Schnell durchblicken: Kafka, „Ein altes Blatt“ (Mat5814)

Worum es hier geht:

Wir stellen hier die Erzählung „Ein altes Blatt“ von Franz Kafka kurz vor.

Zu finden ist der Text u.a. hier:
http://www.zeno.org/Literatur/M/Kafka,+Franz/Erz%C3%A4hlungen+und+andere+Prosa/Ein+Landarzt/Ein+altes+Blatt

Hier zunächst Allgemeines zum Text für die, die ihn schon kennen.

Weiter unten dann eine Vorstellung der Erzählschritte.

Auswertung der Ezählung

  • Die Geschichte zeigt eine Situation der Konfrontation und des Verfalls der eigenen Macht. Dabei geht es besonders um das offensichtliche Versagen des Kaisers. Das wiederum ist verbunden mit der Notwendigkeit der Übernahme Verantwortung durch die Bürger.
  • Die fühlen sich damit allerdings überfordert.
  • Insgesamt eine Kombination von sich andeutender Katastrophe und der Unfähigkeit der indigenen Bevölkerung und ihres Herrschers, die Situation zu bewältigen.
  • Deutlich wird das besonders, wenn am Ende von einem “ Missverständnis“ die Rede ist, das allerdings so ganz nebenbei den eigenen Untergang hervorruft.

Tipps zum Umgang mit dieser Erzählung

  • Die Erzählung kann man gut mit „Der Steuermann“ von Kafka vergleichen. Dort wird etwas ähnliches beschrieben, allerdings aus der Sicht des Steuermanns, der von allen verlassen wird – also genau die andere Perspektive.
  • Interpretationshypothese
    Die Geschichte zeigt eine Situation des Zerfalls innerer Stabilität und vielleicht auch transzendenter Hoffnung.
  • Das kann man auf viele Situationen übertragen. Für Jugendliche könnte der Übergang ins Erwachsenenleben vergleichbar sein. Dabei wird ja auch manche schützende „Käseglocke“ verlassen und sieht man sich plötzlich bedrohlichen Situationen ausgesetzt.
  • Vor diesem Hintergrund ist es sicher besonders interessant,
    • Zunächst einmal zu überleben, was der Kaiser hätte tun können. Er hätte es zum Beispiel wie die Römer machen können – rechtzeitig die Germanen und in diesem Falle die Nomaden integrieren.
    • Dann kann man sich zum Beispiel in die Lage eines Schülis versetzen, der das Abitur oder einen ähnlichen Abschluss gemacht hat – und jetzt drängen tausend Notwendigkeiten, aber auch Möglichkeiten auf ihn zu. Was kann man dann tun, um mit dieser Invasion des Unklaren, vielleicht sogar Bedrohlichen klarzukommen.
  • Insgesamt ist aber deutlich, dass diese Kafka-Parabel nicht unbedingt die allgemeine Situation des Menschen in der Welt beschreibt – wie wir für den Normalfall annehmen.
  • Vielmehr geht es um einen individuellen Notstand, dem man durchaus begegnen kann.
  • Vergleichen kann man diese Erzählung auch mit „Eine kaiserliche Botschaft“:
    https://textaussage.de/kafkas-sicht-der-welt-und-des-menschen-kleine-fabel-und-eine-kaiserliche-botschaft
  • Man könnte auch ein Referat verteilen, das sich mit Kafkas Erzählung „Die chinesische Mauer“ beschäftigt.
    http://www.zeno.org/Literatur/M/Kafka,+Franz/Erz%C3%A4hlungen+und+andere+Prosa/Prosa+aus+dem+Nachla%C3%9F/Beim+Bau+der+Chinesischen+Mauer

Übersicht über die Erzählschritte – Vorstellung des Inhalts

Der Originaltext in Kursivschrift.+

Darüber die Überschriften, die die Erzählschritte angeben.

Ein altes Blatt

Einführung in die aktuelle Situation

Es ist, als wäre viel vernachlässigt worden in der Verteidigung unseres Vaterlandes. Wir haben uns bisher nicht darum gekümmert und sind unserer Arbeit nachgegangen; die Ereignisse der letzten Zeit machen uns aber Sorgen.

Konkretisierung durch Hinweis auf bewaffnete Nomaden vor dem Kaiserpalast

Ich habe eine Schusterwerkstatt auf dem Platz vor dem kaiserlichen Palast. Kaum öffne ich in der Morgendämmerung meinen Laden, sehe ich schon die Eingänge aller hier einlaufenden Gassen von Bewaffneten besetzt. Es sind aber nicht unsere Soldaten, sondern offenbar Nomaden aus dem Norden. Auf eine mir unbegreifliche Weise sind sie bis in die Hauptstadt gedrungen, die doch sehr weit von der Grenze entfernt ist. Jedenfalls sind sie also da; es scheint, daß jeden Morgen mehr werden.

