5-Minuten-Tipp zu Heinrich Heine, „Aus alten Märchen winkt es“, ein Gedicht zwischen Romantik und Realismus (Mat5427)

Worum es hier geht?

Vorgestellt wird ein Gedicht von Heinrich Heine, das den Übergang von der Romantik zum Realismus sehr schön deutlich macht.

Das Gedicht ist u.a. hier zu finden:
https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/BdL/Lyr-43.html

Klärung des Inhalts

  1. Aus alten Märchen winkt es
    Hervor mit weißer Hand,
    Da singt es und da klingt es
    Von einem Zauberland:

    • Die erste Strophe beschreibt die Ausgangssituation: Das lyrische Ich beschreibt, wie von „alten Märchen“ etwas zu ihm herüber „singt“ und „klingt“.
    • Die Märchen sind alt, es winkt hervor „mit weißer Hand“, was ein bisschen Richtung Geisterwelt geht, um nicht zu sagen Gespensterwelt.
    • Auf jeden Fall handelt es sich um ein „Zauberland“.
    • Als Deutungshypothese bietet sich an, dass hier romantische Ideen und Motive gegeben sind.
  2. Wo große Blumen schmachten
    Im goldnen Abendlicht,
    Und zärtlich sich betrachten
    Mit bräutlichem Gesicht; –

    • Die zweite Strophe wendet sich einem Teil der Natur zu, nämlich großen Blumen,
    • die „schmachten“, was vom Begriff her nicht unbedingt positiv verstanden werden muss.
    • Auch die Vorstellung, dass die Blumen sich „mit bräutlichem Gesicht“ gegenseitig „betrachten“, ist eine etwas seltsame Vorstellung.
    • Hier fehlt irgendwie der Bräutigam.
    • Es kommt eine Deutungshypothese auf, die das Ganze zumindest mit Distanz, wenn nicht sogar mit Ironie betrachtet – vielleicht auch mit freundlich-mitleidigem Humor.
  3. Wo alle Bäume sprechen
    Und singen, wie ein Chor,
    Und laute Quellen brechen
    Wie Tanzmusik hervor; –

    • Auch hier bleibt man misstrauisch, denn Bäumen kann man einiges zutrauen, aber kaum kollektives „sprechen“ oder gar „singen“.
    • Wenn das ernst gemeint wäre, müsste man es erklären.
    • Deutungshypothese: Das lyrische Ich denkt sich da hin etwas hinein, was anscheinend mehr auf seiner romantischen Sehnsucht entsteht als aus genauer Betrachtung der Wirklichkeit.
    • Auch dass Quellen hervorbrechen wie Tanzmusik stimmt einen misstrauisch.
    • Das scheint hier jedenfalls weit entfernt zu sein von Eichendorffs „Schläft ein Lied in allen Dingen“, das sehr viel tiefer angelegt ist.
  4. Und Liebesweisen tönen,
    Wie du sie nie gehört,
    Bis wundersüßes Sehnen
    Dich wundersüß betört!

    • Die von seinem Innenleben bestimmte Wahrnehmung geht jetzt sogar in Richtung „Liebesweisen“, die noch nie gehört worden sind.
    • Man fragt sich, wer sich da eigentlich liebt. Die Blumen? Das hatten wir schon kritisch betrachtet.
    • Und „wundersüßes Sehnen“ wird heute eindeutig als übertrieben, eben „süßlich“ empfunden. Ob das zu Heines Zeit auch schon so war, ist schwierig zu ermitteln. Aber die Übertreibung passt zum Ironieverdacht.
    • Es geht dann auch weiter mit den Wundern – jetzt geht es um die Betörung des lyrischen Ichs – auch schon wundersüß. Anscheinend möchte Heine, dass es auch der Letzte merkt, dass das hier viel mit „betört“ zu tun hat und so auch klingt, wenn es denn ernst gemeint ist.
  5. Ach, könnt ich dorthin kommen,
    Und dort mein Herz erfreun,
    Und aller Qual entnommen,
    Und frei und selig sein!

    • Hier wird klar, was das lyrische Ich bewegt – es ist Sehnsucht nach diesem Traumland.
    • Das entspricht dann sehr romantischen Motiven.
    • Aber es kommt doch ein bisschen einfältig daher, vor allem, wenn das lyrische Ich hofft, „aller Qual entnommen“ zu werden – und dann auch gleich noch „frei und selig“.
    • Wenn man nicht wüsste, dass es Heine ist, würde man in der Schreibwerkstatt heute sagen: „Versuch es mal so auszudrücken, dass da etwas Substanz überkommt. Substand ist immer konkret!“
  6. Ach! jenes Land der Wonne,
    Das seh ich oft im Traum;
    Doch kommt die Morgensonne,
    Zerfließts wie eitel Schaum.

    • Nun klärt sich alles auf. Es wird deutlich, dass es sich um einen Traum handelt.
    • Typisch für Heine an der Schwelle zum Realismus, dass er dem keinen höheren Wirklichkeitsgrad zutraut, sondern es in der Morgensonne, also im Licht einer klareren Wirklichkeit zerfließen lässt.
    • Und wenn dann von „eitel Schaum“ die Rede ist, kommen doch ziemlich negative Konnotationen durch.
    • Wenn man gerade Barockgedichte gelesen hat, denkt man, will Heine das wirklich so negativ darstellen?
    • Aber auch das ist wohl nicht so ganz ernst gemeint: So wenig Heine die Romantik noch ganz ernst nimmt, so nimmt er wahrscheinlich seine negativen Barockbezüge ernst – allein schon wegen ihres überdeutlichen Christentumsbezugs. Heine präsentiert sich hier halt als Wanderer zwischen den Welten, der mit den Vorstellungen spielt.

Fazit:

Das Gedicht präsentiert den Übergang von der Romantik, die insgesamt zur Epoche des Idealismus gehört, zum Realismus. Dieser präsentiert sich hier auf eine sehr lockere, für Heine typische Weise – mit Distanz, Ironie und wohl auch einem selbstkritischen Humor.

Auf jeden Fall wird hier der große Unterschied zwischen der romantischen Ironie und einer, die einem Zwischending von Humor und kreativem Spiel entspricht.

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