Louise Brachmann, „Columbus“: Eine Ballade im Vergleich mit der historischen Realität (Mat5228)

Worum es hier geht:

Es ist immer wieder schön zu sehen, was Dichterinnen und Dichter aus der historischen Realität gemacht haben:

In diesem Falle geht es um ein Gedicht von Louise Brachmann mit dem Titel „Columbus“.

Wer mehr über diese Schriftstellerin wissen will, findet Infos hier.

Diese eher unbekannte Ballade ist insofern interessant, als das Geschehen kurz vor der Entdeckung Amerikas dramatisch zugespitzt wird. Dabei lohnt sich dann ein Vergleich mit der historisch nachweisbaren Realität, wie sie sich im Tagebuch des Kolumbus findet oder eben auch in Geschichtswerken.

 

Louise Brachmann

Columbus

»Was willst du, Fernando, so trüb und bleich?

Du bringst mir traurige Mär!«

»Ach edler Feldherr, bereitet euch,

Nicht länger bezähm‘ ich das Heer!

Wenn jetzt nicht die Küste sich zeigen will,

So seid Ihr ein Opfer der Wut;

Sie fordern laut, wie Sturmgebrüll,

Des Feldherrn heiliges Blut.«

 

Und eh noch dem Ritter das Wort entflohn,

Da drängt schon die Menge sich nach,

Da stürmen die Krieger, die wütenden, schon,

Gleich Wogen in’s stille Gemach:

Verzweiflung im wilden verlöschenden Blick,

Auf bleichen Gesichtern der Tod.

»Verräter! wo ist nun dein gleißendes Glück?

Jetzt rett‘ uns vom Gipfel der Not!

 

»Du giebst uns nicht Speise, so gib uns denn Blut!«

»Blut!« rief das entzügelte Heer. –

Sanft stellte der Große den Felsenmut

Entgegen dem stürmischen Meer.

»Befriedigt mein Blut euch, so nehmt es und lebt!

Doch bis noch ein einziges Mal

Die Sonne dem feurigen Osten entschwebt

Vergönnt mir den segnenden Strahl.

 

»Beleuchtet der Morgen kein rettend Gestad,

So biet‘ ich dem Tode mich gern,

Bis dahin verfolgt noch den mutigen Pfad,

Und trauet der Hülfe des Herrn!«

Die Würde des Helden, sein ruhiger Blick

Besiegte noch einmal die Wut.

Sie wichen vom Haupte des Führers zurück

Und schonten sein heiliges Blut.

 

»Wohlan denn! es sei noch! doch hebt sich der Strahl

Und zeigt uns kein rettendes Land,

So siehst du die Sonne zum letzten Mal!

So zittre der strafenden Hand!«

Geschlossen war also der eiserne Bund;

Die Schrecklichen wichen zurück. – –

Es tue der leuchtende Morgen nun kund

Des duldenden Helden Geschick!

 

Die Sonne sank, der Tag entwich;

Des Helden Brust ward schwer;

Der Kiel durchrauschte schauerlich

Das weite wüste Meer.

Die Sterne zogen still herauf,

Doch ach! kein Hoffnungsstern!

Und von des Schiffes ödem Lauf

Blieb Land und Rettung fern.

 

Vom Trost des süßen Schlafs verbannt,

Die Brust voll Gram, durchwacht,

Nach Westen blickend unverwandt,

Der Held die dunkle Nacht.

»Nach Westen, o nach Westen hin

Beflügle dich, mein Kiel!

Dich grüßt noch sterbend Herz und Sinn,

Du meiner Sehnsucht Ziel!

 

»Doch mild, o Gott, von Himmelshöhn

Blick auf dein Volk herab,

Laß nicht sie trostlos untergehn

Im wüsten Flutengrab!«

Es sprach’s der Held, von Mitleid weich; – –

Da horch! welch eil’ger Tritt?

»Noch einmal, Fernando, so trüb und bleich!

Was bringt dein bebender Schritt?«

 

»Ach, edler Feldherr, es ist geschehn!

Jetzt hebt sich der östliche Strahl!«

Sei ruhig, mein Lieber! von himmlischen Höhn

Entwand sich der leuchtende Strahl.

Es waltet die Allmacht von Pol zu Pol,

Mir lenkt sie zum Tode die Bahn.

»Leb wohl dann, mein Feldherr! leb ewig wohl!

Ich höre die Schrecklichen nahn!«

 

Und eh noch dem Ritter das Wort entflohn,

Da drängte die Menge sich nach;

Da stürmten die Krieger, die wütenden, schon

Gleich Wogen in’s stille Gemach.

»Ich weiß, was ihr fordert, und bin bereit,

Ja, werft mich in’s schäumende Meer;

Doch wisset, das rettende Ziel ist nicht weit;

Gott schütze dich, irrendes Heer!«

 

Dumpf klirrten die Schwerter, ein wüstes Geschrei

Erfüllte mit Grausen die Luft;

Der Edle bereitet sich still und frei

Zum Weg in die flutende Gruft.

Zerrissen war jedes geheiligte Band:

Schon sah sich zum schwindelnden Rand

Der treffliche Führer gerissen – – Und Land!

Land! rief es, und donnert es, Land!!

 

Ein glänzender Streifen, mit Purpur gemalt,

Erschien dem beflügelten Blick;

Vom Golde der steigenden Sonne bestrahlt

Erhob sich das winkende Glück,

Was kaum noch geahnet der zagende Sinn,

Was mutvoll der Große gedacht; – –

Sie stürzten zu Füßen des Herrlichen hin, –

Und priesen die göttliche Macht.

Die Realität

 

Im Internet gibt es ein ins Deutsche übersetztes Tagebuch des Kolumbus, das eine ganz andere Darstellung des spannenden Moments präsentiert.

