Worum es hier geht:
Präsentiert wird eine Kurzgeschichte, die sich scheinbar nur mit Berufschancen beschäftigt, dann aber mitten ins Herz trifft und einen Vater (und hoffentlich auch uns alle) zum Nachdenken bringt.
Zunächst ein Screenshot:

Dann die Druckvorlage:
Mat5799-det Kimia Tivag Die – einmalige – Tochter
Und hier der Text
Kimia Tivag
Die Tochter
Als sie an diesem Nachmittag nach Hause kam, hatte sie ein Leuchten in den Augen. Die Mutter sah es sofort, der Vater ebenfalls, auch wenn er nichts sagte.
„Na, was ist los?“, fragte die Mutter, während sie die Jacke ablegte.
„Ach, nichts“, sagte die Tochter und grinste, „ich war nur in der Schreibwerkstatt.“
Die Mutter, selbst Lektorin, horchte auf. „Und?“
„Ich habe meinen Text vorgelesen – den, den ich euch gestern gezeigt habe. Frau Martens war begeistert. Sie meinte, ich solle mir überlegen, ob ich nicht später in die Richtung gehen will – Schreiben, Literatur, irgendwas mit Text.“
Sie lachte leise, als könne sie selbst kaum glauben, was sie da sagte.
Der Vater, der gerade den Deckel der Kaffeekanne anhob, sah sie von der Seite an.
„Etwas mit Text?“, wiederholte er, halb spöttisch, halb nachdenklich. „Was glaubst du denn, wie viele Leute in Zukunft noch davon leben können, wenn die künstliche Intelligenz das alles übernimmt?“
Die Mutter warf ihm einen Blick zu. „Ach, Harald, fang jetzt nicht wieder damit an. Gute Bücher wird es immer geben. Und auch Leute, die sie betreuen, korrigieren, veröffentlichen. Das ist schließlich mein Beruf.“
„War“, sagte der Vater ruhig, „oder besser: ist es noch – bis die nächste KI-Generation draußen ist. Die kann dann nicht nur korrekt lektorieren, sondern auch den Stil des Autors übernehmen. Bald schreibt die eine Maschine den Roman, die andere überarbeitet ihn, und eine dritte testet, wie gut er ankommt.“
„Unsinn“, entgegnete sie, „die Maschine lebt aus ihrer Berechnung. Sie produziert nur, was wahrscheinlich gefällt – Masse, keine Stimme.“
„Aber sie kann kreativ sein“, erwiderte Harald. „Sie experimentiert mit Sprache, sie verknüpft Dinge, auf die Menschen gar nicht kommen.“
„Weil sie nichts erlebt“, sagte die Mutter leise. „Sie kann nicht an einem regnerischen Tag im Bus sitzen und plötzlich eine Szene sehen, die sie nicht mehr loslässt. Sie kennt keine Müdigkeit, kein Staunen, kein Gesicht, das ihr nachgeht.“
Ein Moment Stille. Nur der Löffel klirrte gegen die Tasse.
Die Tochter hatte bisher geschwiegen. Sie sah von einem zum anderen, dann stand sie auf, nahm ihre Tasche und ging zur Tür.
„Ich bin dann oben“, sagte sie.
Bevor sie hinausging, blieb sie kurz stehen, wandte sich zum Vater und fragte ruhig:
„Hast du dir eigentlich auch eine Tochter gewünscht, die so ist wie die meisten anderen?“
Dann schloss sie die Tür..
aus: Durchblicke bis auf Widerruf – Online-Zeitschrift für Schule und Studium – 10/2025
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