Zum Problem des Rhythmus in Eichendorffs Gedicht „Sehnsucht“

In Eichendorffs Gedicht „Sehnsucht“

           Sehnsucht

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab’ ich mir heimlich gedacht:
Ach wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.

taucht ein interessantes Phänomen auf. Es scheint nämlich keinen einheitlichen Rhythmus zu haben, aber es lässt sich rhythmus lesen, wenn man an den Stellen, an denen eine zweite Senkung fehlt, eine Pause macht. Das funktioniert dann wie eine Synkope in der Musik und gibt dem dem Gedicht eine quälend gebremste Dynamik, wie sie auch zum Inhalt passt.

Genauer wird hier auf das Gedicht eingegangen:

https://www.endlich-durchblick.de/hilfen-im-fach-deutsch/hilfen-zu-gedichten/eichendorff-sehnsucht/

Wir konzentrieren uns hier am Beispiel der ersten Strophe auf die Rhythmusproblematik:

Die Form

Es handelt sich um drei Strophen von jeweils 8 Verszeilen mit zwei Kreuzreim-Vierzeilern, das Versmaß wirkt sehr daktylisch und damit leicht und bewegt, fast tänzerisch.

Man kann das Gedicht übrigens so lesen, dass die Stelle, an der die zweite Senkung (unbetonte Silbe) fehlt, besonders durch eine entsprechende Pause betont wird. Das wirkt dann wie eine Synkope in der Musik.

Es schienen so golden die Sterne,

s   H      s     s   H   s    s    H s

  • Hier haben wir zwei Daktylen.

Am Fenster ich einsam stand

s    H    s     s    H (s)  s     H

  • Hier fehlt eine Senkung, die man durch eine Pause ausgleichen kann. Das betont das Wort „einsam“ – für die Romantiker sehr wichtig.

Und hörte aus weiter Ferne

  • Hier wird auf die gleiche Weise das „weiter“ betont – auch das ein wichtiges Motiv der Romantik.

Ein Posthorn im stillen Land.

  • „stillen“ = auch ein romantisches Motiv.

Das Herz mir im Leib entbrennte,

  • „Leib“ und „brennte“ kann man auch so sehen.

Da hab’ ich mir heimlich gedacht:

  • Hier hätten wir wieder zwei komplette Daktylen.

Ach wer da mitreisen könnte

  • „mitreisen“ = auch wieder typisch romantisch.

In der prächtigen Sommernacht!

s  s    H      s  s   H     s     H

  • Hier wird erstmals vorne gewissermaßen Anlauf genommen – passt zum Inhalt. Und „Sommernacht“ wird auch passend durch eine Pause betont.

Man kann das Gedicht übrigens auch entsprechend auffüllen.

Es schienen so golden die Sterne,

Am Fenster ich einsam (da) stand

Und hörte aus weiter(er) Ferne

Ein Posthorn im stille(re)n Land.

Das Herz mir im Leib(e) entbrennte,

Da hab’ ich mir heimlich gedacht:

Ach wer da mitreisen (wohl) könnte

In d(ies)er (so)prächtigen Nacht!

Das dient zwar nicht der Schönheit des Gedichtes, macht aber die Rhythmus-Situation deutlich.


Es wäre jetzt eine reizvolle Aufgabe, diesen Ansatz auch für den Rest des Gedichtes durchzuprüfen.

Weiterführende Hinweise