Eichendorff, „Abschied“ (O Täler weit o Höhen) (Mat5795 ) – Kernaussagen, Deutungshypothese und Thema

Im Folgenden wollen wir zeigen, wie man ein Gedicht schnell versteht, d.h.

  1. nach kurzem Lesen bereits eine Deutungshypothese formulieren kann,
  2. die dann durch genauere Analyse der zentralen Signale ggf. korrigiert, auf jeden Fall abgesichert wird und Aussagen des Gedichtes erkennen lässt,
  3. wie man aus diesen Aussagen auch das Thema, nämlich die zugrundeliegende Frage, ermitteln kann.

Joseph von Eichendorff

Abschied

  1. O Täler weit, o Höhen,
  2. O schöner, grüner Wald,
  3. Du meiner Lust und Wehen
  4. Andächt’ger Aufenthalt!
  5. Da draußen, stets betrogen,
  6. Saust die geschäft’ge Welt,
  7. Schlag noch einmal die Bogen
  8. Um mich, du grünes Zelt!
  • Signal: Schönheit der Natur, bsd. des Waldes
  • Signal: Ort der Andacht
  • Signal: Gegenwelt zur Welt „draußen“
    • „geschäftig“
    • „betrogen“
  • Signal: Wald als Schutz („Zelt“)
    im Moment des Abschieds
  1. Wenn es beginnt zu tagen,
  2. Die Erde dampft und blinkt,
  3. Die Vögel lustig schlagen,
  4. Daß dir dein Herz erklingt:
  5. Da mag vergehn, verwehen
  6. Das trübe Erdenleid,
  7. Da sollst du auferstehen
  8. In junger Herrlichkeit!
  • Signal: Bsd. Situation des Morgens = Aufbruch des Lebens
  • Auswirkungen
    • auf das eigene Herz = lässt es erklingen
    • und vertreibt das „trübe Erdenleid“
  • Konsequenz: Chance auf eine Art Auferstehung des Menschen, hier: des lyrischen Ichs
  1. Da steht im Wald geschrieben,
  2. Ein stilles, ernstes Wort
  3. Von rechtem Tun und Lieben,
  4. Und was des Menschen Hort.
  5. Ich habe treu gelesen
  6. Die Worte, schlicht und wahr,
  7. Und durch mein ganzes Wesen
  8. Ward’s unaussprechlich klar.
  • Signal: Hinweis auf ein „stilles, ernstes Wort“, das im Wald zu finden ist
  • Inhalt:
    • von dem, was man richtig macht und auch richtig liebt
    • und was für den Menschen ein innerer Schutzraum („Hort“) ist
  • Bedeutung für das lyrische Ich:
    • es hat es „treu gelesen“
    • als „schlicht und wahr“ empfunden
    • und es hat entspricht dem eigenen Wesen, wurde in ihm bestätigt
      also eine Art Wechselwirkung der gegenseitigen Bestätigung
  1. Bald werd ich dich verlassen,
  2. Fremd in der Fremde gehn,
  3. Auf buntbewegten Gassen
  4. Des Lebens Schauspiel sehn;
  5. Und mitten in dem Leben
  6. Wird deines Ernsts Gewalt
  7. Mich Einsamen erheben,
  8. So wird mein Herz nicht alt.
  • Signal: Abschied steht an – und zwar von dieser Waldwelt
  • Signal: Es geht in die „Fremde“
    • gekennzeichnet durch Buntheit (hier wohl nicht unbedingt positiv gesehen)
    • und „Schauspiel des Lebens“ (auch hier unklar, inwieweit das positiv ist)
  • Signal: Fortwirken der Lehre des Waldes
    • Beseitigung von Einsamkeit
    • und Erhalt der Jugend des Herzens

Kernaussagen -> „Das Gedicht zeigt“

  1. die Bedeutung des Waldes
    • als Ort der Andacht bei Lust und Leid
    • als Schutzraum
    • außerdem als Quelle von Lebendigkeit
    • bsd. auch für das lyrische Ich und vielleicht alle Menschen
    • und Mittel gegen das „trübe Erdenleid“
    • mit einer moralischen Botschaft/Lehre
  2. Gegenwelt draußen
    • der Geschäftigkeit (Welt der Arbeit, evtl. Anspielung auf die „Philister“-Kritik des Bürgertums durch die Romantiker)
    • und des Betrügens (eindeutig negativ)
    • aber auch neutraler als Buntheit
    • und Schauspiel des Lebens
    • aber auch der Einsamkeit (wenn man eher ein „Wald“-Mensch ist) und
    • des Alterns (passt zu Geschäftigkeit)
  3. Synthese aus Wald-These und Geschäftswelt-Gegenthese
    • Mitnahme der Waldbotschaft nach draußen
    • Ernst gegen Unernst (des geschäftigen und bunten Lebens)
    • Erhebung aus der Einsamkeit (etwas in Richtung Transzendenz, es gibt mehr als das bunte Leben)
    • Erhalt der Jugend des Herzens
Deutungshypothese: nach schnellem Überfliegen des Gedichtes
Bedeutung des Waldes als Quelle von Stärke, Festigkeit und Jugend im Vergleich zur bunten, geschäftigen, aber auch trügerischen Welt
Aussage nach genauerer Analyse des Gedichtes – zusammengefasst
„Das Gedicht sieht den Wald als Inbegriff der Natur als Quelle einer inneren Moral (im Sinne von Festigkeit), die auch beim Übertritt in die Welt bunter, aber auch betrügerischer Geschäftigkeit den Menschen sich selbst treu und im Herzen jung erhält.“
Thema:
Das Gedicht behandelt die Frage, welche Bedeutung der Wald für das lyrische Ich beim Abschied in Richtung Business-Welt hat
Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 67-68.

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