Das Besondere dieses Gedichtes
Das folgende Gedicht ist sehr interessant, weil es sich in sparsamsten Andeutungen ergeht, aus denen man dennnoch eine zentrale Aussage herausarbeiten kann.
Es geht um maximale Unzufriedenheit mit sich selbst, mit der eigenen Identität, und null Erwartungen im Hinblick auf eine Besserung dieser Situation.
Das kann man gut als Provokation verstehen – und das es im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man überlegt, was man dem kreativ entgegensetzen kann.
Zu finden ist dieses Gedicht z.B. hier.
Interessant ist darüber hinaus, dass es zu diesem Gedicht einen Vorläufer aus der Romantik gibt, der ein seltsames Liebesverständnis präsentiert.
Christoph W. Bauer
„fremd bin ich eingezogen unter meine haut“
Anmerkungen zu Strophe 1
- Das lyrische Ich beschreibt den Moment seiner Geburt und verbindet das mit dem Gefühl der Fremdheit im eigenen Körper.
- Anschließend bekräftigt das lyrische Ich noch einmal das verwendete Bild, dass es sich fremd fühle unter seiner eigenen Haut.
- Das ist jetzt natürlich sehr schwer nachzuvollziehen. Von daher kann man wohl nur sagen, dass die Anschaulichkeit sich auf das lyrische Ich selbst bezieht.
- Sehr viel leichter zu verstehen ist dann die nächste Feststellung, nämlich das Unvertrautsein mit dem eigenen Spiegelbild. Das kann man sicherlich nachvollziehen, dass man hin und wieder sich selbst anders fühlt oder fühlen möchte, als das Spiegelbild einem zeigt.
- Seltsam ist die letzte Zeile, denn die präsentiert eine positive Einschätzung dieses Zustands. Mögliche Alternativen werden nicht angesprochen.
- Insgesamt kann man feststellen, dass die erste Strophe aus Selbstäußerungen besteht, die zum Teil schwer nachzuvollziehen sind. Das lyrische Ich macht sich auch nicht die Mühe, das näher zu erklären.
Anmerkungen zu Strophe 2
- In der zweiten Strophe wird das Thema gewechselt. Es geht nicht mehr um das Fremdsein sich selbst gegenüber, sondern es geht um eine sehr negative Beschreibung dessen, was man als Mensch als Sehnsucht fühlen kann.
- Auch das wird nicht näher erklärt und bleibt so eine Provokation.
- Es folgt eine Gleichsetzung dieser Sehnsuchtsgefühle mit biologischen Elementen eines Körpers, die genetisch eigentlich nicht zu ihm gehören („Chimären“). D.h., dass diese Sehnsucht etwas ist, was von außen kommt und eigentlich zu einem selbst nicht gehört.
- Dass diese Chimären den „Winter pulverisieren“, ist auch sehr erklärungsbedürftig. Vom Gedicht selbst bekommt man auch hier nicht viel Hilfestellung. Man kann also allenfalls vermuten, dass der Winter als etwas Negatives verstanden wird, was durch diese „sehnsuchtsdrogen“ verkleinert wird. Das wäre dann aber natürlich eine positive Wirkung, die das Gericht wohl nicht meinen kann.
- Belassen wir es also dabei und konzentrieren uns auf die Kernaussagen.
- Mit dem Schlussteil kann man schon eher etwas anfangen: Dort geht es nämlich darum, dass man sich die Wirklichkeit so zurechtbiegt, dass einem der Ausgang erhalten bleibt, möglicherweise als Fluchtweg.
Anmerkungen zu Strophe 3
- In der dritten Strophe geht das lyrische Ich anscheinend zum Ausgangspunkt zurück.
- Wenn man die landläufige Vorstellung heran zieht, „mit dem Rücken zur Wand stehen“, dann zeigt es die Hoffnungslosigkeit und die Verzweiflung, die sich in der ersten Strophe ja schon angedeutet hat.
- Seltsam ist dann die nächste Zeile, denn dort wird angedeutet, als habe es keine Zwangsläufigkeit hin zu diesem Zustand gegeben. Hier erwartet man natürlich Hinweise auf eigenes Fehlverhalten oder sonstige Eingriffe, die nicht hätten sein müssen.
- Es folgen Signale, die die Hypothese vom Fluchtwunsch verstärken, was ja vor dem Hintergrund der Gesamtaussage des Gedichtes sehr verständlich ist.
Anmerkungen zu Strophe 4
- Die letzte Strophe nimmt noch einmal an die Situation des Anfangs ganz konkret auf. Die eigene Situation wird mit der eines Schlafwandlers verglichen. Das sind ja ebenfalls Menschen die in der Situation nicht bei Bewusstsein, nicht ganz bei sich sind.
- Die zweite Zeile nimmt dann die Frage nach dem Verursacher einer angeblich nicht zwangsläufigen Entwicklung auf, lässt die Antwort aber offen.
- Das Gedicht endet negativ, indem es jede Möglichkeit einer Verbesserung des Zustands, eines Endes der Fremdheit mit sich ausschließt.
Zusammenfassung
Insgesamt ein Gedicht, dass das Selbstgefühl eines Menschen beschreibt, der sich im eigenen Körper fremd fühlt. Fremd beziehungsweise unbekannt bleibt auch alles, was diese Situation erklären oder beheben könnte.
Dieses Gedicht hat sicherlich seinen Wert für Menschen, die sich damit begnügen können, dass jemand vielleicht auch ihre Gefühle in hilfreiche Bilder gefasst hat und letztlich auch ein gewisses Einverständnis mit der Situation erklärt. Das kann ja auch das Leiden an sich selbst minimieren.
Vergleich mit einem Vorläufer, den das Gedicht zitiert
http://www.deutsche-liebeslyrik.de/muller_wilhelm_winterreise.htm
Wilhelm Müller, „Gute Nacht“
Wer noch mehr möchte …
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