Im Folgenden wollen wir zeigen, wie man ein Gedicht schnell versteht, d.h.
- nach kurzem Lesen bereits eine Deutungshypothese formulieren kann,
- die dann durch genauere Analyse der zentralen Signale ggf. korrigiert, auf jeden Fall abgesichert wird und Aussagen des Gedichtes erkennen lässt,
- wie man aus diesen Aussagen auch das Thema, nämlich die zugrundeliegende Frage, ermitteln kann.
Joseph von Eichendorff
Abschied
- O Täler weit, o Höhen,
- O schöner, grüner Wald,
- Du meiner Lust und Wehen
- Andächt’ger Aufenthalt!
- Da draußen, stets betrogen,
- Saust die geschäft’ge Welt,
- Schlag noch einmal die Bogen
- Um mich, du grünes Zelt!
- Signal: Schönheit der Natur, bsd. des Waldes
- Signal: Ort der Andacht
- Signal: Gegenwelt zur Welt „draußen“
- „geschäftig“
- „betrogen“
- Signal: Wald als Schutz („Zelt“)
im Moment des Abschieds
- Wenn es beginnt zu tagen,
- Die Erde dampft und blinkt,
- Die Vögel lustig schlagen,
- Daß dir dein Herz erklingt:
- Da mag vergehn, verwehen
- Das trübe Erdenleid,
- Da sollst du auferstehen
- In junger Herrlichkeit!
- Signal: Bsd. Situation des Morgens = Aufbruch des Lebens
- Auswirkungen
- auf das eigene Herz = lässt es erklingen
- und vertreibt das „trübe Erdenleid“
- Konsequenz: Chance auf eine Art Auferstehung des Menschen, hier: des lyrischen Ichs
- Da steht im Wald geschrieben,
- Ein stilles, ernstes Wort
- Von rechtem Tun und Lieben,
- Und was des Menschen Hort.
- Ich habe treu gelesen
- Die Worte, schlicht und wahr,
- Und durch mein ganzes Wesen
- Ward’s unaussprechlich klar.
- Signal: Hinweis auf ein „stilles, ernstes Wort“, das im Wald zu finden ist
- Inhalt:
- von dem, was man richtig macht und auch richtig liebt
- und was für den Menschen ein innerer Schutzraum („Hort“) ist
- Bedeutung für das lyrische Ich:
- es hat es „treu gelesen“
- als „schlicht und wahr“ empfunden
- und es hat entspricht dem eigenen Wesen, wurde in ihm bestätigt
also eine Art Wechselwirkung der gegenseitigen Bestätigung
- Bald werd ich dich verlassen,
- Fremd in der Fremde gehn,
- Auf buntbewegten Gassen
- Des Lebens Schauspiel sehn;
- Und mitten in dem Leben
- Wird deines Ernsts Gewalt
- Mich Einsamen erheben,
- So wird mein Herz nicht alt.
- Signal: Abschied steht an – und zwar von dieser Waldwelt
- Signal: Es geht in die „Fremde“
- gekennzeichnet durch Buntheit (hier wohl nicht unbedingt positiv gesehen)
- und „Schauspiel des Lebens“ (auch hier unklar, inwieweit das positiv ist)
- Signal: Fortwirken der Lehre des Waldes
- Beseitigung von Einsamkeit
- und Erhalt der Jugend des Herzens
Kernaussagen -> „Das Gedicht zeigt“
- die Bedeutung des Waldes
- als Ort der Andacht bei Lust und Leid
- als Schutzraum
- außerdem als Quelle von Lebendigkeit
- bsd. auch für das lyrische Ich und vielleicht alle Menschen
- und Mittel gegen das „trübe Erdenleid“
- mit einer moralischen Botschaft/Lehre
- Gegenwelt draußen
- der Geschäftigkeit (Welt der Arbeit, evtl. Anspielung auf die „Philister“-Kritik des Bürgertums durch die Romantiker)
- und des Betrügens (eindeutig negativ)
- aber auch neutraler als Buntheit
- und Schauspiel des Lebens
- aber auch der Einsamkeit (wenn man eher ein „Wald“-Mensch ist) und
- des Alterns (passt zu Geschäftigkeit)
- Synthese aus Wald-These und Geschäftswelt-Gegenthese
- Mitnahme der Waldbotschaft nach draußen
- Ernst gegen Unernst (des geschäftigen und bunten Lebens)
- Erhebung aus der Einsamkeit (etwas in Richtung Transzendenz, es gibt mehr als das bunte Leben)
- Erhalt der Jugend des Herzens
Thema:
Das Gedicht behandelt die Frage, welche Bedeutung der Wald für das lyrische Ich beim Abschied in Richtung Business-Welt hat