Das Problem der Dialektik der Aufklärung und die Frage nach ihren Perspektiven (Mat131)

Worum es hier geht:

Wer eine schnelle, kompakte und zudem leicht verständliche Vorstellung eines historischen oder politischen Phänomens möchte, ist hier richtig.

In diesem Falle geht es um die sog. „Dialektik der Aufklärung“, also die Frage, warum die ganze Aufklärung die Hoffnungen, die in sie gesetzt wurden, in weiten Teilen nicht erfüllt hat.

Es gab auch wieder Kriege – und sogar Völkermorde – und heute scheint die Welt erst richtig „aus den Fugen“ zu sein.

Im Detail: Dialektik der Aufklärung

Dieser erste Teil ist vor einigen  Jahren entstanden. Wenn also hier von der Ukraine die Rede ist, bezieht sich das auf die Situation etwa des Jahres 2016 und nicht auf den aktuell im Jahre 2024 noch tobenden Krieg.

Mit der Abkürzung Fpzk ist eine Fünf-Punkte-Zusammenfassung im Kontext gemeint.

Das heißt, ein wichtiges Thema wird leicht verständlich und übersichtlich auf den Punkt gebracht – und zugleich in möglichen Zusammenhängen beleuchtet.

  1. Einstieg: Der Traum (von) der Aufklärung

Jeder schwärmt heutzutage von der Aufklärung und ihrer befreienden Wirkung auf Europa.

  • Man fing an, den Menschen als ein Wesen zu sehen, was von Natur aus Rechte hatte. Dazu gehörte auch, mehr oder weniger an der Regierung des eigenen Landes beteiligt zu werden.
  • Natürlich war den Aufklärern klar, dass dafür eine entsprechende Einstellung der Menschen notwendig war – auch Kenntnisse und Fertigkeiten mussten dazu kommen, um mit den Rechten richtig umzugehen. Deshalb gab es die Idee der „Erziehung des Menschengeschlechts“, wie es der Philosoph und Dichter Lessing formulierte.
  • Am Ende stand der Optimismus, dass alle nett zueinander sein würden und sich Konflikte einvernehmlich würden lösen lassen – vor allem durch Nachdenken und intelligenten Gedankenaustausch. So jedenfalls stellt Lessing es in seinem Drama „Nathan der Weise“ dar, in dem sich alle drei großen monotheistischen, also an einen Gott glaubenden Religionen zur Zeit der Kreuzzüge versöhnen.
  1. Problem: Der Traum der Aufklärung ist ausgeträumt

  • Bedauerlicherweise wurde es dann erst mal für mehr als 150 Jahre nichts mit dem großen friedlichen Ausgleich: Die Französische Revolution mündete in die napoleonischen Kriege mit Hunderttausenden von Toten, es folgte zwar eine lange Friedenszeit, die aber in die noch größere Katastrophe des Ersten Weltkrieges mündete.
  • Dieser wiederum brachte etwas noch Schlimmeres hervor, nämlich Diktaturen mit Ideologien, in denen der Einzelmensch nicht zählte. Zu einem noch schlimmeren Weltkrieg kamen Massenmorde mit Millionen Toten.
  1. Erklärung der Philosophen der „Frankfurter Schule“

  • Mit diesem Widerspruch zwischen den Hoffnungen der Aufklärer und den dann folgenden Enttäuschungen setzten sich bekannte Philosophen wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno auseinander. Sie kritisieren den zentralen Begriff der Vernunft, auf den die Aufklärer alle Hoffnung gesetzt hatten.
  • Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass Vernunft von Anfang an in der Geschichte der Menschheit eine Verbindung mit Macht und Durchsetzungsbereitschaft verbunden war. Sie sprechen von „instrumenteller Vernunft“, also einer, die Ziele mit allen Mitteln verfolgt und dabei keine Rücksicht nimmt auf die Natur – und im Konfliktfall auch auf die Naturrechte. So habe es eine neue Unvernunft in der scheinbaren Herrschaft der Vernunft gegeben, eine „Verschlingung von Mythos und Aufklärung“, wie der Philosoph Habermas, der sich ebenfalls mit diesen Fragen beschäftigt hat, es genannt hat. Damit verbunden war und ist ein Prozess der Selbstzerstörung zuerst des Denkens und dann der Menschheit.
  1. „Selbstbesinnung“ als Lösung?

