Hoffmann von Hoffmanswaldau, „Lust der Welt“ – kreative Flucht aus dem Lesefrust

Das Problem mit Gedichten, bsd. aus der Barockzeit

Eine typische Situation, die viele Schüler kennen. Man sitzt im Deutschunterricht und bekommt ein Gedicht präsentiert, das bei einem die Frage auslöst, was hab ich damit zu tun?

Besonders extrem kann das sein bei Gedichten aus der Barockzeit. 

Dabei geht es nicht so sehr darum, dass dort Krieg und Elend präsentiert werden. So etwas gibt es leider auch in unserer heutigen Zeit.

Es geht eher um die Frage des Umgangs damit.

Und dann zeigen wir mal, wie wir uns aus einem gewissen Frust bei der Lektüre eines Gedichtes heraus gerettet haben.

Zunächst noch eine Vorbemerkung:  Das folgende Gedicht aus der Zeit des Barock ist in der Rechtschreibung an heutige Verhältnisse angepasst worden.

Die Originalversion findet man zum Beispiel hier:

Eine ausführliche Interpretation des Gedichtes ist hier zu finden:

https://textaussage.de/hoffmanswaldau-lust-der-welt

Hoffmann von Hoffmannswaldau
Lust der Welt

1: Was ist die Lust der Welt? Nichts als ein Fastnachtsspiel,
2: So lange Zeit gehofft, in kurzer Zeit verschwindet,
3: Da unsre Masken uns nicht haften, wie man will,
4: Und da der Anschlag nicht den Ausschlag recht empfindet.

5: Es gehet uns wie dem, der Feuerwerke macht,
6: Ein Augenblick verzehrt oft eines Jahres Sorgen;
7: Man schaut, wie unser Fleiß von Kindern wird verlacht,
8: Der Abend tadelt oft den Mittag und den Morgen.

9: Wir fluchen oft auf das, was gestern war getan,
10: Und was man heute küsst, muss morgen Ekel heißen,
11: Die Reimen, die ich jetzt geduldig lesen kann,
12: Die werd ich wohl vielleicht zur Morgenzeit zerreißen.

13: Wir kennen uns, und das, was unser ist, oft nicht,
14: Wir treten unsern Kuss oft selbst mit steifen Füßen,
15: Man merkt, wie unser Wunsch ihm selber widerspricht,
16: Und wie wir Lust und Zeit als Sklaven dienen müssen.

17:Was ist denn diese Lust, und ihre Macht und Pracht?
18: Ein großer Wunderball, mit leichtem Wind erfüllet.
19: Wohl diesem, der sich nur den Himmel dienstbar macht,
20: Weil aus dem Erdenkloß nichts als Verwirrung quillet.

Das Gedicht zeigt:

  1. eine angeblich komplette Scheinexistenz, Nichtswürdigkeit bzw. Vergänglichkeit all dessen, was uns wertvoll vorkommt und uns Freude macht.
  2. Dem wird eine angeblich bessere Wirklichkeit gegenübergestellt, die mit der Orientierung in Richtung wohl des christlichen Himmels verbunden ist.

Kritik des Gedichtes:

  • Es ist sicher notwendig, die besonderen historischen Verhältnisse zu Lebzeiten von Hoffmann von Hoffmannswaldau zu berücksichtigen: 1616-1679.
  • Die sind besonders geprägt durch die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges.
  • Es lohnt sich wohl, dem Gedichte bzw. Lieder von Paul Gerhardt entgegenzusetzen, die zeigen, dass diese Barock-Standardsicht nicht die einzige Möglichkeit der Weltbetrachtung war:
    Auf der Seite:
    https://www.deutschlandfunk.de/lebensstationen-eines-pfarrers-100.html
    heißt es zum Beispiel:
    „In dunkler Zeit war er ein Tröster: 30-jähriger Krieg, Pest, Kindersterblichkeit, all das hat Paul Gerhardt erlebt und mit seinen über 130 Liedern versucht, ein Gegengewicht zu schaffen: ‚Geh aus mein Herz und suche Freud“'“

Kreativer Umgang mit dem Gedicht – Schritt 1: Check der Anknüpfungspunkte

Warum nicht ein Gegengedicht schreiben – hier mal ein Anfang, mit Rhythmus, aber ohne die Reim-Einschränkungen – als Anregung.

