Schnellkurs Gedichtanalyse: Wie kommt man mit schwierigen Stellen in Gedichten klar? (Mat4592)

Wie kommt man mit schwierigen Textstellen in Gedichten klar?

  1. Wie wir schon sagten: Das Besondere bei Gedichten ist, dass es sich meist um sehr komprimierte Texte handelt. Das führt dann auch dazu, dass vieles weggelassen wird, was das Verständnis erleichtern würde.
  2. Außerdem neigen besonders Lyrik-Dichter dazu, sich mehr oder weniger geheimnisvoll zu geben. Manche Gedichte kann man nur verstehen, wenn man sich intensiv mit der Biografie des Autors und anderen Texten seines Werkes beschäftigt hat. Solche Gedichte haben im Deutschunterricht nur etwas zu suchen, wenn offen und ehrlich über dieses Problem gesprochen wird. Außerdem müssen natürlich diese Probleme durch den Lehrer und/oder das Schulbuch geklärt werden. Das geschieht glücklicherweise in vielen Fällen, könnte aber noch ausgebaut werden.
  3. Auf jeden Fall sollte der Druck für Schüler vermindert werden, unbedingt eine richtige Lösung finden zu müssen.
  4. Aber ein bisschen kann man ja auch als Schüler für sich selbst tun – und darum sammeln wir hier Beispiele für schwierige Textstellen und zeigen, wie man dabei zu Lösungen kommen kann.

Beispiel aus dem Gedicht von Franziska Holzheimer mit dem Titel „Der Sturm“

  1. Es geht um Leute, die in den Bergen ein Gewitter erleben, unter dem Vordach einer Hütte stehen und in eine Welt hinausschauen,
  2. „die ungewohnt weit war / und dreidimensional“
  3. Genau um das Verständnis dieser Beschreibung der Umgebung geht es.
  4. Wenn man jetzt ganz locker ist, kommt man sicher auf die Idee, dass der „ungewohnte“ Eindruck etwas mit dem Gewitter zu tun hat.
  5. Dann muss man sich nur noch fragen, was ein Gewitter mit unserem Sehen macht. Hier ist natürlich Lebenserfahrung gefragt – und dann fällt einem vielleicht auch die Wendung „reinigendes Gewitter“ ein – und dann ist man schon bei der Vorstellung von mehr Klarheit – und die wiederum entsteht, indem die Konturen deutlicher werden – und dann ist es nicht mehr weit bis „dreidimensional“, während man ohne Gewitter Berge vielleicht eher wie auf einem Gemälde sieht, also zweidimensional.

Beispiel aus der der Zeit des Expressionismus: Lichtenstein, „Regennacht“

Alfred Lichtenstein

Regennacht

Strophe 1:
01 Der Tag ist futsch. Der Himmel ist ersoffen.
02 Wie falsche Perlen liegen kleine Stumpen
03 Zerhackten Lichts umher und machen offen
04 Ein wenig Straße, ein paar Häuserklumpen.

    • Der Titel setzt schon mal einen ersten, allerdings sehr allgemein Akzent. Man weiß jetzt zumindest, dass es um zwei Dinge geht, zum einen um eine Nacht und zum anderen dass in dieser Nacht Regen eine Rolle spielt.
    • Die erste Zeile beginnt sehr burschikos, in stark umgangssprachlicher Form wird deutlich gemacht, dass der Tag jetzt vergangen ist. Das wird dargestellt, als ob es sich um einen Verlust handelt („futsch“).
    • Der Rest der ersten Zeile gehen dann genauer auf den Verlust ein, es handelt sich um den Himmel als Ort des Lichtes und als Voraussetzung für normale Tagestätigkeit.
    • Das wird dann mit dem Regen verbunden in der Weise, dass das lyrische Ich sich vorstellt, der Himmel sei in den Wasserpflützen, die sich vor ihm – zum Beispiel auf der Straße – bilden, regelrecht versoffen.
    • Mit dem Wort ist natürlich auch etwas wie Tod oder allgemein: Ende des Lebens verbunden.
    • Das lyrische Ich beschreibt dann genauer, was es vor sich sieht. Das geschieht in einem Vergleich, der an das Vorangehende anschließt: Der Himmel mit seinem Licht ist zwar vorbei, aber es gibt jetzt wahrscheinlich das Licht der Straßenlaternen oder auch der Reklame. Das wird vom Lyrischen Ich mit falschen Perlen verbunden – es ist also keine erste Wahl.
  • Es folgt ein weiterer Vergleich mit Stumpen. Das Wort muss geklärt werden. Wahrscheinlich handelt es sich um Reste von Zigarren, die zur Zeit der Entstehung des Gedichtes eher noch für Wohlstand standen. Das Licht ist auch nicht mehr in seiner ganzen Fülle da, sondern zerhackt, entsprechend den jeweiligen kleinen Lichtquellen.
  • Interessant ist dann der Schluss. Da heißt es, dieses Licht mache etwas offen, gemeint sind dabei wohl Schneisen, die zumindest ein bisschen in die Dunkelheit hinein geschlagen werden. Das was man sieht, wird wieder relativ verkleinert, reduziert dargestellt. Ein wenig Straßen und dann eben Häuserklumpen, was wohl soviel bedeutet wie das diese Häuser nur als dreidimensionale Objekte erscheinen, aber nicht in ihrer Differenziertheit und ohne die Schönheit, die sie vielleicht im Licht des Tages haben.

Wer unseren Umgang mit diesem Gedicht noch weiter verfolgen will, kann das auf der folgenden Seite tun:
Lichtenstein, „Regennacht“ – ein Gedicht des Expressionismus verstehen, entschlüsseln, knacken …

Weitere Beispiele für Gedichte aus der Zeit des Expressionismus, an denen man sehr gut das Verstehen üben kann, gibt es auf der folgenden Seite:
https://www.endlich-durchblick.de/schnell-und-sicher-verstehen-gedichte-des-expressionismus/

Wer mal ein Gedicht von Lessing „knacken“ will, der kann sich an diesem versuchen:

In Johann Gottlieb Burckhardts Stammbuch

Zu finden ist das Gedicht zum Beispiel hier:

01: Des Geists der Wahrheit rühmt sich bald
02: Die Kirche jedes Ortes;
03: Und alles zwingende Gewalt
04: Wird Kraft des wahren Wortes.

Überlegungen dazu finden  sich hier:

https://wvm.schnell-durchblicken3.de/gedicht-schwierige-stelle-verstehen

Weitere Infos, Tipps und Materialien

https://textaussage.de/weitere-infos