Wie kam es zum Bild des Ungeziefers in „Die Verwandlung“

Wie kam es zum Bild des Ungeziefers in „Die Verwandlung“?

Im folgenden präsentieren wir ein Schaubild, das zeigt, wie der Wissenschaftler Reiner Stach die Entstehung der Vorstellung von einer Verwandlung in ein Ungeziefer in der Erzählung Kafkas beschreibt.

Kafka. Die Jahre der Entscheidungen. Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch Verlag, 2008. 2. Auflage, auf Seite 210

  1. Das Schaubild besteht aus zwei Teilen. Auf dieser Seite geht es um den ersten, den linken Teil:
    Der rechte Teil des Doppelschaubildes wird hier erklärt:
    https://textaussage.de/schaubild-entstehung-bilder-kafka-erzaehlungen
  2. Der linke Bereich fasst den ersten Teil der Darstellung von Stach zusammen. Dort geht es um um die Entstehung der Ungeziefer-Metapher in der Erzählung „Die Verwandlung“.
  3. Beginnen wir mit dem Block links. Ganz unten: Kafkas Erfahrungen/Vorstellungen,
    1. aktuell: Liebeskummer im Hinblick auf seine damalige Freundin Felice Bauer,.Er wartet auf einen Brief,
    2. dann hat er Probleme mit dem Romanprojekt „Der Verschollene“ und
    3. aktuellen Stress mit seinem Freund Brod, den er verärgert hat.
    4. Dazu kommt das grundsätzliche Gefühl der Fremdheit in der Familie.
  4. Darüber in der Säule: ein Rückblick auf Kafkas frühe Erfahrungen in der Kindheit.
    1. Verwendung von Tiernamen als Beschimpfung, besonders beim Vater: Vieh, Hund, Schwein
    2. am schlimmsten die Gleichsetzung von Menschen mit Insekten, die man ja in aller Regel auch ganz einfach vernichtet. Stach verweist hier auf den Gaskrieg im ersten Weltkrieg. Daran konnte man ja auch sehen, was Menschen mit Menschen machten.
  5. Ganz oben links dann der Hinweis auf eine parallele Erzählung des dänischen Autos Johannes V Jensen: der Kondiknog von 1909.
    1. Dort wird ein Mensch in ein Urtier verwandelt, 
    2. allerdings mit dem Vorbehalt, es könne sich auch um ein inneres Geschehen handeln.
    3.  Im Unterschied zu Kafkas Erzählung gibt es ein märchenhaftes Happy End, die Erlösung durch ein Mädchen.
  6. Daraus zieht Stach eine erste Konsequenz, nämlich Kafkas Einsicht in die zentrale Metapher seiner Existenz. Dahinter steht die Erfahrung des Andersseins, der Fremdheit. Das führt dann zu der Erzählung „Die Verwandlung“ mit dem Schicksal Gregor Samsas. Aber auch danach gibt es noch eine Serie von Erzählungen mit Tieren.
  7. Rechts daneben eine weitere Zusammenfassung: Annäherung an die Tierperspektive von außen und das entspricht natürlich der Parabelsituation. Auch dort werden ja Verhältnisse verfremdet um sie dann zunächst zu begreifen und dann auf die Wirklichkeit zu übertragen.
  8. Kommen wir jetzt zur rechten Seite des Doppel-Schau Bildes. Da geht es um die Verallgemeinerung: Wie kommt Kafka zu seinen Bildgeschichten/Parabeln?
  9. Ausgangspunkt sind Vorstellungen und Gedankenspiele, die dann im Moment der Erkenntnis zur Idee einer Erzählung werden.
  10. Sich aufdrängende Erfahrungen wiederum sind der Hintergrund für den eben genannten Ausgangspunkt der Vorstellungen und Gedankenspiele. Dazu gehören Fremdheit, Nichtigkeit, Ausgestoßensein, Stummheit. Das wird dann verdichtet im Bild des Ungeziefers. Interessant und wichtig für die Schule ist die Resonanz im Kopf des Lesers, denn das können Schüler ja eben leisten, dass sie sich aus ihrer Perspektive und vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in das Bild, zum Beispiel als Ungeziefer aufzuwachen, hineinversetzen. Und dann können sie überlegen, was das bedeutet.
  11. Darunter dann wieder eine Zusammenfassung: Bei Kafka kommt immer erst die Erfahrung und dann die Verdichtung in einem Bild und dann die Ausgestaltung in der Erzählung
  12. Ganz am Ende unten rechts: Es geht um innere Erfahrungen, nicht die logische Verknüpfung von Realität. Stach verweist auf ein Zitat von Kafka: Da betont er die Notwendigkeit seines Schreibens und dass er beim Scheitern immer das Gefühl hat, „wert hinausgekehrt zu werden“. Das erinnert natürlich an das finale Schicksal Gregor Samsas.
  13. Stark verweist dann darauf, dass die Realität anders aussah: Die Familie und besonders der Vater hätte das Ende des Schreibens eher begrüßt. Das Besondere ist also, dass Kafka durchaus gegensätzliche Dinge zu einer neuen wirklichen Wirklichkeit vereint.
  14. Der Schlüssel für das Kafka-Verständnis in der Schule scheint der Begriff der Resonanz zu sein. Dabei – wie schon angedeutet – versetzen sich die Schüler in die Bildsituation, überlegen, was sie aussagt, und haben dann die Erzählung eigentlich schon im Kern analysiert. Der Rest ist dann eine Frage der Interpretation, nämlich der Übertragung der Aussagen, zum Beispiel auf die Vorstellung von der Situation des Menschen in der Welt.

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