Unzivilisiertes Verhalten der Nomaden

Ihrer Natur entsprechend lagern sie unter freiem Himmel, denn Wohnhäuser verabscheuen sie. Sie beschäftigen sich mit dem Schärfen der Schwerter, dem Zuspitzen der Pfeile, mit Übungen zu Pferde. Aus diesem stillen, immer ängstlich rein gehaltenen Platz haben sie einen wahren Stall gemacht. Wir versuchen zwar manchmal aus unseren Geschäften hervorzulaufen und wenigstens den ärgsten Unrat wegzuschaffen, aber es geschieht immer seltener, denn die Anstrengung ist nutzlos und bringt uns überdies in die Gefahr, unter die wilden Pferde zu kommen oder von den Peitschen verletzt zu werden.

Sprachliche und kulturelle Verständigungsschwierigkeiten

Sprechen kann man mit den Nomaden nicht. Unsere Sprache kennen sie nicht, ja sie haben kaum eine eigene. Untereinander verständigen sie sich ähnlich wie Dohlen. Immer wieder hört man diesen Schrei der Dohlen. Unsere Lebensweise, unsere Einrichtungen sind ihnen ebenso unbegreiflich wie gleichgültig. Infolgedessen zeigen sie sich auch gegen jede Zeichensprache ablehnend. Du magst dir die Kiefer verrenken und die Hände aus den Gelenken winden, sie haben dich doch nicht verstanden und werden dich nie verstehen. Oft machen sie Grimassen; dann dreht sich das Weiß ihrer Augen und Schaum schwillt aus ihrem Munde, doch wollen sie damit weder etwas sagen noch auch erschrecken; sie tun es, weil es so ihre Art ist.

Räuberische Lebensweise der Nomaden

Was sie brauchen, nehmen sie. Man kann nicht sagen, daß sie Gewalt anwenden. Vor ihrem Zugriff tritt man beiseite und überläßt ihnen alles.

Auch von meinen Vorräten haben sie manches gute Stück genommen. Ich kann aber darüber nicht klagen, wenn ich zum Beispiel zusehe, wie es dem Fleischer gegenüber geht. Kaum bringt er seine Waren ein, ist ihm schon alles entrissen und wird von den Nomaden verschlungen. Auch ihre Pferde fressen Fleisch; oft liegt ein Reiter neben seinem Pferd und beide nähren sich vom gleichen Fleischstück, jeder an einem Ende. Der Fleischhauer ist ängstlich und wagt es nicht, mit den Fleischlieferungen aufzuhören. Wir verstehen das aber, schießen Geld zusammen und unterstützen ihn. Bekämen die Nomaden kein Fleisch, wer weiß, was ihnen zu tun einfiele; wer weiß allerdings, was ihnen einfallen wird, selbst wenn sie täglich Fleisch bekommen.

Darstellung eines besonders extremen Vorfalls

Letzthin dachte der Fleischer, er könne sich wenigstens die Mühe des Schlachtens sparen, und brachte am Morgen einen lebendigen Ochsen. Das darf er nicht mehr wiederholen. Ich lag wohl eine Stunde ganz hinten in meiner Werkstatt platt auf dem Boden und alle meine Kleider, Decken und Polster hatte ich über mir aufgehäuft, nur um das Gebrüll des Ochsen nicht zu hören, den von allen Seiten die Nomaden ansprangen, um mit den Zähnen Stücke aus seinem warmen Fleisch zu reißen. Schon lange war es still, ehe ich mich auszugehen getraute; wie Trinker um ein Weinfaß lagen sie müde um die Reste des Ochsen.

Hilflose Betrachtung des Geschehens durch den Kaiser

Gerade damals glaubte ich den Kaiser selbst in einem Fenster des Palastes gesehen zu haben; niemals sonst kommt er in diese äußeren Gemächer, immer nur lebt er in dem innersten Garten; diesmal aber stand er, so schien es mir wenigstens, an einem der Fenster und blickte mit gesenktem Kopf auf das Treiben vor seinem Schloß

Kritische Fragen aus der Sicht der Handwerker und Geschäftsleute vor dem Hintergrund der Untätigkeit des Kaisers

Wie wird es werden?«, fragen wir uns alle. »Wie lange werden wir diese Last und Qual ertragen? Der kaiserliche Palast hat die Nomaden angelockt, versteht es aber nicht, sie wieder zu vertreiben. Das Tor bleibt verschlossen; die Wache, früher immer festlich ein und ausmarschierend, hält sich hinter vergitterten Fenstern.

Gefühl der Überforderung

Uns Handwerkern und Geschäftsleuten ist die Rettung des Vaterlandes anvertraut; wir sind aber einer solchen Aufgabe nicht gewachsen; haben uns doch auch nie gerühmt, dessen fähig zu sein. 

Abschließende Charakterisierung der Situation

Ein Mißverständnis ist es; und wir gehen daran zugrunde.«

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