der sieht nur so aus wie ein Vetter des Mannes, den der nicht leiden kann.
  9. Nachdem ein untergeordneter Beamter keine Chance für eine schnelle Bereitstellung des Passes gesehen hat, sieht das beim Polizeipräsidenten dann ganz anders aus. Der ist nämlich beeindruckt von dem Einladungsschreiben und stellten schnell einen Pass aus.
  10. Bevor der Mann mit seinem Pass verschwindet, bewundert der Polizeipräsident noch seine Krawatte, auf der eine Karte von Istanbul, dem Zielort der Reise, aufgedruckt ist.
  11. Diese Krawatte ist es dann, die die Polizei auf die Spur des Täters bringt. Der Friseur hat die Abnahme des roten Bart nämlich gemeldet und verweist auf die besondere Krawatte, die den Polizeipräsidenten schon beeindruckt hat.
  12. Der Polizeipräsident nimmt dann auch sofort die Verfolgung auf, kommt aber am Flughafen zu spät. Das Flugzeug nach Istanbul startet gerade.

Was zeigt die Geschichte? (Aussagen, Intentionalität)

Insgesamt eine Geschichte,

  • bei der vor allen Dingen viele satirische Übertreibungen auffallen: Wie schon erwähnt, sind die Besatzung der Streifenwagen mit allerlei dienstfremden Tätigkeiten beschäftigt, bevor sie sich auf die Suche machen
  • Die nächste Übertreibung liegt in der Beschreibung der Verhörmethoden, die an George Orwells Roman 1984 erinnern. Auch dort ist die schlimmste Foltermethode die, dass man einen Menschen mit dem konfrontiert, was er überhaupt nicht ertragen kann.
  • Eine weitere Übertreibung besteht dann darin, dass der Fahrer des Polizeipräsidenten auf der schnellen Fahrt zum Flugplatz eine Menge Schaden anrichtet.

Bleibt die Frage, was diese ganzen Übertreibungen und noch einige andere, seltsame Dinge deutlich machen könnten:

  1. Das ist zum einen ein obrigkeitliches System, bei dem schon ein schiefer Blick reicht, um verhaftet zu werden.
  2. Dann sind es natürlich diese Verhörmethoden, unter denen ja auch Unschuldige leiden müssen.
  3. Außerdem wird im Hinblick auf sie offen zugegeben, dass richtige, aber auch falsche Geständnisse herauskommen können.
  4. Außerdem zeigt die Geschichte auch, wie jemand einen anderen Menschen nur deshalb nicht leiden kann, weil er einem ähnelt, den er wahrscheinlich aus gutem Grund nicht leiden kann. Dafür kann der andere, den er gar nicht genauer kennt, aber nichts.
  5. Sowohl am Verhalten der Streifenwagenbesatzungen wie auch an dem des Fahrers des Polizeipräsidenten wird deutlich, dass hier der wichtige Dienst der Ordnungskräfte auf unterschiedliche Art und Weise, aber auf jeden Fall nicht richtig verrichtet wird.
  6. Letztlich läuft die Geschichte darauf hinaus, eine Gesellschaft zu zeigen, in der es sehr autoritär zugeht und die Vertreter der Staatsmacht sich eine gewisse Sonderstellung herausnehmen, wie man sie etwa aus dem deutschen Kaiserreich kennt.

Kreative Anregungen

  1. Man könnte mal überlegen, wie man andere Verhältnisse, mithilfe des satirischen Mittels der Übertreibung so verfremden kann, dass das zum Nachdenken führt.
  2. Das könnten natürlich Bereiche von
    1. Schule und Unterricht sein:
      So könnte man zum Beispiel eine Schule beschreiben, die sich zum Ziel gesetzt hat, für mehr Bewegung im Schulalltag zu sorgen. Dabei wird dann an verschiedenen Stellen tüchtig übertrieben.
    2. Thematisiert könnten auch Maßnahmen im Erziehungsbereich werden.
      So könnten etwa übervorsichtige Eltern mehr als nötig tun, um ihre Kinder vor irgendwelchen Schäden zu bewahren.
    3. Oder aber es werden bestimmte Eigenheiten von Menschen präsentiert:
      Man könnte jemanden beschreiben, der sich mehr mit Plänen beschäftigt, als ihrer Realisierung gut tut.
    4. usw.

Vergleichsmöglichkeit

Man kommt sicher nicht sofort drauf – aber wenn man daran denkt, dass hier aus einem fast bedeutungslosen Vorgang etwas ziemlich Großes gemacht wird (falsches bzw. provozierendes Anschauen führt zu Verhaftung und Psychofolter), dann kann einem schon Kafka einfallen:

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