Das Besondere an der Sprache des „Sturm und Drang“ (Mat4329)

Die Sprache des „Sturm und Drang“ ist vor allem durch extreme Ausdrucksstärke gekennzeichnet.

Am besten schaut man sich zwei Beispiele an.

Das erste stammt aus Goethes „Die Leiden des jungen Werther“. Brief vom 10. Mai

https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/werther/werther.html

und das andere

aus Schillers Drama „Die Räuber“:

Auszug aus Goethes „Werther“

  1. “Wenn
    1. das liebe Tal um mich dampft,
    2. und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht,
    3. und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen,
    4. ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher an der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden;
    5. wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen näher an meinem Herzen fühle,
    6. und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf,
    7. das Wehen des Alliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält;
  2. mein Freund!
    1. wenn’s dann um meine Augen dämmert,
    2. und die Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhn wie die Gestalt einer Geliebten –
  3. dann
    1. sehne ich mich oft und denke: Ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papiere das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt,
    2. dass es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes!“

Vor allem werden hier die Wortkaskaden deutlich, dieser Wasserfall immer neuer Einfälle, die gewissermaßen auf den Leser hinabstürzen.

Auszug aus Schillers „Die Räuber“

Monolog des Franz Moor:

  1. „Ich habe große Rechte, über die Natur ungehalten zu sein, und bei meiner Ehre! ich will sie geltend machen. –
  2. Franz beklagt sich über die Ungerechtigkeit der Natur.
    1. Warum bin ich nicht der erste aus Mutterleib gekrochen? Warum nicht der einzige?
      • Er ist nicht der Erstgeborene, also nicht der, dem nach dem Tod des adligen und reichen Vaters alles gehört.
    2. Warum musste sie mir diese Bürde von Häßlichkeit aufladen? Gerade mir? Nicht anders, als ob sie bei meiner Geburt einen Rest gesetzt hätte. Warum gerade mir die Lappländersnase? Gerade mir dieses Mohrenmaul? Diese Hottentottenaugen?
      • Als nächstes klagt er über sein Aussehen.
  3. Wirklich, ich glaube, sie hat von allen Menschensorten das Scheußliche auf einen Haufen geworfen und mich daraus gebacken. Mord und Tod!
  4. Wer hat ihr die Vollmacht gegeben, jenem dieses zu verleihen und mir vorzuenthalten? Könnte ihr jemand darum hofieren, eh er entstund? Oder sie beleidigen, eh er selbst wurde? Warum ging sie so parteilich zu Werke?
    • Er fragt sich nach dem Recht der Natur.
  5. Nein! nein! Ich tu ihr Unrecht. Gab sie uns doch Erfindungsgeist mit, setzte uns nackt und armselig ans Ufer dieses großen Ozeans Welt
    • Hier geht er zur Lösung über – er sieht bei sich Erfindungsgeist.
  6. Schwimme, wer schwimmen kann, und wer zu plump ist, geh unter!
    • Hier der Anspruch: Wer besser drauf ist, kann den anderen untergehen lassen. Das macht er später gegenüber seinem älteren Bruder.
  7. Sie gab mir nichts mit; wozu ich mich machen will, das ist nun meine Sache.
    • Er will sein Glück in die eigenen Hände nehmen.
  8. Jeder hat gleiches Recht zum Größten und Kleinsten, Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.
    • Hier noch mal die These: Macht bzw. Kraft geht vor Recht.
  9. Wohl gibt es gewisse gemeinschaftliche Pakta, die man geschlossen hat, die Pulse des Weltzirkels zu treiben.
    1. Ehrlicher Name! – Wahrhaftig, eine reichhaltige Münze, mit der sich meisterlich schachern läßt, wers versteht, sie gut auszugeben.
    2. Gewissen, – o ja freilich! ein tüchtiger Lumpenmann, Sperlinge von Kirschbäumen wegzuschröcken! – auch das ein gut geschriebener Wechselbrief, mit dem auch der Bankerottierer zur Not noch hinauslangt.
      • Hier setzt Franz sich mit den Normen auseinander, die Menschen normalerweise daran hindern, alle Mittel egoistisch einzusetzen.
  10. In der Tat, sehr lobenswürdige Anstalten, die Narren im Respekt und den Pöbel unter dem Pantoffel zu halten, damit die Gescheiten es desto bequemer haben. Ohne Anstand, recht schnackische Anstalten!
  11. Kommen mir für wie die Hecken, die meine Bauren gar schlau um ihre Felder herumführen, daß ja kein Hase drüber setzt, ja beileibe kein Hase! –
  12. Aber der gnädige Herr gibt seinem Rappen den Sporn und galoppiert weich über der weiland Ernte.
  13. Armer Hase! Es ist doch eine jämmerliche Rolle, der Hase sein müssen auf dieser Welt – Aber der gnädige Herr braucht Hasen!“
    • Hier beschließt er, nicht Hase zu sein, sondern lieber zu den Jägern zu gehören.

Dazu gibt es auch eine Video-Präsentation auf der Bühne:

https://youtu.be/MI8Bf1Wr5_E

Wer noch mehr möchte …