Heinrich Heine, „Im Mai“ – fast schon expressionistisch? (Mat5613)

Worum es hier geht:

Dass Heinrich Heine gerne mit Überraschungen in seinen Gedichten aufwartet, kennt man. Dass er aber auf fast schon expressionistische Weise den eigenen Frust auf die Außenwelt ablädt, das hätte man so nicht unbedingt erwartet.

Was den Vorrang der eigenen Gefühle vor der beschriebenen Realität angeht, siehe das folgende Video:

Videolink
Die Dokumentation dazu gibt es hier:

https://www.schnell-durchblicken2.de/video-expressionismus-ausdruck

Nun zu diesem Gedicht

Heinrich Heine

Im Mai

  • Die Überschrift nennt nur einen Monat, allerdings einen, den man auch als „Wonnemonat“ bezeichnet, weil da der Frühling so richtig abgeht.

Die Freunde, die ich geküßt und geliebt,
Die haben das Schlimmste an mir verübt.
Mein Herze bricht; doch droben die Sonne,
Lachend begrüßt sie den Monat der Wonne.

  • Die erste Strophe präsentiert einen starken Gegensatz:
  • Klage über Freunde, die irgendetwas „Schlimmes“ am lyrischen Ich verübt haben.
  • Darüber „bricht“ sogar das Herz
  • Allerdings doch nicht so ganz, denn es kann sich schnell dem Wonnemonat Mai zuwenden.
  • Leserlenkung: Es ergibt sich der Eindruck einer gewissen Leichtfertigkeit.

Es blüht der Lenz. Im grünen Wald
Der lustige Vogelgesang erschallt,
Und Mädchen und Blumen, sie lächeln jungfräulich –
O schöne Welt, du bist abscheulich!

  • Hier nun eine ausführlichere Beschreibung der Schönheit des Monats.
  • Und dann auch hier wieder ein Gegensatz – allerdings in Gegenrichtung.
  • Jetzt wird die „schöne Welt“ sogar als „abscheulich“ bezeichnet.
  • Leserlenkung: Man ist gespannt, wie dieses Gefühlschaos sich am Ende auflöst.

Da lob ich mir den Orkus fast;
Dort kränkt uns nirgends ein schnöder Kontrast;
Für leidende Herzen ist es viel besser
Dort unten am stygischen Nachtgewässer.

  • In dieser Strophe tröstet sich das lyrische Ich dann mit dem schlimmstmöglichen Fall, nämlich dem Tod – in Gestalt der antiken Unterwelt.
  • Das lyrische Ich behauptet, dass es dort schöner sei für „leidende Herzen.
  • Das entspricht aber nicht der landläufigen Vorstellung von diesem Ort.

Sein melancholisches Geräusch,
Der Stymphaliden ödes Gekreisch,
Der Furien Singsang, so schrill und grell,
Dazwischen des Cerberus Gebell –

  • Dem Orkus, also der Unterwelt, wird hier nur ein „melancholisches Geräusch“ zugeschrieben. Das dürfte wohl am ehesten von denen ausgehen, die dort unten vor sich hinvegetieren – nicht völlig tot, aber auch nicht lebendig.
    Siehe dazu:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Unterwelt_der_griechischen_Mythologie
    „Nach ursprünglicher griechischer Auffassung war der Hades allen Sterblichen gleichermaßen bestimmt: hochrangig oder gering, gut oder schlecht. Sie lebten dort nicht weiter, sondern existierten nur als scheue Schatten.“
  • In der nächsten Zeile kommen dann noch gefährliche Vögel der antiken Sagenwelt hinzu.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Stymphalische_V%C3%B6gel
  • Dann auch noch die Rachgöttinnen
  • Am Ende dann der Höllenhund.
  • Man hat den Eindruck, dass hier einfach ein sehr negativer Eindruck von dieser Unterwelt präsentiert werden soll, der aber im Vergleich zu der Schattenwelt eher auf Effekte aus ist als auf eine wirkliche Schilderung dieser Halblebenssphäre.

Das paßt verdrießlich zu Unglück und Qual –
Im Schattenreich, dem traurigen Tal,
In Proserpinens verdammten Domänen,
Ist alles im Einklang mit unseren Tränen.

  • Hier wird dann ein Zusammenhang zwischen dieser relativen Schreckenswelt und den eigenen „Tränen“ hergestellt.

Hier oben aber, wie grausamlich
Sonne und Rosen stechen sie mich!
Mich höhnt der Himmel, der bläulich und mailich –
O schöne Welt, du bist abscheulich!

  • Am Ende dann eine gewisse Auflösung des Rätsels.
  • Dieses lyrische Ich ist einfach unzufrieden und muss es rauslassen.
  • Die Welt kann noch so schön sein, für dieses lyrische Ich und seine Gefühlseinstellung ist sie nur „abscheulich“.

Dieses Gedicht sollte man nicht zu ernst nehmen. Es dient wohl der Frust-Abfuhr. Früher hätte man einen solchen Menschen wie dieses lyrische Ich „Miesepeter“ genannt, der eben alles negativ sieht und auch schlecht macht.

Interessant ist das Phänomen, dass die Außenwelt eigentlich nur genutzt wird, um die eigenen Gefühle auszudrücken. Das hat etwas mit dem Expressionismus zu tun – auch wenn dort die Bilder noch viel greller ausgemalt werden.

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