Franz Kafka, „Nachts“ – die Parabel, die wohl auch für Kafka selbst steht (Mat1129)

Worum es hier geht:

Im Folgenden präsentieren wir eine Parabel, eine Kurzgeschichte mit symbolischer Bedeutung, die auf Kafka selbst bezogen wird und wohl auch ausdrückt, wie er sich selbst sieht.

Zu finden ist die Parabel u.a. hier.

Franz Kafka,

Nachts

Versunken in die Nacht. So wie man manchmal den Kopf senkt, um nachzudenken, so ganz versunken sein in die Nacht.

  • Es geht hier um eine besondere Situation, in der man in tiefes Nachdenken versunken ist.

Ringsum schlafen die Menschen.

  • Der Blick wird gelenkt auf die Menschen um den Erzähler herum.

Eine kleine Schauspielerei, eine unschuldige Selbsttäuschung, dass sie in Häusern schlafen, in festen Betten, unter festem Dach, ausgestreckt oder geduckt auf Matratzen, in Tüchern, unter Decken,

  • Die Situation der Menschen wird näher beleuchtet: Sie erliegen einer „unschuldigen Selbsttäuschung“, glauben sich in Sicherheit.

in Wirklichkeit haben sie sich zusammengefunden wie damals einmal und wie später in wüster Gegend, ein Lager im Freien, eine unübersehbare Zahl Menschen, ein Heer, ein Volk, unter kaltem Himmel auf kalter Erde, hingeworfen wo man früher stand, die Stirn auf den Arm gedrückt, das Gesicht gegen den Boden hin, ruhig atmend.

  • Dem wird die Wirklichkeit gegenübergestellt, wie der Erzähler sie sieht. Die Situation der Menschen ist immer noch wie in frühesten Zeiten – sie sind trotz aller modernen Behausung immer noch „hingeworfen“, schutzlos.

Und du wachst, bist einer der Wächter, findest den nächsten durch Schwenken des brennenden Holzes aus dem Reisighaufen neben dir. Warum wachst du? Einer muss wachen, heißt es. Einer muss da sein.

  • Am Ende dann spricht sich der Erzähler selbst an, macht deutlich, welche Rolle er hat, er sieht sich als „Wächter“ – allerdings als einer unter mehreren, im Kontakt mit den anderen. Es wird nicht näher erläutert, welche Gefahren drohen – es geht nur um das Wachsein.
  • Das kann man auf Kafkas Schreiben beziehen – es ist ein Ausdruck seiner Wachheit – die anderen Menschen wissen nicht um ihre Situation oder wollen es nicht wissen.
  • Vor dem Hintergrund ist es auch durchaus verständlich, dass Kafka seinen Freund Max Brod gebeten hat, seine Schriften nach seinem Tod zu vernichten – sie waren wohl nur für ihn bestimmt. Die anderen Wächter, die es wie in dieser Geschichte auch gibt, also andere Menschen, die wach und Wächter sind, die sind das eben für sich. Die Geschichte lässt den Wächter einsam sein – wenn auch im Bewusstsein, dass es da noch andere gibt. Aber die breite Masse der Menschen bleibt davon unberührt.
  • Offen bleibt aber nach wie vor, inwieweit es wirklich eine Gefahr gibt – oder ob Kafka nicht einfach nur von einer Situation des Ausgesetztseins ausgeht, es geht mehr um das Wachsein – als um irgendeinen Schutz. Das ist wohl ein Unterschied zu „Warten auf Godot“, zu dem Theaterstück, in dem auch der Mensch in einem Nicht-Glücklich-Sein gezeigt wird – der Unterschied bei Kafka ist aber wohl, wie „Eine kaiserliche Botschaft“ zeigt, dass man zumindest positiv wartet, von einer Botschaft ausgeht – und sich dieses wachen Wartens immer bewusst bleibt. Bei Kafka gibt es zumindest die Fülle der Empfindung und des Nachdenkens, des „Re-Flektierens“ der Situation des Menschen schlechthin, während in dem besagten Drama die absolute Inaktivität und existenzielle Leere des modernen Menschen gezeigt wird.

Kreative Anregung:

Man kann vom Anfang der Parabel ausgehen und dann selbst mal überlegen, zu welchen Gedanken das führen könnte. Es muss ja gar keine Situation am Wachfeuer sein. Jede beliebige Situation ist denkbar, wo man zur Ruhe kommt und die Gedanken fliegen lässt zu dem, was wichtig ist.

Am einfachsten ist sicher die Situation, in der man etwas in sein Tagebuch einträgt.
Aber man kann es natürlich auch jemandem schreiben.

Mögliche Aufgabe:

Am Anfang der Geschichte heißt es:
„Versunken in die Nacht. So wie man manchmal den Kopf senkt, um nachzudenken, so ganz versunken sein in die Nacht.“

Denk dir jetzt selbst eine Situation aus, in der jemand zur Ruhe kommt und über sich und alles Mögliche nachdenkt, was einem wichtig sein kann.

Dabei kannst du gleich feststellen, wie schön es ist, wenn man nicht direkt über sich selbst spricht, sondern jemanden in einer bestimmten Situation erfindet und ihn sprechen oder schreiben lässt.

Zum Beispiel:

  • Er/Sie konnte nicht schlafen – und schon flogen die Gedanken. Jemanden jetzt noch anrufen, dafür war es zu spät – also musste man sich mal wieder mit sich selbst unterhalten – aber warum auch nicht. Da bekam man zwar keine Antwort, aber auch keinen Ärger.
  • Als erstes fiel ihm/ihr die ständige Frage seines Vaters/ihrer Mutter ein. Was wollte man werden, als wenn man das wüsste.
  • usw.

Mehr zu Kafka

Wer eine Einführung in das Denken und Schreiben Kafkas haben möchte, findet sie in dem folgenden Video:

Kafka, einfach erklärt an den Geschichten „Kleine Fabel“ und „Eine kaiserliche Botschaft“

Wer die wichtigsten 12 anderen Geschichten aus unserer Sicht vorgestellt bekommen möchte, findet sie hier im Video:

Kafka: Überblick über die 12 wichtigsten kurzen Erzählungen (Parabeln, nach Themen sortiert)

Dort fügen wir jetzt diese Geschichte auch noch ein – wer weiß, was noch dazukommt im Laufe der Zeit.

Wer noch mehr möchte …