Gottfried Benn, „Blaue Stunde“ – Interpretationsanmerkungen (Mat4367)

Allgemeines zu diesem Gedicht

In dem Gedicht wird eine recht komplizierte Beziehung in dem Moment beschrieben, als das lyrische Ich beim Betreten der Wohnung einen Rosenstrauß vorfindet. Das ruft Erinnerungen und Überlegungen hervor.

Das Gedicht ist unter anderem hier zu finden.

Anmerkungen zum Titel

Blaue Stunde

  • Da man nicht unbedingt wissen muss, was mit der blauen Stunde vor allem im übertragenen Sinne gemeint ist, lohnt es sich kurz, in Wikipedia nachzuschauen:
  • „Laut Duden steht die Wendung „blaue Stunde“ dichterisch für die Zeit der Dämmerung. In literarischen Werken wird der Begriff auch noch weiter gefasst und hier häufig mit melancholischen Gefühlen assoziiert.“
  • Wenn man das weiß oder gesagt bekommt, ergibt sich im Sinne der Leserlenkung die Frage, inwieweit dieses Gedicht möglicherweise auch etwas mit Dämmerung und mit melancholischer Stimmung zu tun hat.

Anmerkungen zu Strophe I,1

Tatsächlich beginnt das Gedicht mit dem ganz bestimmten Dämmerungszeitpunkt, an dem das lyrische Ich eine (wahrscheinlich seine)  Wohnung erreicht.

  • Was er dann sieht, sind nur noch die roten Lippen  einer Frau und eine Schale mit Rosen. Alles endet endet dann in der Wahrnehmung eines Du. Man kann also von einer Beziehungssituation ausgehen.

Anmerkungen zu Strophe I,2

  • Die zweite Strophe spricht dann an, dass es sich bei dieser Begegnung um etwas Besonderes handelt.
  • Das bedeutet auch, dass man ganz eigene Worte dafür finden muss.
  • Die letzte Zeile betont dann noch einmal die totale Bedeutung dieses Moments und zugleich, dass hier „der letzte Zug“ stattfindet. Das hört sich nach Trennung an, ganz gleich, aus welchem Grunde.

Anmerkungen zu Strophe I,3

  • Diese Strophe nimm den Aspekt der Worte wieder auf und macht deutlich, dass zwischen den beiden Menschen viel Schweigendes ist.
  • Das füllt sogar den ganzen Raum und entfaltet eine Eigendynamik.
  • Am Ende steht die Konfrontation von Erfahrungen (vielleicht auch ausgeblieben Erfahrungen) und dann wieder das Symbol der Beziehung, nämlich die Schale mit den Rosen.

Anmerkungen zu Strophe II,1

  • Im zweiten Teil des Gedichts zeigt sich eine  Reduzierung des Gegenübers, was seine Präsenz und Stärke angeht.
  • Im Kontrast dazu steht dann einiges, was mit intensiven Gefühlen zu tun hat – beziehungsweise Erotik.
  • All das  geht allerdings vom Gegenüber aus.
  • Ziemlich unklar ist dann der Hinweis auf den „angeströmten“ Grund. Hier kann man nur hoffen, dass das im weiteren Verlauf geklärt wird.

Anmerkungen zu Strophe II,2

  • Diese Strophe verstärkt dann den Eindruck der Reduzierung des Gegenübers.
  • Seltsam ist allenfalls der Schluss, nämlich die Verbindung von „schwer“ und „wundergroß“.

Anmerkungen zu Strophe II,3

  • Hier spricht das lyrische Ich dem Gegenüber Weichheit und Kundschaft von einem Glück zu, aber auch von Sinken und Gefahr.
  • Am Ende dann die Relativierung der Existenz von etwas Drittem (sie), von etwas, was  gewesen ist, aber schnell in Vergessenheit gerät.

Anmerkungen zu Strophe III,1

  • Zu Beginn des dritten Abschnitts des Gedichtes wird die Situation etwas klarer. Offensichtlich gehört das Gegenüber inzwischen einem anderen.
  • Deshalb fragt sich das lyrische Ich, wie dann diese Rosen als Zeichen der Liebe in seine Wohnung kommen.
  • Die letzten Zeilen schreiben dann dem Gegenüber zu, dass es sowohl die Träume als auch die Stunden als etwas sehr Relatives ansieht und sich letztlich nicht darüber im Klaren ist, wie die Dreierbeziehung zu verstehen ist.

Anmerkungen zu Strophe III,2

„Was sich erhebt, das will auch wieder enden,
was sich erlebt – wer weiß denn das genau,
die Kette schließt, man schweigt in diesen Wänden
und dort die Weite, hoch und dunkelblau.“

  • Die Schlussstrophe wird dann sehr philosophisch.
  • Allem, was sich erhebt, das kann in diesem Zusammenhang wohl vor allem die Liebe sein, das will angeblich auch wieder enden.
  • Das ist natürlich eine Formulierung, die man intensiv diskutieren kann, um sie richtig zu verstehen. Vielleicht bedeutet es, dass tatsächlich nach dem Ansturm aller Liebesbeziehung eben auch eine Verflachung folgt, die am Ende zu dem Willen führt, das Ganze zu beenden.
  • Am Ende dann der Kontrast zwischen den vielen Fragen und der Fragwürdigkeit des Lebens einerseits und der Weite des Abendhimmels andererseits.

Zusammenfassung

Insgesamt ein Gedicht

  1. bei dem es dem Leser recht schwer gemacht wird, die Details, aber auch die Zusammenhänge zu verstehen.
  2. Was letztlich deutlich wird, ist, dass hier eine Dreierbeziehung vorliegt und das lyrische Ich, ausgehend von einem Strauß Rosen, sich die Gegenwart, allerdings die verfließende Gegenwart des ehemals geliebten Menschen vorstellt.
  3. Am Ende bleiben aber nur Relativität und Fragen, im Kontrast zu der im Vergleich dazu wohl gegebenen Größe und Klarheit des Abendhimmel – als Zeichen für die Natur, den Kosmos.

Interessante weitere Internet-Seiten zu diesem Gedicht

Eine Interpretation von Stefanie Golisch. die versucht, im Besonderen dieses Gedichtes allgemeine Einsichten über entsprechende Liebesbeziehungen zu finden.
http://anthologie.de/007.htm

Rezension eines Buches, in dem Gottfried Benns Briefe an Ursula Ziebarth präsentiert und kommentiert werden.
Der Rezensent nutzt das für ausführliche Anmerkungen zum anscheinend doch etwas sehr egoistisch geprägten Liebesleben des Dichters.
Wer sich dafür interessiert, bekommt auch auf dieses Gedicht sicher noch einen etwas anderen Blick.
https://literaturkritik.de/id/4390

 Wer noch mehr möchte …