Werkstattbericht Robert Jungk zu „Heller als tausend Sonnen“ (Mat4533)

Zur Bedeutung des Textes

  • Das 1956 veröffentlichte Buch „Heller als tausend Sonnen“ von Robert Jungk beschreibt den Konflikt der Atomwissenschaftler zwischen Neugier/Forschung und politisch-gesellschaftlich-moralischer Verantwortung.
  • Friedrich Dürrenmatt hat sich für sein Theaterstück „Die Physiker“ stark davon anregen lassen.
  • Hier geht es um einen „Werkstattbericht“, den Robert Jungk 1963 verfasst hat und der dann im Jahr darauf wahrscheinlich in einer Neuauflage des Buches abgedruckt wurde.
  • Interessant ist dieser „Werkstattbericht“, weil Jungk dort seinen besonderen Recherche-Ansatz und die dahinterstehende Problematik der Atomwissenschaft knapp zusammenfasst.
  • Zu finden ist der Text zum Beispiel in:
  • Alexander Ritter, Friedrich Dürrenmatt. Die Physiker. Erläuterungen und Dokumente, Reclam: Stuttgart 1991, S. 81-84

Die wichtigsten Punkte, auf die Jungk eingeht – mit kritischen Anmerkungen

  1. Er ist der Meinung, dass es bei Wissenschaftlern nicht nur darum geht, was sie an neuen Erkenntnissen liefern, sondern auch, was für ein Mensch dahinter steckt.
    • Kritische Anmerkung: Das ist grundsätzlich richtig, aber man muss beim Grundgedanken der Forschung bleiben, dass sie sich möglichst lösen soll von eigenen Meinungen und Interessen. Schüler lernen das ja spätestens bei einer Facharbeit persönlich kennen.
  2. Der Verfasser macht das Problem dann am Beispiel eines persönlichen Geständnisses deutlich, dass ihm ein Forscher in Los Alamos, wo die amerikanische Atombombe entwickelt wurde, im August 1949 gemacht habe. Dieser Forscher habe beklagt, dass jemand, dessen Jugend „ganz unter dem Zeichen der Sehnsucht nach Wahrheit, Freiheit und Frieden“ gestanden habe, nun mit dem „Bau der furchtbarsten Kriegswaffen“ beschäftigt sei (81/82).
    • Was hier völlig ausgeblendet wird, ist, dass die Atomforschung schließlich auch neue Möglichkeiten der Energiegewinnung hervorgebracht hat.
    • Wenn jetzt völlig zu Recht auf die Gefahren der Atomkraft verwiesen wird, muss auch bedacht werden, dass rund um Deutschland herum in vielen Ländern sogar noch Atomkraftwerke gebaut werden (für Frankreich wäre das etwa zu prüfen) und die deutsche Energiewende ihren Härtetest noch nicht bestanden hat.
    • Fraglich ist auch, ob man nicht die Gefahren der Atomenergie in eine Beziehung setzen muss zur Belastung der Atmosphäre bis hin zum Klimawandel.
    • Hier geht es nicht um eine Stellungnahme in die eine oder andere Richtung, sondern nur um den Hinweis auf Defizite in Jungks Sicht, der sich nur auf die Atomwaffen konzentriert.
    • Auch geht er in keiner Weise darauf ein, dass ein Verzicht auf Atomwaffen nur einvernehmlich erfolgen kann, sonst wird eine Seite erpressbar.
    • Hier wird deutlich, wie recht Dürrenmatt mit seinem Stück „Die Physiker“ hat, wenn er darauf hinweist, dass das, was einmal an Erkenntnissen in der Welt ist, nicht mehr hinausgeschafft werden kann.
  3. Jungk verweist dann auf seinen Ansatz, eine Geschichte der Erforschung der Atomtechnik zu schreiben, die auch die menschliche Dimension einschließt.
  4. Auf drei Einwände weist er hin, die ihm gegenüber bei seinen Recherchen erhoben wurden:
    1. Die Wissenschaftler hätten Rücksicht nehmen wollen auf andere, noch lebende Kollegen.
    2. Ihm wurde der Einwand entgegengebracht, er sei doch nicht vom Fach und könne deshalb vieles gar nicht beurteilen. Hier unterscheidet Jungk zwischen dem Fachmann und dem Chronisten, „der aus seiner Kenntnis zahllose Einzelheiten die Verknüpfung der Ergebnisse und ihre, den Handelnden selbst meist unbekannte, wechselseitige Einwirkung aufeinander übersah“ (im Sinne von: den Überblick darüber hatte. (82/83)
