Worum es hier geht:
Stellen wir uns vor:
Eine Lehrkraft im Fach Deutsch stellt hohe Anforderungen an ihre Schülis und will sie dazu bringen, auch die folgende sehr allgemeine Klausuraufgabe zu bewältigen.
Aufgabenstellung:
Analysieren Sie die Erzählung „Der Schlag ans Hoftor“ und stellen Sie in der anschließenden Interpretation Überlegungen zu ihrem Sinnpotenzial an.
In einer solchen und vergleichbaren Situationen tut man gut daran, entweder eine von der Lehrkraft gestellte Probe-Klausuraufgabe zu bearbeiten oder aber probeweise mal selbst die Schritte festzulegen, die zum Ziel führen.
Wichtig ist, dass die Lehrkraft rechtzeitig Gelegenheit bekommt, auf Probleme und Optimierungsmöglichkeiten bei den Probelösungen zu vermeiden.
Wir präsentieren hier ein Beispiel:
Einleitung:
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine kurze Erzählung Franz Kafkas mit der Überschrift ,, Der Schlag ans Hoftor” aus dem Jahre 1919. Man kann den Text als Parabel verstehen, die deutlich machen soll, wie aus einem Nichts von Vorfall die maximale Vernichtung einer Person werden kann.
Kurze Beschreibung des Inhalts
In der Geschichte geht es um einen Ich-Erzähler, dessen Schwester irgendetwas mit einem Hoftor gemacht hat, was am Ende seine Verhaftung auslöst.
Die wird dadurch vorbereitet, dass andere Leute schon von einem Vergehen oder gar Verbrechen ausgehen, das dann tatsächlich auch die Verfolgung durch eine Reitertruppe auslöst.
Die Schwester darf erstaunlicherweise gehen, dem Ich-Erzähler schwindet allerdings jede Hoffnung, nachdem der angekommene Richter ihm schon sein Mitleid ausgedrückt hat.
Analyse der Schritte hin zur Katastrophe
- Die unnormalen Ereignisse der Parabel beginnen mit der Unsicherheit des Bruders gegenüber dem, was seine Schwester mit dem Hoftor gemacht hat.
Er weiß nämlich nicht, „schlug sie aus Mutwillen ans Tor oder aus Zerstreutheit oder drohte sie nur mit der Faust und schlug gar nicht.“ - Die darauf folgende seltsame Warnung der Dorfbewohner dem Bruder gegenüber weist er noch selbstsicher zurück:
„Ich war sehr ruhig und beruhigte auch meine Schwester. Sie hatte den Schlag wahrscheinlich gar nicht getan, und hätte sie ihn getan, so wird deswegen nirgends auf der Welt ein Beweis geführt.“ - Er muss dann allerdings zur Kenntnis nehmen, dass am Horizont tatsächlich eine Verfolgertruppe auftaucht, die über „Rauchwolke“ und „Feuer“ Bedrohung signalisiert..
- Der Ich-Erzähler schickt seine Schwester weg und wird dann damit konfrontiert, dass die Verfolger sich gar nicht für sie, sondern viel mehr für ihn selbst interessieren.
- Er glaubt, sich als „Städter“ noch „unter Ehren“ aus der Situation befreien zu können, die Bemerkung des Richters „Dieser Mann tut mir leid.“nimmt ihm allerdings jede Hoffnung und lässt mit Blick auf die Folterkammer den Leser Böses ahnen.
- Die Erzählung schließt mit der Schlussperspektive des Erzählers, der nicht glaubt, noch einmal die Luft der Freiheit atmen zu können und damit jede Hoffnung aufgibt.
Analyse der Figurenkonstellation
Die zentrale Figur der Parabel ist der Ich-Erzähler, an dem sich ein seltsames Schicksal vollzieht. Seine Funktion besteht vor allem darin, die fortlaufende Bewusstseinsentwicklung deutlich zu machen, von gelassenem Unverständnis dessen, was ihm angeblich droht, über ein letztes Aufbäumen seines Selbstbewusstseins als Städter gegenüber der Landbevölkerung, bis hin zur Schicksalsergebenheit am Schluss.
Die Schwester hat eigentlich nur die Funktion, die Absurdität des Geschehens noch zu verstärken, indem das mit ihr verbundene Ausgangsproblem einfach an ihren Bruder weitergegeben wird. Dementsprechend verschwindet sie auch konsequenterweise im Mittelteil aus der Geschichte.
Neben dem Geschwisterpaar gibt es noch die Dorfbewohner, die als erstes eine Warnung aussprechen und die Zukunft voraussagen. Dazu kommt der Richter, der durch sein Hinweis auf das Mitleid die negative Perspektive noch verstärkt.
Der Gehilfe und die anderen Reiter sind reine Staffage.
Analyse der Raumsituation
Am Anfang steht die Weite des Raums, was der Freiheit des Ich-Erzählers entspricht.
Mit wachsender Bedrohungslage wird es für ihn immer enger, bis er schließlich einen engen Raum mit Folterausstattung als Schlussort seines Lebens vor sich sieht.
Herausarbeitung der Aussagen der Erzählung
Die Erzählung zeigt ein absurd wirkendes Missverhältnis von fraglicher Untat und maximaler Vernichtungsreaktion einer unbekannten Institution, die über Verfolger, Kerker und Folterinstrumente verfügt.
Zudem zeigt sie auf Seiten des Ich-Erzählers eine Reaktion zwischen Unverständnis und Überheblichkeit, was schließlich in ein fatalistisches Akzeptieren des Schicksals mündet.