  • Als Lösung schlagen die Philosophen der gesellschaftskritischen sogenannten „Frankfurter Schule“ vor, dass die Aufklärung Kritik an sich selbst üben muss, ihre Grenzen und Gefährdungen erkennen muss, um ihnen wiederum begegnen zu können.
  • Dem liegt also ein typischer Ablauf im Sinne der Dialektik zugrunde: Auf die These „Die Menschen werden gut, wenn sie ihren Verstand gebrauchen!“ folgt die Gegenthese „Auch aufgeklärte Menschen werden deshalb noch nicht gut.“ Dies mündet dann in die Synthese: „Menschen sollen ihren Verstand gebrauchen, sich aber der Tatsache bewusst sein, dass er auf Herrschaft, Macht und Interessendurchsetzung angelegt ist.
  • Dann kann es eine Art „aufgeklärte Aufklärung“ geben, die doch wieder die Menschen und die Welt besser werden lässt.
  1. Frage des Menschenbildes

  • Nun hat sich leider gezeigt, dass nach den Forschungen und Thesen der Erfinder der Idee der „Dialektik der Aufklärung“ die Welt keineswegs besser geworden ist. Zwar gibt es für einen Großteil der Menschheit einen unglaublichen Wohlstand – und konnte man 1990 kurzzeitig die Hoffnung haben, dass die Geschichte der Menschheit als Kampfgeschichte zu Ende gehen würde und man eine endgültige „Friedensdividende“ nutzen würde können.
  • Die Wirklichkeit war aber eine andere: Auf dem Balkan kam es auf dem Boden des zerfallenden Jugoslawiens zu neuen Kriegen mit völkermordähnlichen Exzessen – man denke nur an den Massenmord an Muslimen, die sich in die „Schutzzone“ Srebenica geflüchtet hatten. Die Verantwortlichen waren zum Teil hochgebildet und kannten sicher die Aufklärung genauso wie ihre Dialektik – und dennoch setzten sie alle Mittel ein, um ihre Interessen und die ihres Volkes durchzusetzen. Im afrikanischen Ruanda fielen ganz plötzlich zwei Bevölkerungsgruppen übereinander her – wer eben noch guter Nachbar war, wurde zum blutrünstigen Machetenschwinger – wenn nicht freiwillig, dann gezwungen durch Mächtige in den eigenen ethnischen Reihen.
  • Aktuell ist noch unklar, inwieweit die weltweite Verfolgung von Christen in muslimisch geprägten bzw. regierten Ländern sich mit Appellen an die Vernunft wird stoppen lassen.
  • Dazu kommt die zwar beschönigte, real aber gegebene brutale Durchsetzung von staatlichen Machtinteressen, sei es in Syrien oder in der Ukraine. Revolutionäre Bewegungen in arabischen Ländern sind genauso in Streit und Gewaltexzessen gemündet wie in der Großen Französischen Revolution oder der Russischen.
  • Von daher muss die Frage ernsthaft diskutiert werden, ob Menschen sich auf der Basis von Vernunft überhaupt bessern können. Unter bestimmten Umständen scheint das ja zu gelingen – noch ist Europa ein Ort des Wohlstandes und des friedlichen Ausgleichs von Konflikten.
  • Aber auch hier nehmen die Konflikte zu – sei es durch den Euro oder auch eine politisch nicht wirklich gemanagte Immigrationsbewegung.

Ergänzung aus der Perspektive des Jahres 2023

  • Jeder muss hier für sich prüfen, wie es aktuell in der Welt aussieht im Hinblick auf
    • Meinungsfreiheit
    • Rationalität
    • Menschenrechte
    • und weiteren Idealen der Aufklärung
  • Wir wüssten gerne eine Antwort auf die Frage,
    • ob die Aufklärung des 18. Jhdts. nicht ein Elitenprojekt war,
    • das sehr viele positive Folgen hatte,
    • letztlich aber die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen stärker waren als die Ideen und Ideale der Aufklärung,
    • so dass man letztlich den Eindruck haben kann, dass die zugrunde liegende Kultur der entscheidende Faktor ist bei der Frage, welche Gedanken und dann auch gesellschaftlichen Verhältnisse sich entwickeln und durchsetzen.
  • Jedenfalls scheint das, was von der Aufklärung und ihrem Potenzial übrig geblieben iste, sich aktuell mit vielen Problemen und Widersprüchen auseinandersetzen zu müssen.
  • Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn die Menschheit in diesem dialektischen Prozess noch einmal eine Synthese schaffen würde – mit neuen positiven Perspektiven.

Schaubild – Stand 2016

Mat131 Fpzk3 Dialektik der Aufklärung Stand 2016

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