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Worum es uns hier geht …
Im Folgenden wollen wir allen helfen, die sich mit einer Kafka-Geschichte beschäftigen wollen oder müssen.
Wir arbeiten dabei mit drei Ebenen:
Ebene 1 = Kafka selbst
Ebene 2 = die Sicht eines Nicht-Experten (NE)
Ebene 3 = Was man sieht, wenn man sich mit Kafka schon auskennt. (KE)
Es wäre wünschenswert, wenn im Deutschunterricht zwischen diesen beiden Ebenen NE und KE häufiger unterschieden würde. Dann erschrecken sich die NE-ler nämlich nicht so sehr und haben vielleicht (noch) mehr Freude an Literatur.
Vorstellung der Geschichte auf drei Ebenen
Franz Kafka
Der Aufbruch
- NE: Die Überschrift macht nur deutlich, dass hier jemand „aufbricht“, also den aktuellen Ort verlässt und das auch ziemlich energisch tut.
- KE: Eine für Kafkas Geschichten eher ungewöhnliche Situation, weil sie mit Aktivität verbunden ist.
- Ich befahl mein Pferd aus dem Stall zu holen.
- NE: Ich-Erzähler, direkter Einstieg in eine Situation, kurzgeschichtenähnlich.
- KE: „Aufbruch“ ist eins der Motive, die man bei Kafka häufig findet, weil damit ein Ausbruch aus der Normalität verbunden ist.
- Der Diener verstand mich nicht.
- NE: Seltsame Situation, entspricht nicht der Normalität.
- KE: Wer sich bei Kafka ein bisschen auskennt, weiß, dass das eine häufig vorkommende Situation ist. Das Normale funktioniert nicht.
- Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es.
- In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeutete. Er wusste nichts und hatte nichts gehört.
- NE: Hinzukommt ein Signal von außen, was zum Aufbruch passt. Auch hier wendet sich der ich Erzähler zunächst an seinen Diener.
- NE: Interessant ist hier nicht so sehr, dass er nichts weiß, soll dass er nichts gehört hat. Das löst natürlich Fragen aus. Gab es überhaupt ein Signal, hat der ich Erzähler möglicherweise nur ein inneres Signal gehört.
- KE: Kafkas Geschichten versteht man häufig besser, wenn man von einem inneren Geschehen ausgeht.
- Beim Tore hielt er mich auf und fragte: »Wohin reitet der Herr?« »Ich weiß es nicht«, sagte ich, »nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.«
- NE: Hier wird der Diener erstmals aktiv, aber wichtig ist eigentlich nur das Ausmaß des inneren Drangs des Ich-Erzählers
- NE: Interessant ist hier, dass das verschwinden entscheidend ist. Das Ziel wird hier nur angedeutet und nicht benannt.
- KE: Bei Kafka ist es häufig so, dass Dinge unklar bleiben. Unsicherheit ist ganz normal in seinen Geschichten. Etwas ungewöhnlich ist die große Aktivität dieses Ich-Erzählers.
- »Du kennst also dein Ziel«, fragte er. »Ja«, antwortete ich, »ich sagte es doch: ›Weg-von-hier‹ – das ist mein Ziel.«
- »Du hast keinen Essvorrat mit«, sagte er. »Ich brauche keinen«, sagte ich, »die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Essvorrat kann mich retten.
- Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.«
- NE: Der Ich-Erzähler widerspricht sich etwas oder versteht das Ziel eben im Sinne von „Der Weg ist das Ziel“.
- NE: Interessant ist, dass der Diener jetzt doch plötzlich Anteilnahme zeigt, vielleicht ist es aber auch nur Verwunderung.
- KE: Typisch für Kafka ist die Reaktion des Ich-Erzählers: Er verhält sich völlig unnormal, indem er etwas Richtiges (er verhungert, wenn er auf der langen Reise nichts bekommt) mit etwas Falschem verbindet (Deshalb braucht er gar nichts mitzunehmen. Denn wenn es erst sieben Tage ohne Nahrungsmittel abläuft, hilft es ihm wenig, wenn er am 8. jemanden trifft.)
- KE: Das ist eine typische Provokation, wie man sie bei Kafka häufig findet.
- KE: Am besten versteht man sie, wenn man diese Geschichte als Parabel versteht, also als eine Geschichte, die auf etwas anderes hindeutet, es erklärt. Kafkas Geschichten versteht man am besten, wenn man sie als Bildgeschichten für die Situation des Menschen in der Welt versteht.
- KE: Diese Geschichte zeigt dann ausnahmsweise mal etwas Positives, nämlich die Aktivität. Die typische Gegengeschichte ist „Gib’s auf“ zum Beispiel.
- KE: Die Geschichte zeigt auch, was dieser Ich-Erzähler als Stellvertreter für den Menschen allgemein braucht: nämlich ein Ziel, auch wenn das mit dem Weg identisch ist – und er braucht und erhofft sich Unterstützung, die ihm Nahrung gibt, evtl. auch innere Nahrung, also so etwas wie Sinn.
Nachtrag des KE:
Man kann diese Geschichte gut mit „Der plötzliche Spaziergang“ vergleichen. Dort fast unendlich wirkendes Zögern – auch typisch für Kafka-Geschichten – dann geht es plötzlich los, der Ich-Erzähler fühlt Kraft ohne Ende und wünscht sich nur noch, bei einem Freund nachzuschauen, wie es ihm geht. Diese einvernehmlich-friedliche, fast glückliche Atmosphäre ist absolut ungewöhnlich für Kafka.
https://textaussage.de/muendliche-abiturpruefung-kafka-spaziergang-einordnung-grundmuster-gesamtwerk
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