Analye der sprachlichen und rhetorischen Mitteln und ihrer Funktion
- Typisch für Kafka ist die Schilderung von Unklarheit in der Form von Aneinanderreihung von Möglichkeiten, wie sie sich hier zeigt:
„Ich weiß nicht, schlug sie aus Mutwillen ans Tor oder aus Zerstreutheit oder drohte sie nur mit der Faust und schlug gar nicht.“
Damit wird die schwache bis gar nicht vorhandene Schuld deutlich, die eigentlich eine genaue Untersuchung und in diesem Falle einen Freispruch erfordert. - Eine ähnliche Reihung zeigt sich bei der Beschreibung des Verhaltens der Dorfbewohner. Dazu kommt das Mittel der Steigerung.
„kamen Leute hervor und winkten uns, freundschaftlich oder warnend, selbst erschrocken, gebückt vor Schrecken.“ - Ein rhetorisches Mittel ist der Gegensatz zwischen dem berechtigten Hinweis auf ein fehlendes Vergehen durch den Ich-Erzähler und seine anschließende Einbeziehung in die Verfolgung.
- Gut gewählt ist sicher der Vergleich mit einer Rauchwolke (Anzeichen einer möglichen Katastrophe), bei der man auf die Flamme (eigentliche Katastrophe) wartet.
- Ein grundsätzliches, über reine Rhetorik hinausgehendes Mittel ist die Wahl einer mittelalterlich wirkenden Szenerie.
- In einem schon fast ironisch wirkenden Missverhältnis steht die Begründung für die Entfernung der Schwester im Kontrast zu dem „langen Weg nach Hause“.
- Ein weiterer Gegensatz zwischen der Ängstlichkeit der gar nicht betroffenen Zuschauer und der Gleichgültigkeit der Verfolger verschärft das Gefühl eines kommenden Unheils, bei dem man Verständnis und Mitgefühl wohl nicht erwarten kann.
- Umso zynischer ist die Wendung des Richters, die eine potenzielle Vernichtungsprophezeiung mit „leid tun“ verbindet.
- Wieder ein guter literarischer Einfall ist die Beschreibung der Bewegung des Ich-Erzählers in Richtung Folterkammer, wobei man den Eindruck einer Übersprunghandlung hat, was die Körpersprache angeht.:
„Langsam, den Kopf wiegend, an den Hosenträgern rückend, setzte ich mich unter den scharfen Blicken der Herren in Gang.“ - Zu den Kontrasten, die diese Erzählung bestimmen, gehört das schon erwähnte letzte Aufbäumen der „Städter“-Überheblichkeit im Vergleich zu dem Ausspruch des Richters. Im Zuge einer möglichen Leserlenkung kann man sich vorstellen, wie dieser Mensch regelrecht zusammensackt.
- Den Schluss der Erzählung bildet wieder eine Aneinanderreihung von Beschreibungselementen, die Böses ahnen lassen.
Insgesamt sind es vor allem Aneinanderreihungen und Kontraste sowie die gegenläufige Bewegung von sich vergrößernder Schuld und sich verringerndem Lebensraum des Ich-Erzählers. Dazu kommt der Eindruck des Absurden, was die Gesamthandlung angeht.
Interpretation des Sinnpotenzials der Erzählung
- Kafkas Erzählungen wirken auf den ersten Blick seltsam, manchmal wie hier sogar mehr oder weniger absurd.
- Am besten stellt man sich vor, dass es schriftstellerisch kontrollierte Albträume sind, die ein Geschehen präsentieren, das man am besten als den Bildteil einer Parabel versteht.
- Im Unterschied zur normalen Parabel, wie sie sich etwa in Lessings „Nathan der Weise“ in Gestalt der sogenannten Ringparabel findet, wird bei Kafka keine Sachseite präsentiert.
- Man kann sie sich aber selbst als Leser herstellen, indem man das Geschehen als ein Bild für die Situation des Menschen in der Welt versteht.
- In diesem Fall würde das bedeuten, dass der Mensch allgemein (nicht unbedingt konkret jeder Mensch in jeder Situation) auch schuldlos zum Opfer einer höheren Macht wird. Das zeigt sich in einer Bestrafung, die mit normalen Rechtsgrundsätzen nichts zu tun hat.
- Es handelt sich in gewisser Weise um eine existenzielle Situation des Ausgesetztseins, aus dem es kein Entkommen gibt.
- Dem Immer-größer-Werden einer nicht nachvollziehbaren Schuld und Bedrohungssituation entspricht das Kleiner-Werden des Freiheitsraums.
- Damit gehört diese Parabel zu den besonders extremen Vernichtungsfantasien, von denen viele Erzählungen Kafkas geprägt sind, während das Schicksal zum Beispiel in „Heimkehr“ mit Unsicherheit und dem Ausbleiben von Geborgenheit begnügt.
- Die Parabel „Der Nachbar“ nimmt eine Zwischenstellung zwischen „Heimkehr“ und „Schlag ans Hoftor“ ein.
- Wenn man Glück hat, trifft man bei Kafka auch wie bei „Eine kaiserliche Botschaft“ auf eine Art romantischen Rückzugsraum, bei dem man sich den Sinn des Lebens und das Geborgensein in größeren Zusammenhängen zumindest erträumen kann. Und „Auf der Galerie“ kann man wenigstens ahnungsvoll weinen, ohne die brutale Realität wirklich wahrzunehmen.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Kafka
https://textaussage.de/kafka-themenseite
— - Die wichtigsten Parabeln Kafkas
https://textaussage.de/kafka-die-wichtigsten-parabeln
— - Parabel-Finder: So findet man die passende Erzählung von Kafka
https://textaussage.de/ta-finder-die-richtige-parabel-von-franz-kafka-finden-nach-themen-geordnet
— - Parabeln
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—
- Klausuren – Sammlung
https://textaussage.de/sammlung-klausuren
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
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