Justinus Kerner, „Wanderung“ – ein Gedicht mit viel Spielraum

Justinus Kerner

Wanderung

 Auswertung der Überschrift

  • Der Titel ist kurz und bleibt allgemein.
  • Eine erste Vermutung könnte sein, dass es sich
    • entweder um eine spezielle Wanderung handelt
    • oder aber um irgendetwas, das allgemein als Wanderung verstanden und vorgestellt wird.

Strophe 1

Wohlauf und froh gewandert
Ins unbekannte Land,
Zerrissen, ach! zerrissen
Ist manches teure Band.

  • Das Gedicht beginnt dann mit einem Aufruf, der vor allen Dingen die positiven Umstände und guten Gefühle hervorhebt, die mit einer anstehenden Wanderung verbunden sind oder sein können.
  • Ein erster näherer Hinweis zum Titel ergibt sich durch das „unbekannte Land“, in das es offensichtlich gehen soll.
  • Die letzten beiden Zeilen blicken  klagend zurück. Offensichtlich hat es positive nein, sogar sehr kostbare Beziehungen gegeben, deren Zerstörung bedauert wird.

Strophe 2

Ihr heimatlichen Kreuze,
Wo ich oft betend lag,
Ihr Bäume, ach! ihr Hügel,
O blickt mir segnend nach.

  • Die zweite Strophe erweitert dann den Blick auf das, was das lyrische ich offensichtlich verlassen muss, um eine religiöse Dimension.
  • Es folgt dann ein typisch romantischer Blick auf Bäume und Hügel, die offensichtlich genauso segnen können wie möglicherweise die Kreuze.
  • Man kann vermuten, dass weniger die Religion als die Heimat eine Rolle spielt.

Strophe 3

Noch schläft die weite Erde,
Kein Vogel weckt den Hain
Doch bin ich nicht verlassen,
Doch bin ich nicht allein:

  • Die ersten beiden Zeilen der dritten Strophe machen dann die Situation am frühen Morgen deutlich, deren Einsamkeit ein Problem sein könnte. Das aber weist das lyrische Ich weit von sich, vielleicht sogar etwas zu weit, um ganz glaubwürdig zu sein.
  • Damit wird eine Zielspannung aufgebaut auf das, was Ersatz für die verloren gegangenen Bindungen sein könnte.

Strophe 4

Denn, ach! auf meinem Herzen
Trag‘ ich ihr teures Pfand,
Ich fühl’s, und Erd‘ und Himmel
Sind innig mir verwandt.

  • Zu Beginn der letzten Strophe wird eine Kostbarkeit erwähnt als „teures Pfand“, das auf die Wanderung mitgenommen wird.
  • Leider bleibt unklar, von wem das Pfand stammt und welche Bedeutung es genau hat. Rein grammatisch bezieht es sich zunächst einmal auf die Erde. Möglich wäre allerdings auch, dass es sich um einen versteckten Hinweis auf ein weibliches Wesen handeln könnte. Das würde das Gedicht zu einem Liebesgedicht machen.
  • Die letzten beiden Zeilen machen dann aber deutlich, dass dieses Gedicht sein Pfand anscheinend auf die Natur bezieht („Erd‘ und Himmel“).
  • Und wenn man dann den Titel noch mal wieder ei bezieht, merkt man natürlich, dass dieses Gedicht typisch romantisch ist. Es lebt von der Liebe zum Unterwegssein und der Weite des durchwanderten Raums.
  • Dann bleibt nur die Frage offen, was es mit den zerrissenen Beziehungen auf sich hat, von denen am Anfang die Rede war.
  • Aber wahrscheinlich will das lyrische Ich sich davon gerade befreien, lässt das Zerrissene also bereits in diesem Gedicht hinter sich zurück und damit für den Leser ungeklärt. Ihm bleibt es überlassen, diese Lücke individuell zu füllen.
  • Und da bietet sich natürlich am ehesten eine Liebesbeziehung an, die gerade in die Brüche gegangen ist.
  • Und die Leser, die gerade glücklich in ihrer Beziehung leben, müssen sich andere Gründe für eine Wanderung ausdenken 😉

Insgesamt

  • präsentiert das Gedicht von Kerner eine Abschiedssituation mit einem Verlust, der beklagt wird.
  • Allerdings wird dem etwas entgegen gesetzt, was mit Erinnerung und Verpflichtung zu tun hat.
  • Um was es sich handelt, bleibt offen. Damit gehört dieses Gedicht zu denen, die hohe Anforderungen an den Leser stellen im Spannungsfeld zwischen dem, was das Gedicht aussagen könnte, und dem, was man selbst hinein legt, um ihm Sinn zu geben.

Kritik aus Lesersicht:

Man kann es natürlich auch kritischer formulieren und den Autor fragen: Was soll das, Kerner, warum haust du hier etwas raus und lässt uns ziemlich ratlos zurück. Denk einfach dran, dass deine Gedichte in der Zukunft auch in der Schule behandelt werden können – und da sind wir Schüler immer stark verunsichert, wenn wir nicht schnell erkennen, was uns da eigentlich mitgeteilt werden soll. Und wenn du das lieber für dich behalten möchtest, dann sei auch konsequent und lass es lieber. Sonst taucht der Verdacht auf, dass der Dichter sich mit geheimnisvollen Andeutungen nur interessant machen will.

Vergleichsmöglichkeit

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Weiterführende Hinweise