Gottfried August Bürger, „Der Bauer – an seinen Durchlauchtigen Tyrannen“ (Mat4219)

Anmerkungen zur Überschrift

  • Die Überschrift des Gedichtes nennt den Adressaten,
  • macht dabei aber bereits deutlich, dass die bestehenden Verhältnisse kritisiert werden sollen.
  • Es wird nämlich eine Formulierung verwendet, die im 18. Jahrhundert die Ehrerbietung gegenüber einem Fürsten deutlich machen sollte.
  • Die wird dann aber verbunden mit einer extrem kritischen Benennung des wirklichen Verhaltens des Fürsten.
    • Der ist nämlich aus der Sicht des Bauern kein Landesvater, wie die Fürsten sich damals gerne darstellten,
    • sondern ein Tyrann, also jemand der andere ohne jede Rücksicht auf Gesetze oder soziale Notwendigkeiten unterdrückt.

Anmerkungen zur Strophe 1

Wer bist du, Fürst, dass ohne Scheu
Zerrollen mich dein Wagenrad,
Zerschlagen darf dein Ross?

  • Die erste Strophe erklärt dann, welche Verhaltensweisen des Fürsten die Bezeichnung als Tyrann rechtfertigen.
  • Es geht um lebensgefährliche Übergriffe gegenüber den einfachen Menschen der Zeit. Wenn sie im Weg standen, konnte man sie überrollen oder auch als Reiter zertreten lassen, ohne sich groß drum zu kümmern.
  • Das dürfte, was die konkrete Situation angeht, wohl eine Übertreibung sein. Auf jeden Fall gab es keine Rechtsgleichheit zwischen den verschiedenen Ständen, also dem Adel einerseits und den Bauern andererseits.
  • Außerdem ist wohl davon auszugehen, dass die beiden Situationen, die genannt werden, stellvertretend stehen für die Hemmungslosigkeit, mit der mit den Lebensinteressen der einfachen Bevölkerung damals umgegangen worden ist.
  • Interessant ist sprachlich, dass der Vorwurf in eine Frage gepackt wird.
    • Nämlich die, wer den Fürsten überhaupt das Recht gegeben hat, sich so herablassend zu verhalten.
    • Dahinter steckt die Idee der Naturrechte der Aufklärung.
    • Nach ihnen sind alle Menschen zunächst einmal gleich und haben auch die gleichen Rechte.
    • Davon ist in der Realität der stände Gesellschaft wenig zu spüren.

Anmerkungen zur Strophe 2

Wer bist du, Fürst, dass in mein Fleisch
Dein Freund, dein Jagdhund, ungebläut
Darf Klau′ und Rachen hau′n?

  • Die zweite Strophe bringt dann eine weitere Situation fürstlicher Übergriffe, nämlich den hemmungslosen Einsatz der Jagdhunde.
  • Konkret gemeint sind dabei Situationen, in denen Jagdhunde auch auf Menschen gehetzt wurden, wenn sie den Fürsten im Wege waren.

Anmerkungen zur Strophe 3

Wer bist du, dass  durch Saat und Forst,
Das Hurra deiner Jagd mich treibt,
Entatmet, wie das Wild? –

  • Die dritte Strophe präsentiert einen weiteren Übergriff, unter dem Bauern damals besonders gelitten haben.
  • Das Jagdrecht der Adligen bedeutete auch, dass sie mit ihren Pferden, den Hunden und dem Gefolge die Äcker von Bauern durchqueren durften.
  • Dabei wurde keine Rücksicht genommen auf das Getreide, das evtl. kurz vor der Ernte stand.
  • Da die Bauern sowieso hohe Abgaben zu leisten hatten, haben solche Aktionen tatsächlich dazu geführt, dass die Bauern in Lebensgefahr geraten konnten.
  • Das macht die letzte Zeile deutlich, weil ein geschädigter Bauer sich wie ein gejagtes Wild fühlen konnte, atemlos, am Ende der eigenen Lebenskraft.

Anmerkungen zur Strophe 4

Die Saat, so deine Jagd zertritt,
Was Roß, und Hund, und Du verschlingst,
Das Brot, du Fürst, ist mein.

  • Die vierte Strophe geht noch einmal von der eben beschriebenen Situation aus
  •  und erweitert sie durch den Hinweis, dass die Bauern durch ihre Abgaben ja auch die Obrigkeit finanzieren.
  • Am Ende steht der ganz klare Hinweis, dass das Brot (stellvertretend für alles, was man zum Leben braucht), das der Fürst isst, eigentlich dem Bauern gehört.
  • Dahinter steckt die Vorstellung, dass die Abgaben der Bauern kaum durch eine Gegenleistung des Fürsten ausgeglichen wurden.
  • Zwar gab es Grundherren, die tatsächlich für die abhängigen Bauern zumindest etwas sorgten, das war aber eher die Ausnahme im 18. Jahrhundert.

