Wie man aus Bölls berühmter Anekdote eine Parabel machen kann (Mat5917)

Worum es hier geht:

Heinrich Böll ist es mit seiner „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ wunderbar gelungen, ein zentrales Problem des Lebens und besonders der Arbeitswelt in eine schöne Geschichte zu verwandeln.

Wir versuchen hier mal, sie kreativ abzuwandeln und am Ende sogar weiterzuentwickeln.

Worum geht es in Bölls Geschichte

Es geht in der Geschichte nämlich darum, wie viel der Mensch eigentlich für das Überleben braucht und wie viel vom eigentlichen Leben übrig bleiben sollte.

Wir haben die Geschichte aktuell hier im Netz gefunden:
https://jimdo-storage.global.ssl.fastly.net/file/9978e873-401b-4254-86aa-aa0dfb0d1086/Boell_Anekdote%20zur%20Senkung%20der%20Arbeitsmoral.pdf

Böll hat sich einen Touristen ausgedacht, der irgendwo im sonnigen Süden Europas einen Fischer trifft, der entspannt am Strand liegt und das Leben genießt.

Zum Kontakt kommt es, weil der Tourist mit einer Fülle von Kamera-Aufnahmen, die damals noch ein Klickgeräusch auslösten, den Fischer weckt.

Es kommt zu einem Gespräch, in dem der Tourist zunächst einmal seine Verwunderung auslöst, dass hier jemand den helllichten Tag mehr oder weniger verschläft. Der Fischer muss sich dann anhören, wie der Besucher ein regelrechtes Business-Konzept entwickelt: Jetzt allen Fisch fangen, den man kriegen kann, damit Geld verdienen, dann ein zweites Boot kaufen, dann ein drittes, schließlich ein viertes –  immer mit dem Ziel, andere Leute für sich arbeiten zu lassen.

Der Clou der Geschichte ist, dass der Tourist am Ende sich fürsorglich zu dem Fischer herabbeugt und den Höhepunkt dieser fantastischen Entwicklung präsentiert: Er brauche dann nicht mehr zu arbeiten, er könne es sich einfach am Strand gemütlich machen.

Damit ist die Pointe eigentlich klar, und der Fischer verweist auch darauf, dass er, dass er es sich jetzt gemütlich macht. Daraufhin verlässt der Tourist nachdenklich den Ort.

Auswertung von Bölls Geschichte in Richtung Anekdote

Heinrich Böll hat seine Geschichte „Anekdote“ genannt, aber eigentlich ist es keine richtige. Die verbindet man nämlich meistens mit einem bekannten Menschen, also mit einem, der „prominent“ ist, den viele kennen.

So gibt es zum Beispiel die Geschichte von einem berühmten Komponisten, der nach dem Tod seiner Frau den Paketboten einfach wie sonst üblich, leicht zerstreut abfertigt mit dem Hinweis: „Gebt‘s meiner Frau“.

Diese Anekdote steht für Künstler, die so in ihrer Arbeit versunken sind, dass sie alles andere vergessen. Diese Anekdote macht natürlich auch deutlich, wie eng verbunden dieses Ehepaar das gemeinsame Leben gestaltet hat.

Die Anekdote sorgt mit dem Hinweis auf eine berühmte Persönlichkeit erst mal für Aufmerksamkeit – und dann für einen interessante Denkanstoß.

Frage nach dem Parabel-Potenzial

Letztens hatten wir das Problem, dass jemand bei Kafkas Erzählung „Der Nachbar“ fragte: Ist das nicht eigentlich eine Kurzgeschichte? Das wurde dann von anderer Seite ergänzt: „Oder eine Satire“.

Näheres dazu ist hier zu finden:
https://textaussage.de/kafka-der-nachbar-klausur-interpretation-gattung-parabel-kurzgeschichte-satire

Wir versuchen hier mal, die „Anekdote“ von Böll mit ihrer Kernidee in eine Parabel zu verwandeln und sie dabei noch kreativ zu erweitern.

