5-min-Tipp zu Erich Kästners Gedicht „Er weiß nicht, ob er sie liebt“ (Mat4213)

Zur Überschrift – geschickte Leserlenkung

  • Die Überschrift des Gedichtes ist etwas ungewöhnlich, aber natürlich äußerst interessant.
  • Denn es dürfte vielen Menschen so gehen, dass sie sich über ihre Gefühle gegenüber anderen Menschen nicht ganz klar sind.
  • Besonders wichtig wird es natürlich bei dem wichtigsten Gefühl, über das Menschen überhaupt verfügen.
  • Von daher ist man gespannt, wie das Gedicht mit dieser Frage umgeht.

Zu Strophe 1

  • In der ersten Strophe wird die Frage etwas genauer ausgeführt. Sie wird nämlich zu mit der Behauptung verbunden, es gebe Situationen, in denen das Herz leise zu einem spricht.
  • Vom Kontext hier bezieht sich das wohl eindeutig auf das Phänomen der Liebe.
  • Als Leser ist man hier erst mal überrascht, denn der Anfang einer Liebe ist ja meistens mit zunehmend intensiven Gefühlen verbunden.
  • Aber das Gedicht macht wohl darauf aufmerksam, dass es hierbei nicht um Intensität, sondern um Klarheit geht. Und die ist wahrscheinlich wirklich bei der Liebe häufig erst mal geringer als zum Beispiel bei Angst oder Wut.

Zu Strophe 2

  • in der zweiten Strophe wird das Problem der Unklarheit im Hinblick auf das Gefühl der Liebe aus dem Bewusstsein des Menschen in das Herz verlagert.
  • Das ist natürlich nur eine Scheinlösung, denn für den Menschen, der betroffen ist, ändert sich nichts.

Zu Strophe 3

  • Ein weiterer Umweg, aber einer, der wohl näher an das Ziel heranführt: Es ist immer hilfreich, wenn man eine schwierige Frage erst mal vor einem anderem, einfacherem Hintergrund versucht zu klären.
  • Hier geht das Gedicht in die Kindheit zurück, in der die schönsten Wünsche nur mit einem Flüstern geäußert werden.
  • Offen bleibt die Frage, warum die Kinder sich so verhalten.

Zu Strophe 4

  • Die letzte Strophe verbindet das Gefühl der Liebe mit dem Gefühl der Scham, was das Bekenntnis dazu angeht.
  • Die letzten beiden Zeilen erscheinen dann zunächst sehr rätselhaft. Denn sie stellen diesen Mechanismus von Intensität und Zurückhaltung infrage.
  • Letztlich fordert das Gedicht damit den Leser zum Nachdenken über die Liebe und die Frage der damit verbunden Möglichkeiten von Klarheit auf.

Zur Frage des Themas

Thema des Gedichtes ist die Frage, wie es einzuschätzen ist, wenn man sich in der Frage der Liebe unsicher ist.

Zur Frage der Aussage des Gedichtes

Die Antwort ist ein gewisses Bedauern darüber, dass die Liebe sich gewissermaßen immer wieder auch infrage stellt.

Zu den literarischen Mitteln des Gedichtes

  • Das Herz steht hier als Symbol natürlich für das Gefühlszentrum des Menschen.
  • „Bestürmen“ ist eine Alltagsmetapher, die hier den inneren Druck deutlich machen soll. Man muss sich nur entsprechende Situationen vorstellen, wenn jemand zum Beispiel aus einem wichtigen Gespräch kommt und nicht gleich mit der Sprache herausrückt.
    Oder man denke an Kinder, die unbedingt wissen wollen, was die Verwandten als Geschenk mitgebracht haben.
    Man merkt hier auch, dass es um eine gewisse Ungeduld geht.
  • Dann die Personifizierung des Herzens in Zeile 3: Die macht die Gefühlswelt zu einer Art Partner für den Menschen.
  • Wichtig sind dann auch die rhetorischen Fragen, die den Denkprozess des lyrischen Ichs verdeutlichen.
  • Auch in Zeile 10 gibt es eine Personifizierung, die sich allerdings auf etwas Abstraktes bezieht, nämlich einen Wunsch.
  • Am Ende dann eine Art Sentenz, eine Lebensweisheit, die aber erklärungsbedürftig ist – ein starker Impuls in Richtung Mitarbeit des Lesers.
  • Alles das sind aber einzelne Mittel, die im Deutschunterricht viel zu hoch gehängt werden.
  • Die Intentionalität, die Aussage des Gedichtes wird vor allem durch strategische Mittel unterstützt:
    • Das Herz als personifiziertes und zugleich symbolisches Gegenüber
    • Lautstärke als Metapher für Deutlichkeit
    • Dann die vielen rhetorischen Fragen
    • Der Vergleich der Erwachsenenwelt mit der Kinderwelt, um den Umgang mit besonderen Wünschen deutlich zu machen. Je wichtiger etwas ist, desto persönlicher, intimer und auch leiser ist es.
    • Dann die Offenheit des Schlusses: Wir verstehen das mal so, dass man in Fragen der Liebe nicht zu schüchtern und damit nicht zu leise sein sollte.
    • Bismarck soll in seiner heiklen Brautwerbung die Entscheidung regelrecht herbeigeküsst haben:
      „Aufregung herrscht im Hause Puttkamer. Ein gewisser Otto von Bismarck hat brieflich um die Hand der einzigen Tochter Johanna angehalten und sich dann kurzerhand zum Besuch angekündigt. Jetzt wartet man gespannt auf den preußischen Junker. Auf Herz und Nieren will ihn Johannas Vater Heinrich prüfen. Es kommt anders. Kaum dass die Umworbene den Raum tritt, lässt Bismarck ihren alten Herrn links liegen, stürmt geradewegs auf Johanna zu, herzt sie, gibt ihr einen Kuss – und sie erwidert die Zärtlichkeiten. Der spätere Realpolitiker, der wenig hält von langen Reden, hat Fakten geschaffen. “
      https://www.lovelybooks.de/autor/Gabriele-Hoffmann/Otto-von-Bismarck-und-Johanna-von-Puttkamer-1343511300-w/

Zur Frage der Reaktion des Lesers

Eine mögliche weiterführende Antwort darauf könnte sein, dass genau diese Unklarheit immer wieder dafür sorgt, dass man sich in der zentralsten Frage jeder Beziehung um Klarheit bemüht und im günstigen Falle dieses Gefühl der Liebe dann auch intensiviert und gepflegt wird.

 Wer noch mehr möchte …