Ausgangspunkt ist erst mal die Prüfung, was sich bei dem Gedicht anbietet an alternativen Möglichkeiten aus heutiger Sicht:

Anknüpfungspunkte für eine kreative Auseinandersetzung:
Lust der Welt als positive Ausgangspunkt, dann die Frage:

  • Ist es wirklich nur ein Fastnachtspiel, das immer in kurzer
    Zeit verschwindet,
  • Stimmt es, dass die Masken nicht halten und
  • nie das Ziel erreicht wird, dass man angestrebt hat.
  • Auf jeden Fall ist ein zentraler Punkt die Behauptung, dass es einen ständigen Wechsel hin zum Negativen gibt.
  • Das mag übrigens in der Liebe zum Beispiel so sein, weil dort Gefühle eine große Rolle spielen und die können sich abnutzen.
  • Aber man wird kaum alles verfluchen, was man vorher getan hat. Und das gilt sicherlich auch für die Arbeit
    des Schriftstellers.
  • In der vierten Strophe wird dann das Negative doch etwas reduziert, wenn von „oft“ zweimal die Rede ist. Vorher hat sich das schon in der dritten Strophe angedeutet, ebenso in der zweiten Strophe. Das muss man also nachträglich korrigieren.
  • Sicherlich ist es richtig, was in Zeile 15 steht, dass man widersprüchliche Wünsche hat, aber deswegen
    muss man noch nicht das Gefühl haben, der Lust und der Zeit als Sklave zu dienen
  • In der letzten Strophe wird dann wieder zu den Totalaussagen des Anfangs zurückgegangen. Diese Eigenart
    des Gedichtes erstreckt sich dann auch auf die positive Himmelsvariante, weil dort das Wort „nur“ Ausschließlichkeit signalisiert. Es wird nicht näher ausgeführt, was damit gemeint sein könnte.

Beispiel für ein Gegengedicht

Anders Tivag, ein Kollege von uns, hat das mal probiert 😉

Es ist nicht alles „shit“

(Eine etwas drastische Gegensicht, aber entspricht durchaus der zum Teil brutalen Wirklichkeitssicht des Barock.)

Es ist nicht alles „shit“

„Shit happens“ – diesen Spruch kennt jeder
Genauso wie das, was dahintersteckt.
Es läuft nicht alles gut in diesem Leben.
Natürlich gibt es Krankheit, Leid und sogar Tod.
Jedoch in diesem Spruch steckt eben auch was Positives:
„Geschieht“ das Schlimme, ist es doch nicht alles.
Es kann uns treffen,
Nimmt uns aber nicht das Schöne,
Das es vorher gab und wohl auch wiederkommt,
vor allem, wenn wir nicht nur lesen das,
was Hoffmannswaldau uns erzählt.
Nur eine Sicht und dann noch negativ.
Da freut man sich doch regelrecht,
Wenn es da heißt, das positive Denken
bringe weiter.
Pauschal ist zwar auch dieser Rat,
Jedoch er funktioniert, weil ja die Wirklichkeit
nicht einfach ist, vielmehr ist sie
Ergebnis einer Sicht.
Und wenn wir schon die Wahl haben,
dann soll der Himmel schon beginnen hier.

Jetzt ist doch ein ganzes Gedicht draus geworden, aber die Anregung bleibt 🙂

Was ist in dem Gegengedicht gemacht worden?

  1. Das Gegengedicht greift als zentralen Ansatz die mehr oder weniger durchlaufende Negativbeschreibung des Lebens auf.
  2. Die wird dann konfrontiert und geprüft an einem recht bekannten Spruch, der deutlich macht, dass das Negative zum Leben gehört, es aber in den seltensten Fällen ausschließlich bestimmen wird.
  3. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass es durchaus ein Gutes vorher und Gutes nachher geben kann,
    wenn mal etwas schief läuft.
  4. Außerdem wird noch ein zweiter Grundsatz aufgenommen, nämlich der Hinweis auf die
    Kraft des positiven Denkens.
  5. Zum Schluss hin wird es noch ergänzt durch den Hinweis auf den Perspektivencharakter unserer Beurteilung des Lebens. Es geht also nicht nur um das Denken, sondern auch um das Betrachten.
  6. Was man an den Beispielen sehen kann, dass man am besten einen Aufreger als
    Ausgangspunkt nimmt.
  7. Dann ist es gut, wenn ihm dazu etwas einfällt, in diesem Falle ein Spruch, ein Buchtitel und schließlich noch etwas, was man durchaus im Deutschunterricht kennen gelernt haben könnte, dass nämlich unsere Sicht der Wirklichkeit die Wirklichkeit nicht exakt wiedergeben muss und wir damit auch entsprechende Spielräume haben

Weiterführende Hinweise