Parabeln sind ja Geschichten, die man jemandem erzählt, um ihm etwas deutlich zu machen. Jeder Mensch ist mehr oder weniger in einer Situation, in der er sein Verhalten und seine Meinung nicht gerne ändert. In diesem Falle kann man eine Geschichte erzählen, die erst mal mit dem ahnungslosen Zuhörer nichts zu tun zu haben scheint. Sie endet dann aber an einer Stelle, wo der Betroffene anfängt, darüber nachzudenken, ob die ganze Sache nicht auch mit ihm etwas zu tun hat.

Unser Experiment

Weil wir so etwas immer ganz gerne ausprobieren, haben wir jetzt mal versucht, diese Geschichte von Heinrich Böll in eine klassische Parabel zu verwandeln. Bei dir gibt es eine Ausgangssituation mit einem Erkenntnishindernis, dann die Geschichte, die auf eine Art Moral zu läuft, die dann vielleicht sogar verstanden und übernommen wird.

Schritt 1  Vorüberlegungen

Wir brauchen jetzt zunächst einmal jemanden, der so drauf ist wie der Tourist bei Böll. Möglichst viel arbeiten, um eines Tages nicht mehr arbeiten zu müssen.

Bei uns ist es Ben, weil das ein bisschen nach Business klingt.

Und er hat einen Freund namens Sven, weil das „S“ am Anfang schon ein bisschen in Richtung „schlau“ geht. Der macht sich Sorgen um Ben, weil der erstens nie Zeit hat und zweitens schon nicht mehr gut aussieht.

So könnte die Geschichte beginnen

Schritt 1  Realisierung auf der Basis von Bölls Idee

Als Sven auf seiner üblichen Jogging-Tour am Haus seines Freundes Ben vorbei kam, war er ganz erstaunt, dass dessen Auto da noch stand. Normalerweise fuhr er nämlich morgens um sechs bereits ins Büro, weil er nur so glaubte, seine Firma ausbauen und damit sichern zu können.

Sowas gab es doch nicht, sein Freund musste krank sein, fuhr es Sven durch den Kopf. Also einfach hingehen, klingeln und schauen, was los war.

Es dauerte einige Zeit, dann hörte er Schritte, die Tür öffnete sich, und ein ziemlich überarbeiteter Ben öffnete.

Was ist mit dir denn los?

Du, ich habe die Nacht durchgearbeitet, weil ich morgen nach Übersee fliege. Dort wartet ein möglicher Kooperationspartner auf mich.

Es stellte sich heraus, dass Ben jetzt endlich fertig geworden war. Der Drucker spuckte gerade die letzten Seiten aus. Jetzt wollte sein Freund nur noch duschen und dann ab in die Firma.

Sven packte die Gelegenheit beim Schopf: Glückwunsch, schön, dass du fertig bist. Jetzt kannst du mich ja auf meiner Jogging-Runde noch kurz begleiten. Da ist es egal, wie du aussiehst. Du brauchst dringend frische Luft.

Ben zögerte erst, aber dann dachte er daran, wie oft er schon gemeinsame Aktivitäten mit Sven hatte absagen müssen. Warum also eigentlich nicht. Er war früher fertig geworden, als er gedacht hatte. Dann konnte er sich jetzt auch ein bisschen fit laufen, mit Sven frühstücken und dann erst ab in die Firma.

Alles hatte gut geklappt, Ben sah auch schon wieder ein bisschen besser aus. Und er war tatsächlich bereit, noch gemütlich zusammen zu frühstücken.

Als der Kaffee fertig war, sprach Ben seinen Freund sogar auf etwas anderes als Arbeit an: „Du bist doch jetzt erst aus dem Urlaub zurückgekehrt. Warst du nicht irgendwo im Süden?

Sven erzählte, dass er in einem Fischerdorf eine schöne Unterkunft gefunden hatte. Das sei Erholung pur gewesen.

