Goethe, „Der Abschied“ – recht kaltherzig, typisch Goethe? (Mat5747)

Worum es hier geht:

Wir schauen uns ein Gedicht von Goethe an, das man gut mit „Willkommen und Abschied“ vergleichen kann, das allerdings viel intensiver und tiefgründiger gestaltet ist. Kein Wunder, dass das Gedicht sehr viel häufiger im Unterricht eine Rolle spielt als „Abschied“.

Zu finden ist das Gedicht u.a. hier:
https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/gedichte/chap028.html

Wir präsentieren den Originalwortlaut in kursiver Schrift. In Normalschrift dann unsere Anmerkungen.

Anmerkungen zur Überschrift:

Der Abschied

  • Die Überschrift des Gedichtes gibt nur allgemein an, worum es geht, und präsentiert das auch relativ distanziert.

Anmerkungen zu Strophe 1:

Lass mein Aug den Abschied sagen,
Den mein Mund nicht nehmen kann!
Schwer, wie schwer ist er zu tragen!
Und ich bin doch sonst ein Mann.

  • In der ersten Strophe wird deutlich, dass das lyrische Ich von der Situation in der Überschrift genannten Situation stark betroffen ist.
  • Es versucht, das klarzumachen, indem es behauptet, es könne diesen Abschied nur mit den Augen bewältigen und nicht mit dem Mund.
  • Dem widerspricht aber eigentlich, dass dieses lyrische Ich ja hier ein Gedicht präsentiert, also zumindest auf diese Art und Weise sprechen kann.
  • Beim Leser könnte also der Verdacht entstehen, dass es sich hier eher um ein rhetorisches Spiel als um Ehrlichkeit handelt.
  • In der zweiten Hälfte der Strophe bemitleidet das lyrische Ich sich noch vor dem Hintergrund seiner angeblich sonst noch immer gezeigten Manhaftigkeit.
  • Leserlenkung:
    Man hat den Eindruck wie auch in dem Gedicht „Willkommen und Abschied“
    https://schnell-durchblicken.de/goethe-willkommen-und-abschied-zwei-fassungen-und-eine-pointe
    dass es diesem lyrischen Ich vor allem um sich selbst geht. Vom Gegenüber ist in der ersten Strophe keine Rede. Aber das kann ja noch kommen.

Anmerkungen zu Strophe 2:

Traurig wird in dieser Stunde
Selbst der Liebe süßstes Pfand,
Kalt der Kuss von deinem Munde,
Matt der Druck von deiner Hand.

  • Auch in der zweiten Strophe ist die Situation nur aus der Sicht des lyrischen Ichs betrachtet.
  • Die unangenehmen Begleiterscheinungen werden dem Gegenüber zugeordnet.
  • Zwischenfazit Leserlenkung:
    Beim Leser verstärkt sich der negative Eindruck, was das lyrische Ich angeht.

Anmerkungen zu Strophe 3:

Sonst, ein leicht gestohlnes Mäulchen,
O wie hat es mich entzückt!
So erfreuet uns ein Veilchen,
Das man früh im März gepflückt.

  • In der dritten Strophe kommt es noch schlimmer.
  • Jetzt wird nämlich das Gegenüber sogar beleidigt, indem ihm unterstellt wird, man hätte von ihm auf leichte Art und Weise einen Kuss stehlen können.
  • Wirkliche und vor allem partnerschaftlich Liebesleidenschaftlichkeit sieht wohl anders aus.
  • Das einzige, was bleibt, ist das schöne Gefühl, dass das lyrische Ich dabei gehabt hat.
  • In der zweiten Hälfte der Strophe wird dann diese eher einseitige Sicht doch noch mit einem Vergleich illustriert, bei dem zum ersten Mal von „uns“ die Rede ist, also auf Gemeinsamkeit Bezug genommen wird.

Anmerkungen zu Strophe 4:

Doch ich pflücke nun kein Kränzchen,
Keine Rose mehr für dich.
Frühling ist es, liebes Fränzchen,
Aber leider Herbst für mich!

  • Am Ende dann eine ziemlich brutale Fortsetzung. Dem Gegenüber wird mitgeteilt, dass man nichts mehr geben will.
  • Die beiden letzten Zeilen klingen wie eine dieser Abschieds-SMS-Mitteilungen, die kaltherzig darauf verweisen, dass man sich in der Beziehung der kalten Jahreszeit, dem Ende nähert.
  • Bei dem Wort „leider“ weiß man nicht, ob das nicht nur eine Floskel ist.

Insgesamt

  1. scheint dieses Gedicht ein Beleg zu sein für den Egoismus und die Oberflächlichkeit, mit der Goethe seine „Liebes“-Beziehungen pflegte, vor allem auch beendete.
  2. Besonders deutlich wird das hier an der absoluten Selbstbezogenheit der Darstellung dieses Abschieds, die noch mündet in eine Art Demütigung.
  3. Dieses lyrische Ich hat für ihr angeblich geliebtes Gegenüber nicht mal eine Abschnittsfloskel der Art über:
    „Wir sehen uns“
    „Mach’s gut“ oder etwas ähnliches.

Goethe und Die Frauen

Diesen Teil haben wir hier herausgelöst. Die Infos und Verweise sind aber hier zu finden:
https://textaussage.de/goethe-und-die-frauen