Anmerkungen zum Gedicht „Wiedersehen mit Berlin“ von Mascha Kaléko (Mat4297)

Das Gedicht ist u.a. hier zu finden.

Mascha Kaléko, “ Wiedersehen mit Berlin“

  • Der Titel macht nur deutlich, dass es um ein Wiedersehen mit Berlin geht.
  • Offen bleibt zunächst, was der Grund für die Entfernung war.
  • Dann ist natürlich spannend, wieviel Wiederbelebung alter Gefühle möglich ist und was vielleicht auch nicht mehr möglich ist.

Anmerkungen zu Strophe 1

  • Das Gericht beginnt nüchtern mit einer Datumsangabe und dem Hinweis, dass es sich um die erste Deutschlandreise nach langer Zeit handelt.
  • Die Übertreibung „vor 1000 Jahren“ soll deutlich machen, dass eine große Distanz entstanden ist.
  • Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Verwendung des Wortes „verbannt“. Das macht ja deutlich, dass das lyrische Ich Berlin nicht freiwillig verlassen hat.
  • Interessant ist dann das erste Gefühl, das geschildert wird:
    Das lyrische Ich fühlt sich wie jemand, der eine fremde Stadt mit dem Reiseführer in der Hand betrachtet, sie also gewissermaßen wahrnimmt wie etwas Neues.
  • Es folgt eine Beschreibung der Natur, der man begegnet. Interessant ist der Hinweis darauf, dass es kein Mensch ist, von dem das lyrische Ich als erstes sich begrüßt fühlt, sondern ein Vogel.
  • Darin steckt natürlich eine gewisse Kritik, dass der natürliche Prozess des Wiedererkennens hier von der anderen Seite aus nicht stattfindet.

Anmerkungen zu Strophe 2

  • Die zweite Strophe nimmt dann die Idee der Bekanntschaft mit einem Vogel auf und weitet das auch noch aus.
  • Jetzt wird das lyrische Ich nicht nur von Berliner Spatzen geweckt und zwar in einem vertrauten Ton. Sondern es kann auch sein Tagespensum mit ihnen besprechen und ist dabei ganz beglückt.
  • Als Zwischenfazit kann man schon mal festhalten, dass es Positives bei der Rückkehr gibt, aber das bezieht sich nicht auf den Kontakt zu Menschen. Die Tiere machen eigentlich das, was von den Menschen zu erwarten wäre.

Anmerkungen zu Strophe 3

  • In dieser Strophe wird noch mal ein Zeitbezug hergestellt. Es ist kurz vor Ostern. Diese Zeit ist ja traditionell mit Auferstehung verbunden. Das gilt natürlich auch für die Natur im Frühling. Dementsprechend wird anschließend direkt auf eine Pflanze verwiesen, die sich der Jahreszeit entsprechend verhält.
  • Es folgen weitere Beobachtungen und Empfindungen, die zum Frühling passen.
  • Die Schlusszeilen machen deutlich, dass das lyrische Ich schon im Gespräch mit anderen Leuten in Berlin ist. Die interessieren sich allgemein dafür, wie man Berlin wahrnimmt. Das passt übrigens gut zu der Situation des Fremden, der mit dem Reiseführer unterwegs ist.
  • Die Antwort ist lyrischen Ichs ist wieder ein Wortspiel. Es nimmt nämlich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „finden“ und macht daraus die Bemerkung, dass die Voraussetzung dafür überhaupt erst mal hergestellt werden muss.
  • Deutlich werden soll wohl, dass dieser Mensch, der nach vielen Jahren nach Berlin zurückkehrt, tatsächlich erst mal schauen muss, was von seinem Berlin überhaupt noch übrig geblieben ist.

