Kunert, Günter, „Zirkuswesen“ – eine nur scheinbar einfache Politik-Parabel (Mat1137)

Zum Inhalt der Geschichte

  1. In der Geschichte geht es um einen Zirkusdompteur, der zu Beginn einer Veranstaltung seinen schönsten Königstiger nicht nur beherrscht, sondern – in Verkehrung der üblichen Verhältnisse – das Tier totbeißt, statt von ihm bedroht zu werden.
  2. Während der Dompteur als lebendige Drohung durch die Stadt läuft, sorgt er überall dafür, dass die Menschen auf sein Kommando hin irgendwelche Figuren machen
  3. Was den Menschen noch bleibt, ist das Warten auf das erlösende Ende der erzwungenen Vorstellung, die sie geben müssen.
  4. Das Ganze endet damit, dass der Dompteur wie ein wildes Tier eingefangen wird, dann aber erstaunlicherweise zum Bürgermeister gemacht wird.
  5. Er, der für die größte Unordnung gesorgt hat, sorgt jetzt für ein erstaunliches Maß an Ordnung.
  6. Die Geschichte endet damit, dass außerdem „ein ganz unglaublicher Aufschwung des Zirkuswesens“ beginnt.
    • [In einer Inhaltsangabe soll man eigentlich nicht wörtlich zitieren – aber das gilt nur für die Schule – in der Wirklichkeit kann man als Autor machen, was man für richtig hält und was der Sache angemessen ist. Unr wir meinen, dass man die Handlung am Schluss nicht besser zusammenfassen kann, als es der Autor den Erzähler hat tun lassen ;-)]

 Was kann man mit dieser Geschichte anfangen?

  1. Zunächst einmal ist es eine schöne Idee, die realen Geschehnisse in einem Zirkus auf den Kopf zu stellen: Nicht der Königstiger beißt den Dompteur in einem unbewachten Augenblick tot, sonder es ist umgekehrt.
  2. Das ist typisch für Literatur: Man denkt sich mal etwas aus, was es so nicht gibt.
  3. Im weiteren Verlauf wird dann deutlich, worauf die Geschichte hinauslaufen soll: Dieser Dompteur findet neue Objekte seiner Kunst – und hierbei sogar die ganze Bevölkerung.
  4. Während man noch auf weitere Steigerungen der Geschichte wartet und das Schlimmste befürchtet, kommt die Auflösung: Dieser Mann hat anscheinend das Zeug zum Bürgermeister, also zum politischen Oberhaupt des Ortes.
  5. Jetzt könnte man denken, dass das ein letztes Ergebnis seines gewalttätigen Auftretens ist.
  6. Das kann aber nicht sein, denn er wird ja „eingefangen“ und von den Bürgern zum Bürgermeister gemacht – er übernimmt nicht einfach von sich aus den Posten.
  7. Wofür der Mann dann sorgt, ist „Ruhe und Ordnung“. Das ist nicht ganz klar, worauf sich das bezieht: Nur auf die von dem Dompteur erzeugte Unordnung – oder gab es auch vorher schon etwas.
  8. Entscheidend für die Aussage der Geschichte ist dann der Schluss: Das „Zirkuswesen“ kommt in volle Fahrt. Gemeint ist wohl, dass die Bürger die neue Rolle, die sie einnehmen mussten, jetzt freiwillig weiterspielen – denn sie haben diesen Mann ja nichts ins Gefängnis geschickt, sondern an die Spitze gestellt.
  9. Offensichtlich soll die Geschichte aussagen:
    1. dass es Situationen gibt, in denen jemand aus seiner Rolle ausbricht und dann seine Fähigkeiten auf alle Menschen ausdehnt,
    2. dass sich dabei zwar „Angst und Schrecken“ verbreiten,
    3. dass die Menschen ihre vom Dompteur aufgezwungene Rolle aber anscheinend auch genießen – denn sie verschwinden „knurrend“ und „murrend“ in ihrem heimischen Umfeld. Das heißt: Sie behalten die Rolle des Tieres bei und murren sogar, dass sie jetzt entlassen sind.
  10.  Letztlich wird also in dieser Beispielgeschichte gezeigt, was geschieht, wenn jemand sich plötzlich Macht anmaßt und diese auch geschickt ausübt. Die Menschen wehren sich nicht, solange „Ruhe und Ordnung“ herrschen und ihnen gesagt wird, wo es lang geht.
  11. Das Besondere dieser Geschichte ist, dass sie als Parabel, also als Gleichniserzählung beginnt, aber doch schon die Sachseite, also das, worauf sich alles bezieht, ziemlich deutlich werden lässt. Die eigentliche Übertragung geschieht wohl dadurch, dass man dieses als lokal erzählte Ereignis auf die ganze Menschheit überträgt – oder zumindest auf alle Menschen, die die Voraussetzungen mitbringen, die hier zum Erfolg dieses Dompteurs geführt haben.
  12. Dazu passt dann auch der Titel der Geschichte sehr gut – der eben zeigen soll, dass es hier um etwas geht, was es überall gibt – nicht nur in der Variante mit Tieren.

Vergleich mit der Welt Kafkas

Wer dazu nähere Informationen möchte, findet sie hier:
https://textaussage.de/schnell-durchblicken-bei-guenter-kunerts-geschichte-zirkuswesen-und-querbeziehungen-zur-welt-kafkas