An Bens Reaktion merkte man gleich, dass das nicht so seine Welt war. Mir wäre das zu langweilig, da triffst du ja keine interessanten Leute.

Sven lächelte. Jetzt hatte er seinen Freund am Haken:
Ach, die Leute sind da eigentlich auch ganz interessant. Am schärfsten fand ich eine Geschichte, die ich mal abends in der Dorfkneipe gehört habe.

Ben guckte kurz auf die Uhr: Scharfe Geschichten finde ich immer schön, aber mach’s kurz, in einer Viertelstunde will ich ab ins Büro.

Sven dachte nur: Das reicht. Also, die Geschichte ging ungefähr so:

Da liegt einer dieser Fischer entspannt am Strand, kommt so ein Tourist vorbei, lässt sich von Feuer für seine Zigarette geben und daraus entwickelt sich dann etwa das folgende Gespräch

Tourist: Wieso liegen Sie eigentlich am helllichten Tag am Strand?

Fischer: Weil ich gestern so viel gefangen habe, dass es fast für die Woche reicht.

Tourist: Mein lieber Mann, es kann doch sein, dass in den nächsten Tagen Sturm aufkommt und Sie gar nicht rausfahren können

Fischer: Wie ich schon sagte, was ich habe, reicht für eine ganze Woche. Und wenn es knapp wird, helfen wir uns gegenseitig.

Tourist: Aber mal langsam. Sie sind doch noch jung, wenn Sie jetzt jeden Tag rausfahren und jedes Mal so viel fangen, dass es fast für eine ganze Woche reicht. Dann haben sie doch bald genügend Geld zusammen, um zu zweites Brot zu kaufen.

Fischer: Was soll ich damit, ich kann doch nur mit einem Boot rausfahren

Tourist: Da können Sie doch einen anderen für sich arbeiten lassen und dann haben Sie nachher so viel Geld, dass es für ein drittes Boot und schließlich auch für ein viertes Boot reicht.

Und dann, fragte der Fischer:

Dann können Sie hier ganz entspannt am Strand liegen und die anderen arbeiten für Sie.

Schritt 2 Abänderung von Bölls Idee

An dieser Stelle ändern wir Bölls Anekdote ein bisschen ab und lassen den Fischer antworten

Ja, Sie haben recht, dasselbe hat mein Freund Jorge gemacht. Dummerweise hat ihn zwischen dem dritten und vierten Boot ein Herzinfarkt dahingerafft.

Schritt 3 Bens Reaktion

Jetzt kommt es darauf an, wie Ben darauf reagiert. Sollte er wirklich nichts verstanden haben, kann man Sven noch nachfragen lassen: Wie geht es dir eigentlich gesundheitlich?

Und wenn es immer noch nicht reicht: lässt man Sven noch nachschieben: Ich möchte nicht, dass es dir wie dem Freund des Fischers, geht

Auswertung

Man sieht, dass Bölls Geschichte genügend Stoff für eine Parabel hat.

Was der Tourist erlebt, ist die Bildseite.

Die Sachseite wird nur am Schluss dadurch angedeutet, dass der Tourist nachdenklich wegfährt. Er hat also anscheinend verstanden, dass er sein eigenes Leben mal im Sinne des Fischers überprüfen sollte.

In unserer Fassung gibt es einen eigenen Sachteil, der am Anfang erst mal ausgebreitet wird.

Es folgt der Bildteil in der Urlaubsgeschichte.

Am Ende hat man dann zumindest die Andeutung der Rückkehr zum Sachteil.

Das könnte man noch ausbauen, in dem Ben auf einige Probleme aufmerksam macht, die in unserem Arbeitsleben auftauchen können, wenn man so leben will wie der Fischer.

Das geht aber über die Parabel hinaus, passt aber gut zu einer Kurzgeschichten-Variante mit einem offenen Ende.

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