 

Zu finden ist es hier.

 

Dort wird der entscheidende Moment so dargestellt:

 

„Mittwoch, den 10. Oktober

[…] Zu diesem Zeitpunkt beklagten sich meine Leute über die lange Reisedauer, die ihnen unerträglich zu sein schien. Ich wusste sie jedoch aufzumuntern, so gut ich eben konnte, und stellte ihnen den Verdienst, den sie sich auf diese Weise verschaffen konnten, in nahe Aussicht. Dem fügte ich hinzu, dass es zwecklos wäre, darüber in Streit zu geraten, da ich nun einmal entschlossen sei, nach Indien zu gelangen und die Reise solange fortzusetzen, bis ich mit Gottes Hilfe dahin gelangt sein werde.“

 

Hier wird ganz deutlich, dass es zwar Streit gab, aber keinen sehr großen. Außerdem ließ er sich schnell beschwichtigen – vor allem aber scheint die Autorität des Admirals zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gestanden zu haben.

 

„Donnerstag—Freitag, den 11. 12. Oktober

[…] Die Leute der Karavelle «Pinta» erspähten ein Rohr und einen Stock, fischten dann noch einen zweiten Stock heraus, der anscheinend mit einem scharfen Eisen bearbeitet worden war; sie griffen noch ein Rohrstück auf und sahen ein kleines Brett und eine Grasart, die von der üblichen verschieden war und auf dem Lande wuchs. […] Diese Vorboten versetzten alle in gehobene, freudvolle Stimmung. […] Als dann die ganze Mannschaft das «Salve Regina» betete […] und dann schweigend verharrte, gab ich meinen Leuten den guten Rat, auf dem Vorschiffe gute Wache zu halten und aufzupassen, ob Land in Sicht komme. Wer als erster melden würde, Land zu sehen, bekäme sofort eine seidene Jacke zum Geschenk, ausser all den Belohnungen, die das Herrscherpaar versprochen hatte, nämlich die Auszahlung eines lebenslänglichen Ruhegehaltes […] Um zwei Uhr morgens kam das Land in Sicht, von dem wir etwa acht Seemeilen entfernt waren. Wir holten alle Segel ein und fuhren nur mit einem Grosssegel, ohne Nebensegel. Dann legten wir bei und warteten bis zum Anbruch des Tages, der ein Freitag war, an welchem wir zu einer Insel gelangten, die in der Indianersprache «Guanahani» hieß.“

 

Hier ist von Streit keine Rede mehr. Alles läuft sehr harmonisch ab, vor allem gibt es Vorboten und keine Rettung in letzter Sekunde wie in der Ballade. Diese ist offensichtlich auf einen ganz besonderen dramatischen Effekt hin ausgerichtet.

 

Es käme jetzt darauf an, in einem dritten Schritt zu prüfen, ob Kolumbus hier nicht die Geschichte in einem für ihn sehr günstigen Sinne erzählt – aber dafür braucht man historisch-kritische Stimmen. Die findet man zum Beispiel in einer Kolumbus-Biografie.

 

 

Aber auch die Wikipedia gibt schon erste Hinweise:

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Kolumbus#Erste_Reise_(August_1492_bis_M%C3%A4rz_1493)

 

„Die Fahrt wird von Kolumbus, der zur ersten Reise ein der Nachwelt erhalten gebliebenes Bordbuch verfasste, als äußerst schwierig beschrieben. Mehrmals bestand während der Reise die Gefahr einer Rebellion von Matrosen, aber auch von skeptischen Offizieren bis hin zum intriganten Kapitän der Pinta. Die Reise ins Ungewisse schürte große Angst. Beinahe jedes ungewöhnliche Naturschauspiel wurde von der Mannschaft als schlechtes Omen interpretiert (z. B. die Rauchwolken des 1492 aktiven Vulkans Teide, Teneriffa). Von Tag zu Tag wurde das Ausbleiben einer Küste am Horizont unheimlicher.“

 

Hier wird deutlich, dass es durchaus die Gefahr einer Rebellion gab, allerdings nicht in dem dramatischen Ausmaß, wie es die Ballade beschreibt.

„Der 13. September scheint besonders kritisch gewesen zu sein, als die Kompassnadel immer mehr von Norden abwich.[17] Da der Wissenschaft zur damaligen Zeit der Magnetismus der beiden Erdpole und die Deklination nicht bekannt war, hielt die Mannschaft das Abweichen der Nadel für einen Beleg, dass man in ein Gebiet vordringe, in dem die Grundgesetze der Natur nicht mehr gälten. Dass selbst der Kompass nicht mehr helfen konnte, sich genau zu orientieren, versetzte die Seeleute in Unruhe. Als die Mannschaft eine Umkehr zurück nach Europa gerade gewaltsam erzwingen wollte, erschien laut Kolumbus ein Vogel über dem Schiff. Kolumbus beschwor daraufhin die Mannschaft, an der Weiterfahrt festzuhalten, da sich ein Vogel nie mehr als 100 Meilen weit von einem Ufer entferne, wovon sich die Matrosen schließlich überzeugen ließen. Zudem bekam man in den darauf folgenden Tagen immer mehr Anzeichen von Küstennähe zu sehen, beispielsweise Äste von Bäumen und Pflanzen. Dennoch dauerte es noch einen ganzen Monat, bis ein Matrose im Ausguck Land verkünden konnte.

Am 12. Oktober 1492 erreichten die Schiffe die Neue Welt.“

Also: Unruhe gab es schon – auch eine Stufe kurz vor der Gewalt. Und tatsächlich ist hier auch von etwas Glück die Rede, indem zum richtigen Zeitpunkt ein Vogel erscheint. Aber zumindest ging es nicht um das Leben des Kolumbus.

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