Stadler, „Heimkehr“: Wie man sich einem Gedicht erfolgreich nähern kann (Mat6059)

Worum es hier geht:

In dem Video, das wir hier vorstellen, zeigen wir, wie man in möglichst kurzer Zeit und auf einem sicheren Weg ein Gedicht verstehen kann.

Dies Video gehört zu einem Projekt, in dem wir möglichst viele Gedichte so vorstellen, dass man ein immer besseres Gefühl für die Analyse und Interpretation von Gedichten bekommt.

Dabei kommt es uns auf eine gute Methodik an – aber eine, die man auch nachvollziehen kann.

Am Ende nehmen wir eine Idee des Speed-Datings auf – wir machen ja mit Gedichten so etwas Ähnliches: Wenn man genügend von der anderen Seite weiß, ist man sich auch mehr oder weniger klar darüber geworden: Ist das etwas für mich – oder eher auch nicht.

Das Video

Videolink

Hier schon mal die Dokumentation:

Mat6059 PCF Qualitativer Sprung Stadler Heimkehr (1)

Unser Projekt des „Erfahrungslernens“

Video 1: Vorstellung des Projekts
Videolink
Die Dokumentation zu diesem Video findet man hier:
https://textaussage.de/profi-werden-bei-gedichtanalyse

Erster Test mit einem Gedicht von Friedrich Schlegel

Auf dem Weg zum Gedicht-Profi: z.B. Friedrich Schlegel, „Im Spessart“ – so versteht man es schnell

Videolink

Die Aufgabe:

Ernst Stadler
Heimkehr
(Brüssel, Gare du Nord)

1.Die Letzten, die am Weg die Lust verschmäht; entleert aus allen
2.Gassen der Stadt. In Not und Frost gepaart. Da die Laternen schon in schmutzigem Licht verdämmern,
3.Geht stumm ihr Zug zum Norden, wo aus lichtdurchsungnen Hallen
4.Die Schienenstränge Welt und Schicksal über Winkelqueren hämmern.

5.Tag läßt die scharfen Morgenwinde los. Auffröstelnd raffen
6.Sie ihre Röcke enger. Regen fällt in Fäden. Kaltes graues Licht
7.Entblößt den Trug der Nacht. Geschminkte Wangen klaffen
8.Wie giftige Wunden über eingesunkenem Gesicht.

9.Kein Wort. Die Masken brechen. Lust und Gier sind tot. Nun schleppen
10.Sie ihren Leib wie eine ekle Last in arme Schenken
11.Und kauern regungslos im Kaffeedunst, der über Kellertreppen
12.Aufsteigt – wie Geister, die das Taglicht angefallen – auf den Bänken.

Das Ziel:
1.Wichtige Signale des Textes erkennen
2.und – soweit möglich – zu bündelnggf. vorläufige „Deutungshypothese“
3.Aus den Signalbündeln Aussagen herleitenWorauf läuft der Text zu? Zielrichtung, Intentionalität
4.Auf „literarische Mittel“ achten, die die Aussagen unterstützen
5.Abschließend das Thema formulieren – als zu den Aussagen passende Fragestellung

 

Unsre Auswertung des Gedichtes

Unser schnelles Ergebnis:

  1. Wichtige Signale des Textes erkennen
    • „die am Weg die Lust verschmäht“ – wohl Umschreibung von Halbwelt/Prostitution
    • „Not und Frost
    • „aus lichtdurchsungnen Hallen“„Schienenstränge Welt und Schicksal … hämmern“
    • „Kaltes graues Licht / Entblößt den Trug der Nacht“
    • „Geschminkte Wangen klaffen / Wie giftige Wunden über eingesunkenem Gesicht“
    • „Die Masken brechen. Lust und Gier sind tot.“
    • „schleppen / Sie ihren Leib wie eine ekle Last in arme Schenken“
    • wie Geister, die das Taglicht angefallen“
  2. und – soweit möglich – zu bündeln – ggf. vorläufige „Deutungshypothese“:
    • Es geht offensichtlich um den Gegensatz zwischen einer nächtlichen elenden Halbwelt (mit wahrscheinlich Prostitution) und der zumindest angedeuteten schöneren, aber auch „hämmernden“ Welt der Technik
  3.  Aus den Signalbündeln Aussagen herleitenWorauf läuft der Text zu? Zielrichtung, Intentionalität Das Gedicht zeigt
    • „den Trug der Nacht“, d.h. die Vergeblichkeit, dauerhaft aus ihr und wahrscheinlich gekauftem Sex etwas dauerhaft Positives zu gewinnen.
    • das Elend der daran beteiligten Menschen
    • angedeutet die Gegenwelt einer scheinbar sehr viel schöneren Technik,
    • die aber „Welt und Schicksal … hämmern“
  4. Auf „literarische Mittel“ achten, die die Aussagen unterstützen
    • Doppeldeutigkeit von „schmutzigem Licht“, Wertung? vgl. „graues Licht“
    • Personifizierung der Schienenstränge als Mittel der Macht
    • Personifizierung des Lichtes, das die Trugwelt der Nacht deutlich werden lässt
    • Extremer Vergleich: „geschminkte Wangen … wie giftige Wunden“
    • Metapher: „eingesunkenes Gesicht“ als Bild für das Selbstgefühl der Menschen
  5. Abschließend das Thema formulieren – als zu den Aussagen passende Fragestellung
    • Thema = die Frage, was die Nacht mit denen macht, die dort versucht haben, Lust zu geben—
  6. Sich wie beim Speed-Dating selbst eine Meinung bilden und auch formulieren.
    • Sehr drastische Beschreibung und Einschätzung dieser nächtlichen Halbwelt – muss man nicht mögen
    • Offen die Frage der Haltung des lyrischen Ichs diesem Schicksal gegenüber
    • Die Frage ist, ob die Unmenschlichkeit zu einseitig sichtbar gemacht wird – nicht einmal versucht wird, etwas zu differenzieren.
    • Mögliche Zufalls-Idee: Vergleich mit dem Gedicht „Fünf Mark“ von Klabund, da wirft ihr „Schatz“ der toten Frau noch einmal das Geld hinterher, das sie für ihre Dienste immer verlangt hat.

Weitere Infos, Tipps und Materialien

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