Anmerkungen zu Strophe 4

  • Diese Strophe geht dann genauer auf das Suchen ein. Wenn von Ruinen die Rede ist, dann ist damit möglicherweise das gemeint, was das lyrische Ich wahrnimmt. Ihm geht es sicherlich nicht um die Häuser, die zur Zeit seines Besuches möglicherweise schon wieder aufgebaut worden sind, sondern es geht um eine Art inneres Berlin, das aus Beziehung besteht zwischen dem Äußeren und im Inneren.
  • Das wird auch in in der nächsten Zeile deutlich gemacht, es geht um die Ruinen den Menschheit, gemeint ist wahrscheinlich eher Menschlichkeit. Daneben gibt es dann natürlich auch die architektonischen Fassaden, aber die stehen für eine Zeit, die es in Wahrheit möglicherweise gar nicht mehr gibt.
  • Es folgen Zeilen, in denen es tatsächlich zu einem Kontakt zu einem anderen Menschen kommt. Aber am Ende zählt nicht mehr der Gruß, sondern der harte Gesichtsausdruck.
  • Und hier kommt das lyrische Ich am Ende zum gleichen Punkt zurück: Es erkennt seine alte Heimatstadt Berlin nicht mehr.

Anmerkungen zu Strophe 5

  • Diese Strophe macht dann deutlich, wo das Problem ist. Das lyrische Ich ist mit dem Herzen unterwegs und wird nur konfrontiert mit Straßenschildern, aber nicht wirklich mit etwas, womit es wieder eine Beziehung herstellen kann.
  • Der Rest der Strophe macht deutlich, dass das lyrische Ich fühlt, dass das alte Bild der Erinnerung in ihm entscheidend ist für die Beurteilung dessen, was jetzt gesehen wird.
  • Deutlich wird die Bedeutung vergangener Zeiten. Bezeichnend ist, dass das auch noch in einer fremden Sprache präsentiert wird. Das Französische könnte hier gut stehen für eine erste räumliche Etappe der Emigration.

Anmerkungen zu Strophe 6

  • In dieser Strophe ist anscheinend schon etwas Zeit vergangen. Der Winter ist eingekehrt und das lyrische Ich präsentiert sich hier als Schriftstellerin, die ihre Bücher in der Buchhandlung sieht.
  • Es hat auch wieder Freunde in einem Café gefunden.
  • Alles scheint sich zu normalisieren. Umso eindeutiger ist dann das abschließende Urteil, dass das lyrische Ich vieles sieht, was es nicht wirklich sieht. D.h.: Äußerlich scheint alles wieder in Ordnung, aber es fehlt die innere natürliche Verbindung.
  • Ein eindrucksvolles Bild: Die Situation wird mit der eines Besuches in der alt-römischen Stadt Pompeji verbunden. Auch dort Reste des früheren Lebens, das lyrische Ich glaubt sogar, dass diese Steine ihm was zu sagen haben. Aber es sind auf eine bestimmte Art und Weise eben auch tote Steine.

Anmerkungen zu den beiden Schlusszeilen

Am Ende dann das Feststellen einer Gemeinsamkeit. Es geht darum, dass eine Medizin geschluckt worden ist – und zwar von einem „Wir“. Das bezieht sich am engsten auf die alte Stadt Pompeji, mit der ja Berlin verglichen wird.

Pompeji erscheint dabei „ohne Pomp“ – also ohne Glanz, weil in Trümmern.

Dagegen wird Berlin mit einem „Bonjour“ begrüßt, da beginnt also doch ein neuer Tag. Für ein positives Ende des Gedichtes spricht auch die Tendenz, die schon vorher deutlich wurde. Die Frau, die sich wohl hinter dem lyrischen Ich verbirgt, schreibt wieder Gedichte, die veröffentlicht und in Buchläden in Berlin zum Verkauf ausgelegt werden. Und Freunde gibt es auch wieder.

Zusammenfassung

Insgesamt ein Gedicht, das auf beeindruckende Art und Weise zeigt, dass ein Verlust unter schlimmen Umständen nicht dadurch ausgeglichen werden kann, dass man das Verlorene in seiner äußerlichen Gestalt später wieder sieht.

Hier würde man sich allerdings wünschen, dass nicht nur auf die toten Steine am Ende verwiesen würde, sondern die Idee weiter ausgeführt würde.

Dann gibt es aber anscheinend doch noch ein Happy End. Wie es dazu gekommen ist, wird nicht weiter erklärt. Aber schon im Falle von Pompeji sprechen die alten Steine – und in Berlin kann die Dichterin wieder zurücksprechen – über ihre Gedichte und mit ihren Freunden.

 Wer noch mehr möchte …