      • Das ist sicherlich ein sehr interessanter Hinweis, der für viele Wissenschaftsjournalisten gilt, die ja immer auch gesellschaftlich und politisch denken müssen, während der Fachmann sich auf seine Arbeit konzentriert und allenfalls ökonomische Aspekte im Auge behalten muss.
    3. Der dritte Einwand betrifft das Wesen der Wissenschaft, die doch eigentlich das Menschlich-Allzumenschliche ausblenden müsse. Hier verweist Jungk zu Recht darauf, dass Wissenschaft immer auch interessegeleitet ist, also mit der Persönlichkeit des Forschenden und seinem Umfeld zusammenhängt.
      • Was man sich hier gewünscht hätte, wäre eine Unterscheidung zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften gewesen.
      • Bei den Naturwissenschaften gibt es natürlich einen größeren Bereich, in dem etwas unter bestimmten Bedingungen eben funktioniert oder nicht. In der Germanistik gibt es sicher auch den Bereich, in dem zum Beispiel alles gesammelt wird, was ein Autor geschrieben hat.
      • Aber bereits bei der Herausgabe der Werke eines Autors geht es um geistige Dinge, die unterschiedlich interpretiert werden können. In den Naturwissenschaften beginnt dieser Bereich sehr viel später, etwa wenn grundsätzliche Theorien aufgestellt werden, aber auch die müssen der Wirklichkeit standhalten. So ist es ja bei Einsteins Relativitätstheorie gewesen. Einige Zeit war es nur eine bestaunte Idee, später gab es dann Phänomene, die sich mit ihr erklären ließen.
  5. Jungk schreibt den Wissenschaftlern eine besondere Verantwortung zu, hält sie sogar für die „großen Umgestalter unserer Zeit.“
    • Daran ist sicher etwas Wahres – aber es gibt zwei Einwände:
    • Zum einen geht Jungk nach seinem Alamo-Schock und auch seiner eigenen politischen Ausrichtung nur auf die negativen Seiten des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ein.
    • Zum anderen blendet er selbst etwas aus, was er oben herausgestellt hat: So wie der Physiker nur seinen eigenen Bereich sieht und das Ganze nicht überblickt, muss auch der Wissenschaftsjournalist sich in ein demokratisches Gefüge der Meinungsbildung und Interessenvertretung einordnen.
    • Bei der Nutzung der Atomenergie stehen ggf. Gefahren (um deren Verringerung man sich bemühen kann) und ihr Nutzen (im Bereich der Verringerung der Belastungen für die Atmosphäre mit Folgen für die Erderwärmung) einander gegenüber. Das kann nur demokratisch abgewogen werden.
    • Hier sind Aspekte der Biografie des Verfassers interessant:
      In der Wikipedia wird das so dargestellt:
      https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Jungk
      11.11.2019,13:16 Uhr
      „Obwohl er in seiner eigenen Vita angibt, sich erst ab 1980 in der Friedensbewegung engagiert zu haben, hat er dies nachweislich bereits ab 1960 in Bezug auf den Ostermarsch gegen Atomwaffen in Ost und West getan, trat als Redner bei Abschlusskundgebungen auf und entwarf 1962 einen Aufruf, anknüpfend an die Aussage im ersten Ostermarsch-Flugblatt von 1960 (Haben Sie Vertrauen in die Macht des Einzelnen!): „Wer kann einen dritten Weltkrieg verhindern? DU – kannst ihn verhindern (…) Nütze Deine Chance heute und hier, verteidige das Leben und die Freiheit Deiner Familie jetzt! Schließe Dich den Ostermärschen gegen die Atomwaffen jeder Nation an!“[5]“
      Das ist genau der Punkt, wo es in der (parlamentarischen) Demokratie schwierig wird.

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