Versuch, einen Essay zu schreiben: „Gegen die Epochitis“ (Mat4902 )

Worum es hier geht:

Zum einen versuchen wir zu zeigen, wie man in der Schule einen Essay schreiben kann.

Essays sind etwas sehr Spannendes, weil sie nämlich Anspruch und Freiheit bzw. Kreativität beim Schreiben verbinden. Gezeigt wird, wie ein möglicher (Kurz-)Essay in 10 Schritten aufgebaut sein könnte.

Zum anderen nutzen wir die Gelegenheit, ein Lieblingsthema des Deutschunterrichts mal genauer zu untersuchen.

Es geht um die Frage der Epoche, zu der ein Werk gehört. Dabei entwickeln sich die Bemühungen manchmal zu einer regelrechten „Epochitis“.  Am Ende steht nicht mehr das Gedicht z.B. im Vordergrund, sondern nur noch die Frage seiner Einordnung.

Das finden wir schade und formulieren deshalb am Ende die markante These: „Die Beschäftigung mit Literatur sollte in einem eigenen Fach erfolgen!“

Der Text:

Aufgabe für das mündliche Abitur

Lars Krüsand,

Die Last mit den Schubladen – Schluss mit der Epochitis

Es gibt den berühmten Satz: „Ist es auch Unsinn, so hat es doch Methode.“ Jedenfalls werden Schüler seit eh und je damit gequält, nicht nur die Namen und Reihenfolge sogenannter Epochen auswendig zu lernen, sondern auch alles, was ihnen literarisch unter die Nase kommt, einer von ihnen zuzuordnen.

Und so lernen sie denn alles von „Barock“ bis zur „Gegenwart“ – und schon merkt man, dass es da Probleme gibt: Während man das Barock mit seiner Regelwut und seinen schwülstigen Wort-Ungetümen noch einigermaßen dem 17. Jahrhundert zuordnen kann, die Aufklärung vor allem mit Kants Kategorischem Imperativ begreift, wird es es mit dem Sturm und Drang schon schwierig: Die Dichter dieser Zeit wollten nämlich auch
die Welt verändern, nur halt etwas schneller und auch radikaler.

Was daraus wurde, ist bekannt: Aus den jungen Wilden wurden die Weimarer Klassiker mit ihrem Bemühen, in einem ständigen Prozess
der Selbstbildung an der Pyramide ihres Daseins zu bauen, wie Goethe es formuliert hat. Gleichzeitig hasste er die fast zeitgleichen Romantiker wie Krankheit und Tod. Dementsprechend besuchte er nicht
mal seine Frau auf dem Sterbebett.
Dafür überlebten ihn zumindest einige dieser verachteten Freunde
der Nacht und zum Teil des Todes um Jahrzehnte.

Letztlich half auch das alles nicht: Was die Epochen vom Sturm und Drang bis zur Romantik verbunden hatte, war ihr „Idealismus“, was nicht gleichzusetzen ist mit unserer heutigen Vorstellung davon. Vielmehr ging es darum, dass man von einer Welt ausging, die letztlich eine geistige Struktur, hatte, auf Ideen zurückgeführt werden konnte, die man erkennen und denen man sich annähern konnte, wenn auch auf sehr unterschiedlichen Weisen.

Dementsprechend gab es auch ein für diese Ideen zuständiges Gymnasium, nämlich das Humanistische – schon am Namen erkennt man, wie sehr es zurückverwies auf den Beginn der Neuzeit, aber wenig geeignet war, die großen Herausforderungen des Zeitalters der Technik zu bewältigen.

So ging man im 19. Jahrhundert über zum Realismus, der allerdings das schöne Attribut „poetisch“ führte, weil man sich der harten, brutalen Wirklichkeit des Lebens doch nicht so ganz stellen wollte. Typisch ist das
Ende der immer noch viel zu jungen Effi Briest in Fontanes gleichnamigem Roman – nichts von Leiden und Qualen, nichts auch von Ängsten und Verzweiflung.
Einem elegisch schönen Rückblick auf das eigene Leben folgt die Beschreibung einer kleinen Ergänzung des Gartenausbaus, einer Marmorplatte mit Namenszug – freundlich zurückhaltender kann man eine Grabstätte nicht beschreiben.

Aber in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geht es dann doch etwas heftiger zur Sache: Es folgt der „Naturalismus“, der „natürlich“ versteht als ungeschminkt – bis hin zur Darstellung von Suff und Trostlosigkeit. Man versuchte gewissermaßen, sich alles „abzuschminken“.

Rechtzeitig zum Ersten Weltkrieg gab es dann den Expressionismus, eine Zeit wilder Wortfarben und düsterer Blicke auf die modernen
Städte mit ihren menschlichen Abgründen.

Dann in den Aufräumjahren der Weimarer Republik die Rückkehr zur „Neuen Sachlichkeit“, von der sich Joseph Roth in seinem Roman „Hiob“ gerade abwandte – aber ab dieser Zeit ist es aus mit den schönen klaren Epochen, da gibt es nur noch Exil, eine angebliche „Stunde Null“ nach 1945, dann die Adenauerzeit und schließlich die 70er, die 80er, 90er
usw.

Man hat das Gefühl, die Literatur ist auf der Ebene der Popmusik angekommen, fehlt nur noch die Generation Golf, o sorry, wir sollten eine aktuelle Automarke nehmen, wie wäre es mit Astra OPC Extreme Concept.

Langer Leiden schneller Schluss: Vergesst die Epochen im Deutschunterricht, wendet euch den Werken zu – und ihrer Bedeutung für uns heute. Das hat dann auch den Vorteil, dass niemand mehr im Abitur eine Gedichtanalyse so beginnt: „Das Gedicht stammt aus dem Jahre 1815. Das war die Zeit der Romantik – und ich werde jetzt deren Kennzeichen im Text aufzeigen.“
(entnommen: www.schnell-durchblicken.de/Literaturepochen)

Aufgaben:

  1. Arbeiten Sie aus dem Text von Lars Krüsand die Position des Verfassers heraus!
  2. Nehmen Sie vor dem Hintergrund eigener Lektüreerfahrungen Stellung zur Frage des Nutzens von Epochenzuordnungen!

Begleitmaterial zum Video – Manuskript-Entwurf, der im Video zugrundegelegt wird

Mat4902 VidBegBlatt Kurz-Essay Gedichte u Epochen

Hier die PDF-Vorlage des kleinen Essays mit Aufgabenstellung

Kritik der Epochitis beim Umgang mit Literatur
Mat4902 Krüsand Kritik der Epochen

Dazu ein Blog-Eintrag:
Anders Tivag, „Die armen Dichter, die von ihrer Epoche gar nichts wissen“
https://textaussage.de/tivag-blog-dichter-und-epoche

Ein andererer Kurz-Essay

Wer mal sehen möchte, was am Ende aus dem Text-Projekt geworden ist, findet das Ergebnis hier:
Lars Krüsand, Kritik an Epikurs Lustprinzip

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos

Hier geht es aber mehr um ein Thema aus dem Bereich der Philosophie.

Als Vorschau haben wir schon mal den ersten Teil hier eingefügt. Im Original geht es noch weiter.