Anmerkungen zur Strophe 5

Du Fürst hast nicht, bei Egg′ und Pflug,
Hast nicht den Erntetag durchschwitzt.
Mein, mein ist Fleiß und Brot! –

  • Die sechste Strophe vergleicht dann die Tätigkeit des Bauern, die für das Überleben der Gesellschaft sehr wichtig war, mit der Nichttätigkeit des Fürsten.
  • Der Hinweis auf den Schweiß soll verdeutlichen, wie viel Anstrengung mit der Tätigkeit des Bauern verbunden war.
  • Wer sich in der Bibel auskennt, sieht hier auch eine mögliche Anspielung auf die Schöpfungsgeschichte. Nach der Vertreibung aus dem Paradies sollten die Menschen eben im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen.
    Hier kann man sich die Stelle genauer anschauen:
    https://bibeltext.com/genesis/3-19.htm
  • Jetzt ist es so, dass nur noch eine Gruppe der Menschen diesen Schweiß vergießt und die andere Gruppe nur verbraucht und z.T. sogar noch zerstört.

Anmerkungen zur Strophe 6

Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?
Gott spendet Segen aus; du raubst!
Du nicht von Gott, Tyrann!

  • Dieser Bezug auf Gott wird dann in der letzten Strophe noch einmal aufgenommen und weiter ausgeführt.
  • Die Strophe beginnt mit einem Ausruf, der wohl Erregung und Ablehnung ausdrücken soll.
  • Es folgt der Vergleich dessen, was der Fürst macht, mit dem, was Gott nach Auffassung des Bauern tut.
  • Dahinter steckt die Vorstellung, dass die Fürsten gewissermaßen im Auftrag Gottes ihre Macht ausüben. Von daher ist es natürlich ein geschickter Schachzug, auf die Unterschiede im Handeln von Fürst und Gott hinzuweisen
  • Dementsprechend ist dann auch die Schlussfolgerung, dass das Gottesgnadentum der Fürsten, ihre besondere Stellung, radikal infragegestellt wird.
  • Natürlich ist die Gegenüberstellung etwas grob geraten. Wenn hier vom Segen Gottes die Rede ist, dann ist damit vor allem auch das gemeint, was die Schöpfung gerade dem Bauern bietet.
  • Vor allem ist das, was Gott über die Natur den Menschen bietet, wirklich ein Geschenk, für das nicht direkt eine Gegenleistung erbracht werden muss.
  • Ein Rest dieser Vorstellung hat sich in der bäuerlichen Lebenswelt in der sogenannten Allmende erhalten. Das waren vor allem Wälder und Gewässer, die der gesamten Dorfgemeinschaft gehörten und von allen im Bereich bestimmter Regeln auch kostenlos  benutzt werden konnten.

Anmerkungen zur Aussage des Gedichtes

  1. Das Gedicht zeigt insgesamt das Missverhältnis zwischen dem, was die Fürsten als angebliche Sachwalter Gottes für ihre Untertanen eigentlich leisten mussten, und dem, was sie real den Bauern antun.
  2. Am Ende steht eine radikale Infragestellung der Rolle und Position der Fürsten.
  3. Hier bleibt kaum ein Raum für einen Kompromiss, letztlich ist es eine Vorstufe zur Revolution, wie sie 1789 in Frankreich stattgefunden hat.

Anmerkungen zu den künstlerischen Mitteln

  • Ein wesentliches Mittel sind die rhetorischen Fragen in den ersten drei Strophen.
  • Verbunden werden sie mit recht anschaulichen Beschreibungen von Situationen mit Übergriffen der Fürsten.
  • Sehr gut gewählt ist der Vergleich mit dem gejagten Wild, was die Atemlosigkeit angeht. Die muss beim Bauern natürlich im übertragenen Sinne verstanden werden.
  • Wichtig ist die Wiederholung des Wortes „mein“, was „Fleiß“ und „Brot“ angeht.
  • Dabei ist der Zusammenhang interessant, was die beiden Elemente angeht. Eins gehört zum anderen.
  • Auf die Anspielung auf ein Bibelwort ist schon hingewiesen worden.
  • Wichtig ist auch die Zuspitzung am Ende, beginnend mit dem Ausruf, dann der Gegensatz von Segen und Raub und schließlich die nur noch bruchstückhafte Bewertung der Stellung des Fürsten – unter Wiederaufnahme des Begriffs „Tyrann“.

 Wer noch mehr möchte …