Zum Problem des Rhythmus in Eichendorffs Gedicht „Sehnsucht“ (Mat2991)

Hier ein neues Video

Dieses Video klärt hoffentlich den Rhythmus in Eichendorffs Gedicht „Sehnsucht“
– endgültig
– vorläufig
Das ist nicht so unsinnig, wie es vielleicht erst mal klingt.
Das heißt: Das folgende Video enthält unseren „endgültigen“ Stand,
bevor der sich als vorläufig herausstellt, wenn wieder neue Einsichten kommen. 😉

Videolink

https://youtu.be/RdmU1fbSUw0

Hier die Sprungmarken zu den einzelnen Stellen:
Einstieg – Das Gedicht „Sehnsucht“ von Eichendorff 0:06 Das Rhythmus-Problem: daktylisch oder trochäisch? 0:19 Erklärung: Daktylus („prächtige“) und Trochäus („Feier“) 0:43 Profi Freistein kündigt einfache Erklärung an 1:02 Grundlagen zum Metrum – Wiederholung bei Unsicherheit 1:25 Beispielanalyse: „Es schienen so golden die Sterne“ 1:56 Walzerrhythmus (Daktylus) trifft Marschrhythmus (Trochäus) 2:06 Nächste Zeile: „Am Fenster ich einsam stand“ – Markierungen erklärt 2:25 Lehrkraft hatte recht: Mischung aus Daktylen und Trochäen 3:01 Zeile 8: „In der prächtigen Sommernacht“ – Doppelauftakt und Varianten 3:44 Variantenlesen – Bedeutung des Auftakts 4:08 Ergebnis: erste Strophe fast durchgehend daktylisch 4:11 Zweite Strophe: „Zwei junge Gesellen gingen“ – Synkope erklärt 4:57 Nachmarkierungen im Text – Rhythmusabgleich 5:01 Rückkehr zu Zeile 8 – Kombination aus Daktylus und Trochäus bestätigt 5:56 Zeile 14: „Wo die Wälder rauschen so sacht“ – Betonungsvarianten 6:21 Zeile 21: „Wo die Mädchen am Fenster lauschen“ – Doppel-Daktylus 6:26 Varianten am Schluss: „und die Brunnen verschlafen rauschen“ 6:55 Fazit: Kombination von Daktylen und Trochäen sinnvoll 7:04 Zusatzfrage: Haben die Abweichungen eine Bedeutung? 7:26 Vergleich zu Gedichten mit Rhythmusstörung – Bedeutung dort stärker 7:34 Abschluss und Verweis auf Website mit Dokumentation 7:55 Kommentar- und Fragenhinweis – Kanalunterstützung erbeten 8:12 Abschlusswort: Dank, Freude am Lernen, Ausblick auf nächste Videos

Hier die Dokumentation_

Und hier noch die entscheidende Seite mit allen „Erkenntnissen“.

Hier stehen unsere früheren Überlegungen

In Eichendorffs Gedicht „Sehnsucht“

           Sehnsucht

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab’ ich mir heimlich gedacht:
Ach wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.

taucht ein interessantes Phänomen auf. Es scheint nämlich keinen einheitlichen Rhythmus zu haben, aber es lässt sich rhythmisch lesen, wenn man an den Stellen, an denen eine zweite Senkung fehlt, eine Pause macht. Das funktioniert dann wie eine Synkope in der Musik und gibt dem dem Gedicht eine quälend gebremste Dynamik, wie sie auch zum Inhalt passt.

Genauer wird hier auf das Gedicht eingegangen:

https://textaussage.de/schnell-durchblicken-eichendorff-sehnsucht

Wir konzentrieren uns hier am Beispiel der ersten Strophe auf die Rhythmusproblematik:

Die Form

Es handelt sich um drei Strophen von jeweils 8 Verszeilen mit zwei Kreuzreim-Vierzeilern, das Versmaß wirkt sehr daktylisch und damit leicht und bewegt, fast tänzerisch.

Man kann das Gedicht übrigens so lesen, dass die Stelle, an der die zweite Senkung (unbetonte Silbe) fehlt, besonders durch eine entsprechende Pause betont wird. Das wirkt dann wie eine Synkope in der Musik.

Es schienen so golden die Sterne,

s   H      s     s   H   s    s    H s

  • Hier haben wir zwei Daktylen.

Am Fenster ich einsam stand

s    H    s     s    H (s)  s     H

  • Hier fehlt eine Senkung, die man durch eine Pause ausgleichen kann. Das betont das Wort „einsam“ – für die Romantiker sehr wichtig.

Und hörte aus weiter Ferne

  • Hier wird auf die gleiche Weise das „weiter“ betont – auch das ein wichtiges Motiv der Romantik.

Ein Posthorn im stillen Land.

  • „stillen“ = auch ein romantisches Motiv.

Das Herz mir im Leib entbrennte,

  • „Leib“ und „brennte“ kann man auch so sehen.

Da hab’ ich mir heimlich gedacht:

  • Hier hätten wir wieder zwei komplette Daktylen.

Ach wer da mitreisen könnte

  • „mitreisen“ = auch wieder typisch romantisch.

In der prächtigen Sommernacht!

s  s    H      s  s   H     s     H

  • Hier wird erstmals vorne gewissermaßen Anlauf genommen – passt zum Inhalt. Und „Sommernacht“ wird auch passend durch eine Pause betont.

Man kann das Gedicht übrigens auch entsprechend auffüllen.

Es schienen so golden die Sterne,

Am Fenster ich einsam (da) stand

Und hörte aus weiter(er) Ferne

Ein Posthorn im stille(re)n Land.

Das Herz mir im Leib(e) entbrennte,

Da hab’ ich mir heimlich gedacht:

Ach wer da mitreisen (wohl) könnte

In d(ies)er (so)prächtigen Nacht!

Das dient zwar nicht der Schönheit des Gedichtes, macht aber die Rhythmus-Situation deutlich.


Es wäre jetzt eine reizvolle Aufgabe, diesen Ansatz auch für den Rest des Gedichtes durchzuprüfen.

Weiterführende Hinweise